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VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 12.12.2006 - 3 TG 2484/06 - asyl.net: M9225
https://www.asyl.net/rsdb/M9225
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Lebensunterhalt, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Existenzgründungszuschuss, Arbeitslosengeld II, ergänzendes Arbeitslosengeld II, Grundsicherung für Arbeitssuchende
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 9 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 2 Abs. 3; SGB III § 421 Abs. 1
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde hat mit den von dem Antragsteller vorgetragenen Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) Erfolg.

Aufgrund dieser im maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung zu berücksichtigenden Sach- und Rechtslage (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Auflage, § 80 Rdnr. 147) stellt sich die Entscheidung der Antragsgegnerin ohne weitere Sachverhaltsermittlung als offensichtlich rechtsfehlerhaft mit der Folge dar, dass das öffentliche Interesse an dem weiteren sofortigen Vollzug das private Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet nicht überwiegt (vgl. BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/93 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG, 18.07.1973 - 1 BvR 23, 155/73 -, BVerfGE 35, 382; BVerfG, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 09.11.1995 - 12 TG 2783/05 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836188 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1998, 14).

Zunächst bestehen von Seiten des Senats ernsthafte Bedenken, ob dem Antragsteller tatsächlich der Bezug von Leistungen gemäß § 421 I SGB III (Existenzgründungszuschuss) sowie der Bezug von ergänzendem Arbeitslosengeld II (ALG II) bei der Frage, ob sein Lebensunterhalt gemäß den §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG als gesichert anzusehen ist, entgegengehalten werden kann.

Im Fall des Antragstellers spricht - vorbehaltlich weiterer Sachverhaltsaufklärung durch die Antragsgegnerin - überwiegend viel dafür, dass die Gewährung des Existenzgründungszuschusses ebenso wie die ergänzende Gewährung von Arbeitslosengeld II auf Beitragszahlungen beruhen und daher dem Antragsteller aufenthaltsrechtlich nicht entgegen gehalten werden dürfen.

Gemäß § 421 I SGB III haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründungszuschuss. Der Zuschuss wird geleistet, wenn der Existenzgründer

1. in einem engen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch bezogen hat oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buch gefördert worden ist,

2. nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Arbeitseinkommen nach § 15 des 4. Buches erzielen wird, das voraussichtlich 25.000,00 Euro im Jahr nicht überschreiten wird und

3. eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.

Ob der Existenzgründungszuschuss des § 421 I SGB III auf Beitragsleistungen im Sinne des § 2 Abs. 3 AufenthG beruht oder nicht, kann nicht losgelöst von der der Leistungsgewährung zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage entschieden werden. Zumindest in den Fällen, in denen der Existenzgründungszuschuss des § 421 I SGB III aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld I, mithin einer beitragsgebundenen Leistung, gewährt wird, kann dies dem Antragsteller aufenthaltsrechtlich nicht entgegengehalten werden. Anderenfalls würde dies nämlich zu dem nicht nachvollziehbaren Ergebnis führen, dass demjenigen, der sich freiwillig aus dem - aufenthaltsrechtlich nicht relevanten, da beitragsgebundenen - Bezug von Arbeitslosengeld I begibt und den von dem Gesetzgeber gewünschten und geförderten Weg der Gründung einer selbständigen Existenz (mit entsprechender Bezuschussung) beschreitet, dies aufenthaltsrechtlich zum Verhängnis würde, demgegenüber der Weiterbezug von Arbeitslosengeld I jedoch aufenthaltsrechtlich irrelevant wäre.

Soweit die Gewährung des Existenzgründungszuschusses gemäß § 421 I SGB III ihren Ursprung in der Gewährung von Arbeitslosengeld I hat, erfolgt hiermit die beitragsbezogene Verknüpfung zu der Gewährung des Zuschusses mit der Konsequenz, dass der Bezug derartiger Leistungen dem Ausländer aufenthaltsrechtlich nicht entgegengehalten werden kann. Gleiches hat bei dieser Konstellation jedoch auch für den ergänzenden Bezug von dem grundsätzlich nicht auf Beiträgen beruhenden Arbeitslosengeld II zu gelten. Wird Arbeitslosengeld II lediglich deshalb gewährt, weil der Betroffene aufgrund des von dem Gesetzgeber gewünschten und entsprechend bezuschussten Gangs in die Selbstständigkeit (§ 421 I SGB III) keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld I hat, ist auch insoweit die Verknüpfung zu den in § 2 Abs. 3 AufenthG genannten Beitragsleistungen hergestellt.

Zwar ist es nach der Systematik des § 421 I SGB III durch die Bezugnahme auch auf die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der §§ 260 ff. SGB III nicht gänzlich ausgeschlossen, dass ausnahmsweise auch Bezieher von Arbeitslosenhilfe II in den Genuss eines Existenzgründungszuschusses kommen. Bei der Beantwortung der Frage, ob der Bezug eines Existenzgründungszuschusses aufenthaltsrechtlich schädlich ist oder nicht, ist daher zunächst abzuklären, aus welchem Rechtsgrund dieser gewährt worden ist.

Auf die in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung umstrittene Frage, ob es sich bei Existenzgründungszuschüssen nach § 421 I SGB III um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 a) SGB II handelt, die nicht als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II berücksichtigt werden dürfen (verneinend: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.06.2005 - L 7 AS 22/05 ER - in juris-online; bejahend: Landessozialgericht Niedersachsen - Bremen, Urteil vom 25.04.2006 - L 8 AS 29/06 - in juris-online, Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2006 - L 8 AS 2198/06 ER-B -, Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10.01.2006 - L 3 B 233/05 AS-ER -) kommt es dabei nicht entscheidungserheblich an, da selbst dann, wenn der Existenzgründungszuschuss als zu berücksichtigendes Einkommen anzusehen wäre, dies die Frage noch nicht beantworten würde, ob dieser öffentliche Zuschuss auf Beitragsleistungen beruht oder nicht. An dieser Stelle wäre allenfalls zu erörtern, ob der Existenzgründungszuschuss, wovon die Landessozialgerichte mit Ausnahme des Hessischen Landessozialgerichts ausgehen (s.o.), ohnehin nicht der Sicherung der Existenz, sondern anderen arbeitsmarktpolitischen Zielen dient und insoweit gänzlich, auch bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts, außen vor zu bleiben hat.