VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 21.07.2006 - 3 A 263/05 - asyl.net: M8503
https://www.asyl.net/rsdb/M8503
Leitsatz:

Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Schutzes des Privatlebens nach Art. 8 EMRK nach langjährigem Aufenthalt und guter Integration.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ausreisehindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Duldung, Privatleben, freiwillige Ausreise, abgelehnte Asylbewerber, Ablehnungsbescheid, Ausländerbehörde, Bindungswirkung, Zumutbarkeit, Aufenthaltsdauer, Integration, Familienangehörige, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Lebensunterhalt
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 2 Abs. 3 S. 1; AsylVfG § 42 Abs. 1
Auszüge:

Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Schutzes des Privatlebens nach Art. 8 EMRK nach langjährigem Aufenthalt und guter Integration.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger haben Anspruch auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.

Rechtsgrundlage für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse ist § 25 Abs. 5 AufenthG.

Der Begriff der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG umfasst dabei sowohl die freiwillige Ausreise als auch die zwangsweise Rückführung. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG kommt deswegen nur dann in Betracht, wenn sowohl die freiwillige Ausreise als auch eine Abschiebung in dem von der Vorschrift genannten Sinne unmöglich ist (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 6.4.2005 - 11 S 2779/04 -, zitiert nach juris).

Die Ausreise ist den Klägern rechtlich unmöglich. Rechtlich unmöglich sind freiwillige Ausreise und Abschiebung, wenn ihnen Gründe entgegenstehen, die sich aus dem rechtlichen Verhältnis des Ausländers zu der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Da die Fälle, in denen zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2,3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen, bereits von § 25 Abs. 3 AufenthG erfasst werden, sind rechtliche Gründe im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG allein inlandsbezogene Gründe. Soweit - wie hier - das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestandskräftig festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG für die Kläger zu 1. bis 4. nicht vorliegen, ist es darüber hinaus wegen der aus § 42 Abs. 1 AsylVfG für die Ausländerbehörde folgenden Bindungswirkung, die auch nach dem 1. Januar 2005 weiter besteht, ausgeschlossen, ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen eines Sachverhaltes anzunehmen, der in den Anwendungsbereich des § 53 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG fällt (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 6.4.2005 - 11 S 2779/04 - zitiert nach juris: OVG NRW, Beschl. v. 15.2.2005 - 18 A 4080/03 - , zitiert nach juris).

Rechtliche Gründe im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sind insbesondere solche, die sich aus vorrangigem Recht, so aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 6 GG, dem aus dem Rechtsstaatsprinzip Art. § 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Art. 8 EMRK ergeben. Maßgeblich ist, ob es dem Ausländer aus Rechtsgründen zumutbar ist, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Raum für eine darüber hinausgehende allgemeine Zumutbarkeitsprüfung besteht nicht (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 24.10.2005 - 8 LA 123/05 -; Urt. v. 29.11.2005 - 10 LB 84/05 -; OVG NRW. Beschl. v. 7.2.2006 - 18 E 1534/05 -, zitiert nach juris; Beschl. v. 14.3.2005 - 18 E 195/05 -, InfAuslR 2005, 263).

Die Versagung der Aufenthaltserlaubnisse für die Kläger stellt einen Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben dar, der nicht durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt ist. Nach Art. 8 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieser Rechte ist nur dann statthaft, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral und zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK). Dabei umfasst das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln, und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen. Die Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK darf allerdings nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat. Entscheidend ist vielmehr, ob der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt. Dementsprechend ist maßgeblich in diesem Zusammenhang nicht die tatsächliche Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise, sondern ob es dem Ausländer aus Rechtsgründen zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen. Ein derartiger Eingriff ist auch dann, wenn er auf einer innerstaatlichen Rechtsgrundlage beruht und ein legitimes Ziel verfolgt, etwa die Aufrechterhaltung der Ordnung im Fremdenwesen, nur dann notwendig, wenn kein Missverhältnis zwischen den angewandten Mitteln und dem verfolgten Ziel besteht. Die Behörden müssen einen gerechten Ausgleich zwischen dem legitimen Ziel der Aufrechterhaltung der Ordnung und dem Interesse der Ausländer am Schutz ihrer durch Art. 8 EMRK garantierten Rechte vornehmen (vgl. EGMR, Urt. v. 16.06.2005 - 60654/00 - InfAuslR 2005, 349; OVG NRW, Beschl. v. 7.2.2006 - 18 E 1534/05 - m. w. N., zitiert nach juris).

Im vorliegenden Fall stellt die Versagung der Aufenthaltserlaubnisse für die Kläger einen Eingriff in ihr durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Privatleben dar. Die Kläger zu 1. bis 3. halten sich bereits seit 14 Jahren im Bundesgebiet auf bzw. sind die Kläger zu 4. bis 8. in Deutschland geboren. Sie sind nicht wesentlich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Kläger zu 1. und 2. sprechen gut deutsch. Die Kläger haben in Deutschland Kontakte nicht nur mit eigenen Landsleuten, sondern auch zu Deutschen, dies insbesondere über die Schule, die die Kläger zu 3. bis 8. besuchen, aber auch aufgrund der Arbeit des Klägers zu 1. im Autohandel.

Der Kläger zu 1. sichert durch seine Arbeit auch seit mindestens 5 Jahren den Unterhalt der Familie im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG. Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass der Arbeitsverdienst des Klägers zu 1. zusammen mit dem bezogenen Kindergeld noch 600,00 EUR unter dem Mindestsozialhilfesatz einschließlich der Miete liege, ergibt sich daraus nicht, den Lebensunterhalt der Kläger nicht als gesichert und damit die Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als nicht erfüllt anzusehen. Denn nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist nicht maßgebend, ob ein Verdienst erzielt wird, der dem Sozialhilfesatz entspricht, sondern allein darauf, dass der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestritten werden kann. Dass dies hier der Fall ist, zeigt sich daran, dass die Familie der Kläger seit mindestens fünf Jahren von Sozialhilfeleistungen unabhängig ist.

Darüber hinaus ist die Familie der Kläger auch über Familienmitglieder in Deutschland verwurzelt. Der Vater der Klägerin zu 2. lebt seit 37 Jahren in Deutschland und ist mittlerweile eingebürgert. Ihre Mutter befindet sich derzeit im Einbürgerungsverfahren.

Die weiteren Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 Aufenthaltsgesetz sind erfüllt, wonach die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, wenn die Abschiebung 18 Monate lang ausgesetzt ist. Dass die Kläger die Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG verschuldet haben, ist nicht erkennbar.