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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 03.08.2006 - 1 B 20.06 - asyl.net: M8596
https://www.asyl.net/rsdb/M8596
Leitsatz:

Geht das Gericht von einer Bestrafung des Täters bei Rückkehr wegen Staatsschutzdelikten aus, muss es darlegen, warum darin keine Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu sehen ist.

 

Schlagwörter: Revisionsverfahren, grundsätzliche Bedeutung, Strafverfahren, Strafe, rechtliches Gehör, Politmalus, Sachaufklärungspflicht, Türkei
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 108 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1; tStGB Art. 159 a.F.; tStGB Art. 301; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Geht das Gericht von einer Bestrafung des Täters bei Rückkehr wegen Staatsschutzdelikten aus, muss es darlegen, warum darin keine Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu sehen ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. November 2005 wird aufgehoben, soweit es den Kläger zu 1 betrifft.

Die Beschwerde des allein noch das Verfahren betreibenden Klägers zu 1 (im Folgenden: Kläger) ist mit der Rüge eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung wird die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

1. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan. Die Frage, ob das gegen den Kläger in der Türkei anhängige Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 159 des türkischen Strafgesetzbuchs - tStGB - (alt) bzw. Art. 301 tStGB (neu) "per se politische Verfolgung im Sinne des Asylrechts" ist (Beschwerdebegründung S. 4), hängt von der Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften durch die türkischen Strafgerichte ab und ist deshalb in erster Linie eine Frage tatsächlicher Art, die allein von den Tatsacheninstanzen zu beantworten ist.

2. Im Ergebnis zu Recht beanstandet die Beschwerde dagegen, dass sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen lässt, dass sich das Berufungsgericht mit dem Vorbringen des Klägers in seinen Schriftsätzen vom 28. Mai und 11. August 2005 zum politischen Charakter des Strafverfahrens und der ihm drohenden Strafe nach Art. 159 tStGB (alt) bzw. § 301 tStGB (neu) hinreichend befasst hat (Beschwerdebegründung S. 4 f.). Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist nicht erkennbar, dass das Berufungsgericht ausreichend erwogen und nachprüfbar belegt hat, weshalb es trotz der von ihm unterstellten Bestrafung des Klägers nach § 159 tStGB (alt) bzw. § 301 tSIGB (neu) annimmt, diesem drohe insoweit nach der Praxis der türkischen Gerichte keine asylrelevante, an ein unverfügbares Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG. So hat es weder näher dargelegt, weshalb die den Staatsschutzdelikten zuzurechnende Strafvorschrift als solche und nach der Strafverfolgungspraxis keinen Verfolgungscharakter aufweist, noch hat es Feststellungen dazu getroffen, mit welcher Strafe der Kläger rechnen muss und dass die zu erwartende Strafe keine unverhältnismäßige, (auch) an asylerhebliche Merkmale anknüpfende Sanktion darstellt.