VGH Bayern

Merkliste
Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 30.06.2006 - 24 CS 06.1249 - asyl.net: M9797
https://www.asyl.net/rsdb/M9797
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Suspensiveffekt, Fiktionswirkung, Fortgeltungsfiktion, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerungsantrag, verspäteter Antrag, Umdeutung, Schutz von Ehe und Familie, Privatleben, Wirkungen der Ausweisung, Sperrwirkung
Normen: VwGO § 123; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 60 Abs. 2a; GG Art. 6; EMRK Art. 8; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2; VwGO § 146 Abs. 4 S. 3
Auszüge:

Die Beschwerde bleibt erfolglos, weil das Verwaltungsgericht den Eilantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat.

Gegenstand des Rechtsstreits ist in diesem Eilverfahren nur die Versagung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Vorläufiger Rechtsschutz ist im vorliegenden Fall nicht nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern nach § 123 VwGO zu gewähren, weil der erst am 22. April 2005 gestellte Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verspätet war und die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht auslösen konnte.

Die Fiktionswirkung trat im vorliegenden Fall nicht ein, wobei es hier nicht maßgeblich darauf ankommt, ob man § 81 Abs. 4 AufenthG eng dahin auslegt, dass nur rechtzeitig gestellte Verlängerungsanträge die Fiktion des erlaubten Aufenthalts zur Folge haben, oder weit auslegt, so dass diese Wirkung in bestimmten Fällen auch verspäteten Anträgen zukommen kann.

Es bestehen allerdings erhebliche Zweifel daran, ob die weite Auslegung des § 81 Abs. 4 AufenthG, nach der auch ein verspätet gestellter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG auslösen kann, mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar ist (verneinend: GK AufenthG, Stand: April 2005, RdNr. 40 ff zu § 81; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, Anm. 18 zu § 81 AufenthG; Benassi, Rechtsfolgen der Beantragung eines Aufenthaltstitels, InfAuslR 2006, 178 /182 ff; verneinend für die frühere Rechtslage: BVerwG vom 3.6.1997 InfAuslR 1997, 391).

Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Ausländern, deren Aufenthalt nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG geduldet wird, und Ausländern, deren Aufenthalt nach längerem legalen Aufenthalt, aber verspätetem Verlängerungsantrag ebenfalls nur geduldet, aber nicht legalisiert wird, besteht nicht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die letzteren aus Gründen der (Un-)Gleichbehandlung einen vorläufigen legalen Aufenthaltsstatus haben sollen, obwohl in beiden verglichenen Fallgruppen der Grund für den nicht legalisierten Status in der Verspätung des Antrags liegt. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG regelt nur die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit während der Übergangszeit bis zur Entscheidung über den Antrag ("Für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt der Aufenthaltstitel als fortbestehend..."). Aus dieser Vorschrift lässt sich überzeugend nichts für die Auslegung des § 81 Abs. 4 AufenthG ableiten. Die angewandten Kriterien des Verwaltungsgerichts tragen die Schlussfolgerung nicht. Das Verwaltungsgericht legt seiner Entscheidung insoweit offenbar nicht die Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministers des Innern vom 22.12.2004 zugrunde, sondern benennt als Voraussetzungen des Eintritts der Erlaubnisfiktion den engen zeitlichen Zusammenhang und den Ausschluss von Rechtsmissbrauch. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine verspätete Antragstellung nach diesem Tatbestandsmerkmal rechtsmissbräuchlich sein kann, ist nicht ohne weiteres erkennbar; Sachverhaltsfeststellungen hierzu sind nicht getroffen worden. Das Kriterium des engen zeitlichen Zusammenhangs entspricht wohl der geringfügigen Fristüberschreitung in Nr. 81.4.2.3 Vorläufige Anwendungshinweise und liegt jedenfalls bei einem erst sechs Wochen nach Ablauf der Gültigkeit des bisherigen Aufenthaltstitels gestellten Verlängerungsantrag nicht vor.

Auch unter Anwendung der Vorläufigen Anwendungshinweise (die Vorläufigen Anwendungshinweise richten sich nicht an die Verwaltungsgerichte und binden sie nicht; ob sie mit dem Gesetz in Einklang stehen, kann dahingestellt bleiben, weil es darauf hier nicht ankommt) kann keine Erlaubnisfiktion eingetreten sein. Nr. 81.4.2.3 Vorläufige Anwendungshinweise nennt drei Voraussetzungen für eine Erlaubnisfiktion trotz Fristversäumnis: die Fristüberschreitung darf nur geringfügig sein, sie darf lediglich auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sein, und es muss nach summarischer Prüfung zu erwarten sein, dass der Aufenthalt nach ordnungsgemäßer Prüfung weiter erlaubt wird (kritisch zu diesem Anwendungshinweis Renner, a.a.O., Anm. 24 zu § 81; Benassi, a.a.O., S. 182). Wann eine Fristüberschreitung als geringfügig anzusehen ist, kann dahingestellt bleiben, eine Fristüberschreitung von etwa sechs Wochen - wie hier - ist nach der Rechtsprechung des Senats (BayVGH vom 13.4.2006 - 24 CS 06.569) jedenfalls nicht mehr als geringfügig anzusehen.

Im Ergebnis bleibt daher festzustellen, dass eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG hier auszuschließen ist. Wegen der dargelegten Auslegungsschwierigkeiten des § 81 Abs. 4 AufenthG ist es vertretbar, den beim Verwaltungsgericht gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen (§ 80 Abs. 5 VwGO), als Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO auszulegen bzw. ihn in einen solchen umzudeuten, obwohl der Antragsteller anwaltlich vertreten ist. Das gilt trotz § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, der die Verantwortung für den richtigen Antrag allein dem Rechtsmittelführer zuweist, auch für das Beschwerdeverfahren.

Dieser Antrag hat in der Sache keinen Erfolg, weil Duldungsgründe nicht glaubhaft gemacht sind. Die Ausreise des Antragstellers ist weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen unmöglich (§ 60 a Abs. 2 AufenthG).

Die Ausreise des Antragstellers nach Syrien ist unter dem Blickwinkel des Schutzes der Ehe und Familie (Art. 6 GG) und des Privatlebens des Antragstellers (Art. 8 EMRK) rechtlich nicht unmöglich. Der Antragsteller wird voraussichtlich mit der Klage auf Erteilung/Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis keinen Erfolg haben.

Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist schon wegen des Ausschlusstatbestandes des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht möglich, weil der Antragsteller ausgewiesen wurde.