Im Allgemeinen keine hinreichende Gefährdung durch Straftaten im Namen der Familienehre in der Türkei, da ausreichender staatlicher Schutz zur Verfügung steht.
Im Allgemeinen keine hinreichende Gefährdung durch Straftaten im Namen der Familienehre in der Türkei, da ausreichender staatlicher Schutz zur Verfügung steht.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen i.S.v. § 60 Abs. 2-7 AufenthG.
Die allgemeine Lage in der Türkei stellt sich so dar, dass - wie gerade Erkenntnisquellen aus jüngerer Zeit belegen - die Problematik der Straftaten bis hin zu Tötungsdelikten zur Aufrechterhaltung der Familienehre nach wie vor aktuell ist (vgl. etwa die Studie: Ehrenmord (Stand November 2005) von Myriam Böhmecke, Terre des Femmes e.V. ; die Informationsschrift "Ehrenmorde" des Informationszentrums Asyl und Migration, November 2005; den Aufsatz "Ehrenmorde" in der Türkei, Philipp Thalheimer, Einzelentscheiderbrief Juni 2005; sowie das Sachverständigengutachten von Serafettin Kaya vom 20.02.2005 an VG Schleswig). Dabei hat im Türkischen Ehre viele Bedeutungen, die von einem erreichten Status über Großzügigkeit hin zu bestimmten physischen und moralischen Qualitäten, die Frauen haben sollten, reichen (Böhmecke, a.a.O., S. 12; vgl. ausführlich zu den historischen und soziologischen Hintergründen auch Dr. Ilhan Kizilhan, Konflikte und Konfliktlösungen in patriarchalischen Gemeinschaften am Beispiel von Solidargruppen in Ostanatolien, April 2002, zitiert nach Internet: http:/www.nadir.org/nadir/initiativ/kurdi-almani-kassel/kultur/patriarchal.htm).
Die Auskunftslage zu den staatlichen Sanktionen gegenüber den Straftätern einerseits und den Schutzmöglichkeiten für die (potentiellen) Opfer andererseits stellt sich dergestalt dar, dass bereits in der Vergangenheit nicht davon ausgegangen werden konnte, dass die türkischen staatlichen Stellen bei einer "Blutrache" tatenlos zusehen (vgl. die Stellungnahme von Kamil Taylan an VG Wiesbaden vom 09.11.2992; Auswärtiges Amt, Auskünfte an VG Wiesbaden vom 18.12.1992 - 514-516/13931 -, an das Ordnungsamt der Universitätsstadt Gießen vom 24.03.1999, an VG Schleswig vom 17.07.2002 - 508-516.80/39493). Von daher sah das Gericht bislang keinen Anlass, die Schutzwilligkeit und die Schutzfähigkeit des türkischen Staates in Frage zu stellen (vgl. etwa Urteil der Kammer vom 22.06.1995 - 6 K 11 0/95.A - und Beschluss vom 29.05.2002 - 6 F 40/02.A). In jüngerer Zeit sind zudem durch Strafrechtsreformen gerade auch die Sanktionsmöglichkeiten bei solchen Straftaten erhöht worden, wobei diese Reformen auch bereits zu konkreten Verurteilungen geführt haben (vgl. Thalheimer a.a.O. m.w.N.). Von daher besteht nach wie vor keine Veranlassung zu einer Änderung der Rechtsprechung.
Sofern die Kläger die Schutzfähigkeit des türkischen Staates in Frage stellen, muss gesehen werden, dass ein lückenloser Schutz keinem Staat, auch nicht der Bundesrepublik Deutschland möglich ist. In der vorliegenden Fallkonstellation kommt hinzu, dass ein Einschreiten staatlicher Stellen zum Schutz (potentieller) Opfer zwangsläufig voraussetzt, dass konkrete Hinweise auf eine solche Gefährdung vorlägen (vgl. auch Taylan a.a.O. 8 vgl. Kizilhan a.a.O.). Hieran dürfte es in einer nicht unerheblichen Zahl der Fälle fehlen.
Von daher müssen sich von solchen Straftaten potentiell Betroffene grundsätzlich darauf verweisen lassen, die staatlichen Schutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Hinzu kommt, dass es möglich und den Betroffenen regelmäßig auch zumutbar ist, sich den Nachstellungen seitens der Familie durch Wohnsitznahme in anderen Landesteilen und Städten als dem Ort ihrer ursprünglichen Herkunft zu entziehen. Zwar wird vielfach von den Betroffenen eingewandt, der Familie sei alles möglich. Hierbei handelt es sich allerdings nach Auffassung des Gerichts regelmäßig um eine subjektive Sicht, die aus der Situation heraus nachvollziehbar sein mag, die jedoch die objektive Gefährdungssituation, die hier allein maßgeblich ist, nicht widerspiegelt. Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen, bleibt die Wahrscheinlichkeit, dass Personen, die Zuflucht vor ihrer Familie an anderen Orten des Landes suchen, von der Familie aufgespürt und mit Zwangsmaßnahmen überzogen werden, so weit hinter der Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung zurück, die bei einer staatlichen Verfolgung anzunehmen wäre, dass die Kriterien für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nicht erfüllt werden. Diese Bewertung rechtfertigt sich aus einem Vergleich der einem staatlichen Verfolgungsapparat regelmäßig zur Verfügung stehenden logistischen und personellen Möglichkeiten mit denjenigen selbst einer Großfamilie. Der größte Risikofaktor für das Entdecktwerden dürfte insofern das eigene (unvorsichtige) Verhalten der Betroffenen darstellen, das allerdings bei der Beurteilung hier ebenso wenig berücksichtigt werden kann wie dies bei der Verfolgung durch staatliche Stellen geschieht.
Nach alledem steht bereits die allgemeine Lage in der Türkei der Feststellung eines Abschiebungsverbotes wegen der angeblichen Verstrickung der Kläger in eine Familienfehde entgegen.
Soweit die Antragsteller nunmehr geltend machen, sie gehörten der Volksgruppe der "Mahalmi" an, gebietet auch dieser Umstand keine andere Beurteilung. So sind nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen (vgl. Oberdiek, Gutachten zur Situation arabischstämmiger Bewohner der Provinz Mardin vom 13.01.2001) allein in der türkischen Provinz Mardin etwa 15 % der Einwohner (100.000) arabischer Abstammung, wobei hiervon die größte Gruppe die "Mahalmi" sind. Insgesamt stellen die Araber mit etwa 950.000 Personen die zweitgrößte ethnische Minderheit in der Türkei dar (vgl. Auswärtiges Amt an VG Bremen vom 24.02.1998, A 1368b der Dokumentation Türkei).
Die Kläger sind von daher darauf zu verweisen, dass sie durch eine Rückkehr in Gebiete, in denen zahlreiche arabischstämmige Personen leben, erreichen können, dass sie sich in einem Umfeld bewegen können, in dem sie sich sprachlich verständigen können. Zudem ist es den Antragstellern auch zuzumuten und angesichts der in der mündlichen Verhandlung deutlich gewordenen intellektuellen Fähigkeiten auch möglich, die türkische Sprache zu erlernen.