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OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 19.01.2007 - 1 Bs 4/07 - asyl.net: M9814
https://www.asyl.net/rsdb/M9814
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, beabsichtigte Eheschließung, Ehefähigkeitszeugnis, Befreiung, Kriegsdienstverweigerung, Iran, Gewissensfreiheit, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Charta der Grundrechte, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; GG Art. 4 Abs. 3; EMRK Art. 9; Grundrechtecharta Art. 10 Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 3; BGB § 1309 ABs. 2; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, die das Gericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, geben keinen Anlass, den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern. Seine Klage hat keine Aussicht auf Erfolg und es besteht kein Grund, gleichwohl die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.

2. Der Antragsteller vermag auch aus dem Recht der Kriegsdienstverweigerung kein Aufenthaltsrecht abzuleiten.

a. Ihm gewährt § 25 Abs. 5 AufenthG keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Der Antragsteller, der kein Asylverfahren durchlaufen hat, verfolgt auch der Sache nach kein Asylbegehren. Er beruft sich nicht darauf, dass ihm wegen der von ihm behaupteten Weigerung, im Iran Wehrdienst zu leisten, politische Verfolgung drohe. Vielmehr macht er allein Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 AufenthG und unmittelbar aus Art. 4 Abs. 3 GG geltend. Das Grundrecht auf Asyl schließt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht ein (vgl. BVerwG, Urt. vom 31.3.1981, BVerwGE 62, 123 - juris Rn. 12 -).

a.a. Der Antragsteller vermag sich nicht auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Art. 4 Abs.3 GG zu stützen. Es schützt ihn nicht vor der Ableistung seines Wehrdienstes im Iran. Deshalb kann offen bleiben, ob der Antragsteller in Wahrheit seinen Wehrdienst bereits abgedient hat, wie die Antragsgegnerin meint.

Zwar trifft das Vorbringen des Antragstellers zu, dass Art. 4 Abs. 3 GG "jedermann" und damit auch Ausländer schützt. Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung ist nicht allein Deutschen vorbehalten. Dies zeigt der Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 GG, der das Grundrecht der Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG ausformt (vgl. Morlok, in: Dreier GG-Kommentar, Art. 4 Rn. 148; Kempen, AK-GG, Art. 4 Abs. 3 Rn. 9). Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung, welches nicht als Menschenrecht im naturrechtlichen Sinne nachweisbar ist (vgl. Mayer, in: von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. Art. 4 Rn. 66), gilt aber nur für den Personenkreis, den die deutsche Wehrpflicht erreicht und für den Art. 12 a GG es zulässt, eine Wehrpflicht einzuführen (vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 4 Rn. 178; Zippelius, in: BK, Art. 4 Rn. 122; Mayer a.a.O., Rn. 67; von Mangold/Klein, GG 4. Aufl., Art. 4 Abs. 3 Rn. 154). Daran ändert der Hinweis des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. vom 24.5.1977, BGHSt 27, 191 /193/) nichts, dass der Verfassungsgeber Art. 4 Abs. 3 GG zu einem Zeitpunkt geschaffen hat, zu dem in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht noch nicht eingeführt war. Deshalb schützt Art. 4 Abs. 3 GG nicht Ausländer davor, in ihrem Heimatland nach dem dortigen Recht Wehrdienst leisten zu müssen (a.A. BGH a.a.O.; Treiber, GK-AuslR II § 53 Rn. 75; gegen BGH Stein, NJW 1978, 2426 ff.). Dem Verfassungsgeber stand, wie insbesondere die Diskussionsbeiträge des Abgeordneten Heuß zeigen, schon bei der Schaffung des Grundgesetzes die Möglichkeit einer späteren Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vor Augen (vgl. Kempen, in: AK-GG, 4. Aufl. Art. 4 Abs. 3 Rn. 3).

Demgegenüber überzeugt die Überlegung des Antragstellers nicht, Art. 4 Abs. 3 GG müsste nicht als Menschenrecht für jedermann, sondern als ein ausschließlich Deutschen vorbehaltenes Grundrecht verstanden werden, wenn das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung nicht auch Ausländer vor einer Heranziehung zum Wehrdienst im Ausland schütze. Art. 4 Abs. 3 GG läuft als Menschenrecht nicht leer. Art. 4 Abs. 3 GG bewahrt als "Jederman-Grundrecht" auch Ausländer davor, entgegen ihrer Gewissensentscheidung zum Wehrdienst in der Bundeswehr herangezogen zu werden. Der durch Art. 1 Streitkräftereserve-Neuordnungsgesetz - SKResNOG - vom 22.4.2005 (BGBl. I S. 1106) gestrichene § 2 Wehrpflichtgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.2.2002 (BGBl. I S. 9549) erlaubte noch, Ausländer und Staatenlose der deutschen Wehrpflicht zu unterwerfen. Der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 3 GG bestimmt sich nicht danach, ob es das einfache Gesetz gegenwärtig erlaubt, Ausländer einzuberufen.

Angesichts dieser ausreichend klaren Rechtslage (wie hier auch: OVG Münster, Beschl. vom 4.10.2006 - 18 B 2066 - juris; VGH Bad.Württ., Beschl. vom 1.2.1995, AuAS 1995, 186) geht das Vorbringen des Antragstellers ins Leere, ihm müsse vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden, weil der Schutzumfang des Art. 4 Abs. 3 GG höchstrichterlich noch nicht geklärt sei und ihn das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 27.10.2004 (NVwZ 2005, 464) offen gelassen hatte. Für das Bundesverwaltungsgericht bestand kein Anlass, ausdrücklich von dem genannten Beschluss des Bundesgerichtshofs abzuweichen.

a.b. Auch aus Art. 9 EMRK ergibt sich kein Abschiebungshindernis für den Antragsteller.

Der Schutz der Gewissensfreiheit in Art. 9 EMRK beinhaltet das Recht auf Wehrdienstverweigerung nicht (vgl. OVG Hamburg, Beschl. vom 2.9.1998, InfAuslR 1999, 105; zust. Hailbronner, AufenthG, § 60 Rn. 120; Treiber, GK-AuslR II § 53 Rn. 75). Die Europäische Menschenrechtskommission hat unter Hinweis auf Art. 4 Abs. 3 b EMRK entschieden, dass die Konvention kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen enthält (Nachw. bei Walter, in: EMRK/GG Konkordanz-Kommentar, Kap. 17 Rn. 29 - 31). Die vielfachen Versuche, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Menschenrechtskonvention aufzunehmen, haben keinen Erfolg gehabt (vgl. im Einzelnen OVG Hamburg, Beschl. vom 2.9.1998 a.a.O.). Art. 9 EMRK gewinnt auch nicht deshalb neuen Inhalt, weil Art. 10 Abs. 2 der Grundrechte-Charta der EU, die nicht in Kraft ist, das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nach den einzelstaatlichen Gesetzen anerkennt, welche die Ausübung dieses Rechts regeln (mit gegenteiliger Tendenz Walter a.a.O.).