VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.03.2006 - 16 B 67/04 - asyl.net: M8344
https://www.asyl.net/rsdb/M8344
Leitsatz:
Schlagwörter: Krankheit, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, posttraumatische Belastungsstörung, Suizidgefahr, ärztliche Begleitung, Abschiebung
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wird.

Vorliegend sind sowohl ein Anordnungsgrund - aufgrund der drohenden Abschiebung - als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Es ist davon auszugehen, dass die Abschiebung der Antragstellerin zu 1 iSv § 60a Abs. 2 u. § 25 Abs. 5 AufenthaltsG aus tatsächlichen Gründen, nämlich wegen der mit ihrer PTBS-Erkrankung verbundenen akuten Suizidgefahr im Falle der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, unmöglich ist und iSv § 25 Abs.5 AufenthaltsG mit einem Wegfall dieses Abschiebungs- bzw. Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

Soweit der Antragsgegner demgegenüber unter Berufung auf die Entscheidung des OVG Münster vom 16.12.2004 und die dortigen Ausführungen einwendet, vorgetragene Suizidgefahren würden einer Abschiebung in Form einer begleiteten Rückführung nicht entgegenstehen, vermag dies hier keine andere Entscheidung zu rechtfertigen.

Vorliegend geht es angesichts der eindeutigen Einschätzungen des Amtsarztes und des von der Antragstellerin zu 1 herangezogenen Facharztes für psychotherapeutische Medizin Dr. ... nicht um bloß von der Antragstellerin zu 1 behauptete Suizidabsichten, sondern um die akute Gefahr, dass die Antragstellerin zu 1 sich bereits bei der konkret bevorstehenden Abschiebung das Leben nimmt, ohne dass dies durch die Anordnung einer ärztliche Begleitung während der Rückführung, die naturgemäß erst später einsetzen würde, verhindert werden könnte. Der vom Antragsgegner erhobene Einwand, die Antragstellerin zu 1 habe "Aussagen zur Suizidalität nur aufgrund großer Beharrlichkeit bei den Nachfragen gemacht", begründet gerade keine Zweifel an den getroffenen Feststellungen zur drohenden Suizidgefahr. Vielmehr hat der Facharzt für psychotherapeutische Medizin Dr. ... nicht etwa durch Nachfragen eine eigentlich nicht oder nicht akut bestehende Suizidgefahr festgestellt, sondern - wie auf Seite 16 des Gutachtens überzeugend dargestellt - aufgrund der Persönlichkeit und dem Krankheitsbild der Antragstellerin zu 1, die in ihrem Verhalten "nicht demonstrativ" ist, erst durch seine Beharrlichkeit eine vorhandene akute Suizidgefahr ermittelt, die gerade, weil die Antragstellerin zu 1 ihre Suizidabsichten nicht von sich aus "demonstrativ" offenbart, befürchten lässt, dass ein Suizidversuch "erfolgreich" wäre.