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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.06.2006 - 1 S 1136/05 - asyl.net: M8744
https://www.asyl.net/rsdb/M8744
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Verzicht, Asylberechtigung, Ausländerbehörde, Beratungspflicht, Beratung, Folgenbeseitigungsanspruch, Widerruf, Aufenthaltserlaubnis, Ermessen, ernstliche Zweifel, Berufungszulassungsantrag
Normen: AuslG § 43 Abs. 1 Nr. 4; AsylVfG § 68 a.F.; VwVfG § 25 S. 1; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann gegeben, wenn ein die angefochtene Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine für die Entscheidung erhebliche Tatsachenfeststellung in der Antragsschrift mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, VBlBW 2000, 392, nunmehr bestätigt durch Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 83>). Dies ist hier nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat den im Anschluss an den von den Klägern erklärten Verzicht auf die Asylberechtigung gem. § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG verfügten Widerruf der den Klägern nach § 68 AsylVfG a.F. erteilten Aufenthaltserlaubnisse als ermessensfehlerhaft erachtet; die Beklagte habe nämlich die Folgenbeseitigungspflicht nicht beachtet, die aus einem Verstoß gegen die Beratungspflicht (§ 25 LVwVfG) bei der Entgegennahme der Verzichtserklärungen folge. Hiergegen wendet sich die Beklagte ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht ist jedenfalls im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte verpflichtet war, die Kläger - insoweit vertreten durch die Klägerin zu 2, die bei der Behörde vorgesprochen hat - über die Rechtsfolgen einer Verzichtserklärung aufzuklären. Das Verwaltungsgericht führt aus, dass der in § 25 Satz 2 LVwVfG geregelte Auskunftsanspruch hier nicht einschlägig sei, entnimmt dieser Vorschrift aber zugleich eine Beratungspflicht. Letzteres ist zwar insoweit nicht zutreffend, als eine Beratungs- bzw. Belehrungspflicht in § 25 Satz 1 LVwVfG verankert ist (zur Begrifflichkeit siehe Engelhardt in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl. 1999, § 25 Rn. 7 ff.; Clausen in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 25 Rn. 7); deren Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht indessen rechtsfehlerfrei bejaht.

Nach der genannten Bestimmung soll die Behörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Als Ausdruck der aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip folgenden Betreuungs- und Fürsorgepflicht des Staates setzt die Belehrungspflicht - anders als die Auskunftspflicht nach § 25 Satz 2 LVwVfG - keine vorangehende Anfrage voraus, sie ist von der Behörde vielmehr von Amts wegen zu erfüllen (vgl. P. Stelkens/Kallerhoff in: Stelkens u.a. <Hg.>, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 25 Rn. 30, 34). Die beabsichtigte Abgabe einer Verzichtserklärung gab hiernach Anlass zu einem rechtlichen Hinweis. Sie war zwar zur Erreichung des von den Klägern unmittelbar verfolgten Zwecks - die Möglichkeit von Reisen in die Türkei - geeignet und insoweit nicht "aus Unkenntnis unrichtig". Eine dauerhafte Rückkehr in die Türkei war aber von den Klägern ersichtlich nicht beabsichtigt; vielmehr waren lediglich Besuchsaufenthalte unter Beibehaltung eines dauerhaften Wohnsitzes in Deutschland geplant. In dieser Hinsicht ging die Erklärung vor dem Hintergrund der durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bekräftigten Rechtslage, wonach der Wegfall der Asylberechtigung oder der Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich auch eine Beendigung des darauf beruhenden Aufenthalts nach sich zieht (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.02.2003 - 1 C 13.02 -, BVerwGE 117, 380 386>), von unzutreffenden Vorstellungen aus. Diese wohl auf den Informationen durch eine türkische Bekannte der Klägerin zu 2 beruhende Unkenntnis der Rechtslage war für die Ausländerbehörde auch offensichtlich, weil sie sich ihr aufdrängen musste. Folglich bestand Anlass, auf die über das asylrechtliche Verfahren hinausgehenden Folgen - die Möglichkeit des Verlustes des Aufenthaltsrechts - hinzuweisen (siehe BVerwG, Urteil vom 28.11.1974 - V C 16.73 -, BVerwGE 47, 225 227>; Engelhardt, a.a.O., Rn. 44). Einer genauen Kenntnis der für die Entscheidung über einen Widerruf erheblichen Tatsachen bedurfte es für einen solchen allgemein gehaltenen Hinweis nicht.