FG Düsseldorf

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Zitieren als:
FG Düsseldorf, Urteil vom 23.01.2007 - 10 K 5107/05 Kg - asyl.net: M9809
https://www.asyl.net/rsdb/M9809
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Kindergeld, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsgestattung, Duldung, abgelehnte Asylbewerber, Erwerbstätigkeit, Verfassungsmäßigkeit, Gleichheitsgrundsatz
Normen: EStG § 62 Abs. 2; AufenthG § 25 Abs. 5; AsylVfG § 63; AsylVfG § 41 Abs. 1 a.F.; AufenthG § 60a; GG Art. 3; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist weitgehend unbegründet.

1. Die Anspruchsberechtigung von Ausländern bezüglich des Kindergeldes beurteilt sich seit dem 1. Januar 2006 nicht mehr nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des JStG 1996 bzw. der geänderten Fassung aufgrund des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004, sondern nach § 62 Abs. 2 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2915). In dieser Fassung ist § 62 Abs. 2 EStG auch für alle Zeiträume anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist (§ 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG i. d. F. des Gesetzes vom 13. Dezember 2006).

a) Der Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum von August 2005 bis November 2005 ergibt sich aus § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG n. F. Danach erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der eine in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt, Kindergeld, wenn er sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin. Ihr wurde am 15. August 2005 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt. § 25 Abs. 5 AufenthG ist in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG ausdrücklich genannt. Die Klägerin hatte sich bis dahin auch bereits drei Jahre gestattet bzw. geduldet im Bundesgebiet aufgehalten. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigte die Klägerin nach der zugrunde liegenden Aktenverfügung (Ausländerakte Bl. 126) gemäß § 10 BeschVerfG auch dazu, bei der ... einer Erwerbstätigkeit als Gastgewerbehelferin nachzugehen. Die Klägerin war daher bei diesem Unternehmen bis zum 8. September 2005 berechtigt erwerbstätig. Anschließend bezog sie bis Dezember 2005 Lohnersatzleistungen nach dem SGB III (Arbeitslosengeld I).

b) In der Zeit vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG war die Klägerin nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels, durch den ein Anspruch auf Kindergeld begründet wird.

aa) Bei der Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG bzw. der Duldung nach § 41 Abs. 1 AsylVfG handelt es sich nicht i. S. von § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG um eine Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt.

Nachdem die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 23. September 1994 (Ausländerakte Bl. 36) nach Eintritt der Rechtskraft des die Klage gegen diesen Bescheid abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vollziehbar geworden war, d. h. ab dem 6. Januar 2002 (Ausländerakte Bl. 93), war die Klägerin im Inland nur noch geduldet, zuletzt nach § 60 a AufenthG (Ausländerakte Bl. 87). Abschiebungshindernisse, die dazu führen, dass der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet geduldet wird, begründen ebenfalls keine Aufenthaltserlaubnis. Die Aufenthaltserlaubnis ist vielmehr ein befristeter Aufenthaltstitel (§ 7 AufenthG), der einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, gemäß § 10 Abs. 3 AufenthG nur nach Maßgabe der §§ 22 bis 26 AufenthG erteilt werden darf. Die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60 a AufenthG gehört nicht dazu.

bb) Die Klägerin verfügte mit der Aufenthaltsgestattung bzw. Duldung auch nicht über eine in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG genannte Aufenthaltserlaubnis, die einen Anspruch nach Maßgabe von § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG begründen könnte.

Die Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG ist in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG ebenso wenig aufgeführt wie eine Duldung nach § 60 a AufenthG. § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG enthält nach Auffassung des Gerichts insoweit auch keine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung der Vorschrift auf eine Aufenthaltsgestattung oder Duldung zu schließen wäre.

cc) Das Gericht hält die Neuregelung der Anspruchsberechtigung von Ausländern hinsichtlich des Kindergeldes durch das Gesetz vom 13. Dezember 2006 nicht für verfassungswidrig. Das Verfahren war daher nicht nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen, um eine Entscheidung des BVerfG einzuholen.

Das BVerfG hat im Beschluss in BVerfGE 111, 160 das Ziel der gesetzlichen Neufassung des § 1 Abs. 3 BKGG durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993, Kindergeld nur noch solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben (BT-Drucks. 12/5502, S. 44), als solches nicht beanstandet, sondern nur die dafür gewählte Regelung. Durch die Neuregelung wird dieses Ziel nach Auffassung des Gerichts in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise umgesetzt.

§ 62 Abs. 2 EStG n. F. stellt nicht mehr allein auf die Art des Aufenthaltstitels ab, sondern darauf, ob aufgrund einer Erwerbstätigkeit oder einer Berechtigung, einer solchen nachzugehen, von einem dauerhaften Aufenthalt im Inland ausgegangen werden kann. Das Gericht sieht darin ein geeignetes Indiz für diese Prognose, sofern die Erwerbstätigkeit nicht erkennbar nur vorübergehend ist. Personen, bei denen dies der Fall ist, hat der Gesetzgeber folgerichtig nicht in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a und b EStG). Soweit es sich um unanfechtbar abgelehnte Asylbewerber handelt, denen ein Aufenthaltstitel nach § 10 Abs. 3 AufenthG nur nach Maßgabe des 5. Abschnitts des AufenthG erteilt werden darf (vgl. dazu § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG), hat der Gesetzgeber ihre Anspruchsberechtigung von weiteren, in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a und b EStG geregelten Voraussetzungen abhängig gemacht. Auch dies ist nach Auffassung des Gerichts nicht zu beanstanden. Diese Ausländer sind regelmäßig zur Ausreise verpflichtet; wird eine entsprechende Aufforderung nicht vollzogen, so kann nicht allein deshalb von einem dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet ausgegangen werden. Eine derartige Prognose erscheint erst zulässig, wenn ein Mindestzeitraum eines rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalts vorliegt und der Ausländer seinen Lebensunterhalt aufgrund einer berechtigten Erwerbstätigkeit aus eigener Kraft bestreiten kann, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III hat oder Elternzeit in Anspruch nimmt. Die Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG halten sich deshalb in dem dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraum. Im Übrigen (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EStG) knüpft der Anspruch auf Kindergeld - wie bei der Niederlassungserlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 AufenthG (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG) - an eine bereits vollzogene oder - wie bei einer zu einer Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltserlaubnis (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 1 EStG) - an eine hinreichend sicher zu erwartende Integration im Inland an.

Personen, die nicht über einen qualifizierten Aufenthaltstitel verfügen, durfte der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 GG von der Neuregelung ausschließen. Dies gilt insbesondere für Personen, deren Aufenthalt nur zum Zwecke der Durchführung eines Asylverfahrens gestattet ist oder deren Aufenthalt nach Vollziehbarkeit einer Ausreiseaufforderung geduldet wird, weil der Abschiebung Hindernisse entgegenstehen. Es widerspräche dem vorläufigen, auflösend bedingten Charakter der Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG und der auf eine Beendigung des Aufenthalts gerichteten bestandskräftigen und damit vollziehbaren Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, in diesen Fällen von einem voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet auszugehen. Der Aufenthalt ist vielmehr auch dann, wenn sich das Asylverfahren über mehrere Jahre erstreckt und Abschiebungshindernisse von nicht absehbarer Dauer auftreten, von Rechts wegen nicht als dauerhafter, sondern als lediglich vorübergehender gedacht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Abschiebungshindernisse vom Ausländer selbst zu vertreten sein können, wie z. B. die langjährige Passlosigkeit der Klägerin, die erst am 20. Januar 2003 die Ausstellung eines Passes beantragt und dadurch verhindert hat, dass ihr eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 4 des Ausländergesetzes (AuslG) als mögliche Vorstufe für eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis erteilt werden konnte (Ausländerakte Bl. 65 f., 68). Erst durch das Hinzutreten der in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a und b EStG aufgeführten Voraussetzungen zu einem in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c EStG geregelten Aufenthaltstitel kann von einem voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet ausgegangen werden, der dann auch einen Anspruch auf Kindergeld begründet. Bei den auch nach dieser Bestimmung nicht anspruchsberechtigten Ausländern durfte der Gesetzgeber im Übrigen davon ausgehen, dass das Existenzminimum ihrer Kinder durch Sozialhilfe oder Leistungen nach dem AsylbLG in ausreichendem Maße gewährleistet ist (BT-Drucks. 16/1368, S. 9). Das Gericht vermag daher nicht zu erkennen, dass die Neuregelung gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 GG verstößt.