OVG Nordrhein-Westfalen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.09.2006 - 18 B 2085/06 - asyl.net: M8883
https://www.asyl.net/rsdb/M8883
Leitsatz:
Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Zuständigkeit, Oberverwaltungsgericht, Berufungszulassungsantrag, Fiktionsbescheinigung, Erlaubnisfiktion, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Duldung, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Schutz von Ehe und Familie, Straftat, Ermessen
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; VwGO § 123 Abs. 2; AufenthG § 81 Abs. 5; AuslG § 69 Abs. 3; AufenthG § 81 Abs. 3; AufenthG § 81 Abs. 4; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Über ihn entscheidet gemäß § 123 Abs. 2 VwGO das angerufene Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen. Zwar ordnet § 123 Abs. 2 VwGO die Zuständigkeit des Berufungsgerichts als Gericht der Hauptsache nur für den Fall an, dass die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, und vorliegend ist bislang nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. § 123 Abs. 2 VwGO ist jedoch dahin zu verstehen, dass die Zuständigkeit des Berufungsgerichts bereits für diesen Fall begründet wird (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 9. Juli 1999 - 25 ZE 99.1581 -, juris; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Auflage 2005, § 123 Rn. 33 mit weiteren Nachweisen).

Der Antragsteller kann die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG schon deshalb nicht beanspruchen, weil der Verlängerungsantrag, den er am 4. Mai 2004 gestellt hat, keine Fiktionswirkung ausgelöst hat. Zu diesem Zeitpunkt war insoweit § 69 Abs. 3 AuslG maßgeblich. Der Antragsteller hielt sich in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung mangels noch gültiger Aufenthaltsbefugnis jedoch nicht, wie jene Vorschrift voraussetzt, rechtmäßig im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG im Bundesgebiet auf; die Gültigkeit der Aufenthaltsbefugnis, die ihm zuvor erteilt worden war, war bereits am 2. April 2004 abgelaufen (vgl. zu derartigen Fallkonstellationen BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 7.96 -, InfAuslR 1997, 391 (394); auch Senatsbeschlüsse vom 24. September 1992 - 18 B 3863/92 -, vom 20. Mai 1996 - 18 B 424/95 - und vom 7. Mai 1999 - 18 B 732/99 -, InfAuslR 1999, 451).

An diesem Befund hat sich durch das Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes nichts geändert. Die für die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung unter der Geltung des Ausländergesetzes vorgesehenen Rechtsfolgen bleiben unverändert. War - wie hier - bisher keine Fiktionswirkung eingetreten, so hat es damit mangels einer Regelung im Aufenthaltsgesetz sein Bewenden (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 31. Januar 2005 - 18 B 915/04 -, EZAR 94 Nr. 1 = AuAS 2005, 123 = NWVBl. 2005, 358 und vom 7. April 2006 - 18 B 528/06 - mit weiteren Nachweisen).

Auch der Hilfsantrag, dem Antragsgegner die Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, bleibt ohne Erfolg.

Nach der Rechtsprechung des Senats kann indessen ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nicht allein im Hinblick darauf begründet sein, dass das auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Verfahren nicht abgeschlossen ist, wenn - was, wie oben dargelegt, hier der Fall ist - dieser Antrag mangels rechtmäßigen Aufenthalts des Antragstellers ein fiktives Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG nicht ausgelöst hat. In diesem Fall scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung allein wegen des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich - und so auch hier - aus (vgl. näher Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 2005 - 18 B 677/05 - mit Nachweisen auch hinsichtlich der entsprechenden Rechtslage zum Ausländergesetz 1990 und vom 11. Januar 2006 - 18 B 44/06 -).

Selbst wenn man den gestellten Antrag des Antragstellers dahin verstünde, dass er Abschiebungsschutz unter Geltendmachung materieller Abschiebungshindernisse nicht (nur) für die Dauer des Erlaubniserteilungsverfahrens begehrte, bliebe der Antrag erfolglos. Das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch wäre auch dann nicht glaubhaft gemacht. Die Abschiebung des Antragstellers ist - was hier allein in Betracht kommt - auch unter Berücksichtigung der Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK nicht gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG rechtlich unmöglich.

Auch gewichtige familiäre Belange setzen sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch, wie sie namentlich bei schwerwiegender Kriminalität des betreffenden Ausländers anzunehmen sein können. Insbesondere dann, wenn die Geburt eines Kindes nicht eine "Zäsur" in der Lebensführung des betroffenen Ausländers darstellt, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er bei legalisiertem Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen wird, kommt ein Vorrang der gegen den weiteren Aufenthalt sprechenden Gründe in Betracht (vgl. BVerfG a.a.O. sowie Senatsbeschlüsse vom 27. Februar 2004 - 18 B 769/03 - und vom 5. April 2005 - 18 B 537/05 -, jeweils mit weiteren Nachweisen, sowie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. April 2006 - 1 S 734/06 -, InfAuslR 2006, 359 (360)).

Mit Rücksicht auf die Verurteilung des Antragstellers zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch Urteil des Landgerichts E. vom 20. Januar 2005 liegt ein Fall schwerwiegender Straffälligkeit vor; soweit es um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ginge, wäre zu beachten, dass darin gemäß § 53 Nr. 1 AufenthG ein zwingender Ausweisungsgrund läge.