OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 08.03.2006 - 4 Bf 406/98.A - asyl.net: M8583
https://www.asyl.net/rsdb/M8583
Leitsatz:

Ausbürgerung durch türkische Behörden wegen Wehrdienstentziehung knüpft nicht an asylerhebliche Merkmale an.

 

Schlagwörter: Türkei, Wehrdienstentziehung, Ausbürgerung, Staatenlose, Anerkennungsrichtlinie
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; RL 2004/83/EG Art. 38 Abs. 1
Auszüge:

Ausbürgerung durch türkische Behörden wegen Wehrdienstentziehung knüpft nicht an asylerhebliche Merkmale an.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zugelassene und auch sonst zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG anerkannt zu werden. Er kann auch nicht die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG oder von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG verlangen. Dies folgt (schon) daraus, dass der Kläger, wie er selbst vorträgt, von seinem (früheren) Heimatstaat Türkei ausgebürgert worden ist. Im Falle der Ausbürgerung werden ein Asylantrag und Anträge auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 1 und 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG grundsätzlich gegenstandslos. Anders ist es nur dann, wenn die Ausbürgerung aus politischen Motiven erfolgt (BVerwG, Urt. 12.2.1985, InfAuslR 1985, 145; Urt. v. 15.10.1985, DVBl. 1986, 511; Urt. v. 24.10.1995, DVBI. 1996, 205). Dafür bestehen im Falle des Klägers keine Anhaltspunkte. Seine Ausbürgerung erfolgte ausweislich des von ihm zur Akte gereichten Auszuges des Türkischen Staatsanzeigers (Resmi Gazete) vom 1. April 2001 gemäß Art. 25 c des Türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes wegen Wehrdienstentziehung. Diese Vorschrift knüpft als solche ihrer objektiven Gerichtetheit nach nicht an asylerhebliche Persönlichkeitsmerkmale an. Auch im Übrigen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Ausbürgerung des Klägers in Wahrheit um eine (verdeckte) politisch motivierte Repressionsmaßnahme handelt. Dies macht der Kläger auch nicht geltend. Nach der in das Verfahren eingeführten Auskunftslage zum Thema Wehrdienstentziehung und Ausbürgerung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, das türkische Staatsangehörige aus politischen Gründen, z.B. wegen oppositioneller Betätigung, ausgebürgert werden (Auswärtiges Amt v. 2.6.1998 an VG Bremen; v. 28.9.1998 an VG Stuttgart; v. 11.2.1999 an VG Düsseldorf; v. 6.2.2002 an VG Weimar; v. 6.4.2005 an das Hamburgische OVG; Rumpf v. 6.7.2001 an VG Gießen). Infolgedessen spricht auch nichts dafür, dass die Ausbürgerung des Klägers wegen Wehrdienstentziehung in Wahrheit (auch) wegen der von ihm behaupteten regimefeindlichen Aktivitäten erfolgt sein könnte.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger demgegenüber auf die Richtlinie 2004/83/EG (EGRL 83/2004) des Rates der Europäischen Union vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge (sogenannte Qualifikationsrichtlinie). Dabei kann offen bleiben, welche Rechte diese EU-Richtlinie staatenlosen Flüchtlingen vermittelt, insbesondere, ob staatenlose Flüchtlinge daraus einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte herleiten und im Rahmen eines bereits anhängigen Asylrechtsstreits geltend machen können, da diese EU-Richtlinie von der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht umgesetzt worden ist und die Umsetzungsfrist des Artikel 38 Abs. 1 erst am 10. Oktober 2006 abläuft.