VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Urteil vom 14.03.2007 - 2 K 20068/02.Me - asyl.net: M9931
https://www.asyl.net/rsdb/M9931
Leitsatz:
Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenier, Staatsangehörigkeit, Ausbürgerung, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatenlose, Einreiseverweigerung, interne Fluchtalternative, Berg-Karabach, Erreichbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

2. In dem abgefochtenen Bescheid vom 16.01.2002 wurde zu Recht festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 AuslG (bzw. nunmehr § 60 Abs. 1 AufenthG) zu Gunsten der Beigeladenen hinsichtlich Aserbaidschans bestehen.

(b) Die Beigeladenen zu 1. und 2. haben Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Aserbaidschans, weil sie von ihrer Geburt bis zur Ausreise im Jahr 2001 in diesem Land ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, rechtmäßige aserbaidschanische Staatsangehörige waren, allein wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit ausgebürgert wurden und ihnen die Wiedereinreise in das Land ihrer früheren Staatsangehörigkeit und ihres gewöhnlichen Aufenthalts verwehrt wird. Insofern wird auch der Beigeladene zu 3. nicht die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit erwerben können.

aa) Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteile vom 20.02.2006, 9 B 02.31748. und 04.08.2006, 9 B 04.30634, Juris) hat die 2. Kammer des VG Meiningen bereits mit Urteilen vom 21.02.2007 die Ausbürgerung und Einreiseverweigerung im Hinblick auf armenische Volkszugehörige als politische Verfolgung gewertet (2 K 20135/03 Me; 2 K 20698/03).

Heute gilt das Staatsangehörigkeitsgesetz vom 30.09.1998. nach dessen Art. 1 aserbaidschanischer Staatsangehöriger ist, wer auf dem Territorium des Staates geboren ist oder wer zumindest einen Elternteil mit aserbaidschanischer Staatsangehörigkeit hat. Nach Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes ist Grundlage die "Meldung der Person an ihrem Wohnsitz in der Republik Aserbaidschan am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes" (Transkaukasus-Institut - TKI - an VGH München vom 06.10.2005). Zunächst war angenommen worden, Aserbaidschan setze die Wohnsitzregelung (ständiger Wohnsitz bei Inkrafttreten des Staatsangehörigkeitsgesetzes am 01.10.1998) konsequent um. Wenig später wurde erkannt, dass Personen, die beim Verlassen Aserbaidschans die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit innehatten, nach wie vor als aserbaidschanische Staatsangehörige betrachtet wurden (Auswärtiges Amt - AA - an OVG Greifswald vom 27.06.2005). Dieser Eindruck konnte deshalb entstehen, weil in der Tat bei der Mehrheit der in Russland lebenden aserbaidschanischen Staatsangehörigen in der Behördenpraxis ein Fortbestand der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit unterstellt wurde. Diese behördliche Handhabung der Wohnsitzregelung erklärt sich daraus, dass die Anwendung der Wohnsitzregelung im Staatsangehörigkeitsgesetz die Entlassung aller - etwa zwei Millionen - in Russland lebenden aserbaidschanischen Staatsangehörigen aus der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit zur Folge gehabt hätte. Diese Folge war aber hinsichtlich der in Russland oder in anderen Ländern lebenden aserischen Volkszugehörigen unerwünscht und sollte - nach der Intention des Gesetzgebers - vermieden werden. Deshalb stellte sich schließlich heraus, dass die Wohnsitzregelung mit der Folge des Verlusts der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit nur hinsichtlich der nicht mehr in Aserbaidschan lebenden, aber noch gemeldeten armenischen Volkszugehörigen angewendet wurde und wird (AA an OVG Hamburg vom 29.08.2005). Die weiteren Erfahrungen zeigten, dass armenische Volkszugehörige einschließlich der Personen mit armenisch klingendem Namen in den Melderegistern nicht erfasst werden und - unabhängig vom Zeitpunkt des Verlassens Aserbaidschans - aus diesen gelöscht werden (TKI vom 06.10.2005). Wegen der Löschung aus den Melderegistern werden Armenier heute von Aserbaidschan nicht mehr als eigene Staatsangehörige angesehen mit der weiteren Folge, dass Ihnen eine Rückkehr nicht gestattet wird.

Eine derartige Ausbürgerung, die wegen eines angeblich nicht mehr bestehenden Wohnsitzes im Inland nach der Rechtspraxis in Aserbaidschan allein bei armenischen Volkszugehörigen stattfindet, ist aber nach der "objektiven Gerichtetheit" der Maßnahme und Gewichtigkeit des Eingriffs als politische Verfolgung zu beurteilen (BVerwG vom 24.10.1995 NVwZ-RR 1996, 602 und vom 7.12.1999 - 9 B 474/99 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 224). Folge dieser Ausbürgerung ist, dass Aserbaidschan eine Rücknahme von Armeniern, die nach der eigenen Rechtspraxis staatenlos geworden sind, ablehnt (Tessa Savvidis vom 14.12.2005). Auch diese Einreiseverweigerung ist als politische Verfolgung zu werten (vgl. BVerwG vom 24.10.1995 und 7.12.1999 a.a.O.). Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass jeder Staat im Rahmen des Völkerrechts selbst bestimmen kann, welche Personen er als seine Staatsangehörigen anerkennt. Grundsätzlich kann ein Staat zwar selbst bestimmen, nach welchen Kriterien er seine Staatsangehörigkeit verleiht, anerkennt oder entzieht. Bürgert ein Staat aber seine bisher rechtmäßigen Staatsangehörigen allein aus Gründen der - missliebigen - Volkszugehörigkeit aus und verweigert er ihnen die Einreise. dann sind diese allein der Volkszugehörigkeit geltenden Maßnahmen als politische Verfolgung zu beurteilen (BayVGH, a.a.O.).

bb) Auch eine zumutbare Fluchtalternative in einem Teil des Staatsgebiets - nämlich Berg-Karabach - kommt für die Beigeladenen nicht in Betracht. Nach der Darstellung der Einreisemöglichkeiten von armenischen Volkszugehörigen nach Berg-Karabach in der Auskunft von Dr. Tessa Savvidis vom 14.12.2005 müssten sich die Beigeladenen, weil die Einreise nur über Armenien möglich ist, zunächst bei den dortigen Behörden entweder um den Erwerb der armenischen Staatsangehörigkeit bemühen oder in Armenien einen Asylantrag stellen. Unabhängig von der Frage, ob die Beigeladenen überhaupt nach Armenien einreisen und sich später dann in Berg-Karabach eine Existenzgrundlage schaffen könnten. kann den Beigeladenen schon nicht zugemutet werden, in einem dritten Land Schutz vor politischer Verfolgung zu suchen.

Soweit das Thüringer Oberverwaltungsgericht eine innerstaatliche Fluchtalternative für armenische Volkszugehörige in Berg-Karabach bejaht hat (so noch mit Urteil vom 09.08.2005, 2 KO 906/03, unter Zitierung des Urteils v. 22.07.2003, 2 KO 155/03), ist dies u.a. damit begründet worden, dass eine zumutbare inländische Fluchtalternative für einen im Ausland befindlichen Asylbewerber auch dann bestehe, wenn er die im Übrigen den Anforderungen an eine verfolgungsfreie Region entsprechenden Landesteile unmittelbar vom Ausland - im Transitwege - erreichen könne. Von einer derartigen - unproblematischen - Erreichbarkeit im Transitwege kann aber nach den neueren Auskünften, so der Auskunft von Dr. Tessa Savvidis vom 14.12.2005, nicht ausgegangen werden.