VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 06.07.2006 - 3 E 303/06.A - asyl.net: M8941
https://www.asyl.net/rsdb/M8941
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen schwerer psychischer Erkrankung; die medizinische Versorgung in Angola ist kritisch.

 

Schlagwörter: Angola, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, medizinische Versorgung, alleinstehende Personen, soziale Bindungen, psychische Erkrankung, schizophrene Psychose, paranoide Psychose, halluzinatorische Psychose, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen schwerer psychischer Erkrankung; die medizinische Versorgung in Angola ist kritisch.

(Leitsatz der Redaktion)

 

In der Person des Klägers liegen Abschiebungshindernisse i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG vor.

Gefährdungen aufgrund von sozialen und wirtschaftlichen Missständen im Aufnahmestaat oder sonstige in den dortigen Verhältnissen begründete Gefahren, die die gesamte Bevölkerung in dem betreffenden Staat oder andere Ausländer in vergleichbarer Situation betreffen würden, bleiben zwar im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG grundsätzlich außer Betracht.

Trotz des Fehlens einer entsprechenden Regelung der obersten Landesbehörde über die Aussetzung der Abschiebung im Hinblick auf im Aufnahmestaat drohende allgemeine Gefahren ist dem Ausländer - in verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG - aber dann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren, wenn er dort mit einer landesweit bestehenden Gefahrenlage konfrontiert würde, so dass er, wie jeder andere Ausländer in vergleichbarer Situation, im Fall der Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde.

Aus den in der mündlichen Verhandlung eingeführten Informationen ergibt sich hinsichtlich der Gesundheitsversorgung in Angola, dass das Land auf absehbare Zeit auf massive humanitäre Hilfe angewiesen sei, die allgemeine medizinische Versorgung sei sehr angespannt, das staatliche Gesundheitswesen sei nur in minimalen Ansätzen vorhanden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.06.2002). Mit weiterem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.02.2003 wird die Versorgungslage in weiten Teilen des Landesinneren weiterhin als sehr kritisch angesehen und die Mehrheit der Bevölkerung lebe am Rande des Existenzminimums, die allgemeine medizinische Versorgung sei schlecht. Diese Einschätzung wird im weiteren Lagebericht vom 23.04.2004 bestätigt. Im Lagebericht vom 05.11.2004 wird zwar eine spürbare Verbesserung der Versorgungslage in Luanda seit 2002 angegeben und dies auch nach und nach in anderen Landesteilen gesehen, eine durchgreifende Verbesserung der Lebenssituation für die überwiegende Mehrheit wird dagegen nicht festgestellt. In vielen Gebieten im Landesinneren bleibe die Lage (teilweise sehr) kritisch. Hinsichtlich der medizinischen Versorgung ist insoweit ausgeführt, dass in Luanda und einigen wenigen Provinzhauptstädten es funktionierende staatliche Krankenhäuser und auch qualifizierte Ärzte gebe. Seit 2003 gebe es eine geringe Kostenbeteiligung, zum Teil hänge die Behandlung von Bestechungsgeldern ab. Zum Teil müssten auch Medikamente gekauft werden. Außerhalb der vorerwähnten Städte sei die medizinische Versorgung schlecht, in ländlichen Gegenden katastrophal. In Lageberichten vom März und vom 18.04.2005 wird diese Einschätzung bestätigt.

In einem Attest hat die den Kläger seit Februar 2006 behandelnde Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am 02.03.2006 bei dem Kläger eine schizophrene Psychose festgestellt und eine Überweisung zur stationären Behandlung vorgenommen.

Der Kläger ist als Kind nach Deutschland eingereist und hat seit der Einreise am 13.04.1992 keine persönlichen oder familiären Kontakte mehr zu seinem Heimatland. Dementsprechend würde bei einer Rückkehr und der damit notwendigerweise verbundenen Unterbrechung einer medizinischen Versorgung zu der von der Zeugin zuvor zitierten drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers führen, so dass das Gericht von einem humanitären Abschiebungshindernis i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegend ausgeht.