OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.03.2006 - 8 A 4908/05.A - asyl.net: M8092
https://www.asyl.net/rsdb/M8092
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Asylanerkennung, Familienasyl, Sippenhaft, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Vorverfolgung, Reiseausweis, Passausstellung, Auslandsvertretung
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AufenthG § 73 Abs. 1 S. 1; AuslG § 51 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 8; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

a) Die von der Klägerin in der Antragsschrift aufgeworfene Frage, "ob eine Asylberechtigung, die aufgrund von Sippenhaft oder aber "Familienasyl" zugesprochen worden ist, widerrufen werden kann, wenn die Asylberechtigung für den originär Asyl Erhaltenden (Stammvater der Familie) widerrufen wird, nicht aufgrund von Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland, sondern im Hinblick auf § 51 Abs. 3 AuslG und damit einer weiter drohenden politischen Verfolgung im Herkunftsland, im vorliegenden Falle die Türkei, auch das Familienasyl/Sippenhaftproblem für die Familienangehörigen widerrufen kann, wenn der ehemalige Inhaber des originären Asylanspruchs in seinem Heimatland (hier die Türkei) weiterhin aus politischen Gründen verfolgt wird", rechtfertigt - unabhängig davon, ob und inwieweit sie sich in dem vorliegenden Verfahren überhaupt stellt - schon deshalb nicht die Zulassung der Berufung, weil sie einer allgemein gültigen Klärung nicht zugänglich ist; sie ist vielmehr nur anhand der jeweils maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten.

b) Die weiterhin von der Klägerin aufgeworfene Frage, "ob der Klägerin die Tatsache, dass die türkische diplomatische Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland ihr keinen Reiseausweis ausstellt, sondern man sie über einen Zeitraum von 6 Monaten immer wieder vertröstet hat, nicht bereits die Intensität einer politischen Verfolgung hat, wenn der Ehemann in der Türkei politisch motiviert zu einer lebenslangen schweren Haftstrafe verurteilt wurde", vermag ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung zu begründen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Annahme einer politischen Verfolgung voraus, dass die Eingriffe und Beeinträchtigungen des Betroffenen eine Schwere und Intensität aufweisen, die die Menschenwürde verletzen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143; BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 1988 - 9 C 37.88 -, BVerwGE 80, 321).

Eine derartigen Schwere und Intensität liegt offensichtlich nicht vor, wenn die diplomatische Vertretung des Heimatlands eines Ausländers über sechs Monate hinweg die Ausstellung eines Reisepasses verweigert.

c) Die von der Klägerin aufgeworfenen Frage, "ob nicht beim Widerruf des Asyls bei einem Asylberechtigten, der seine Berechtigung erhielt aufgrund der angenommenen Sippenhaft/(Familienasyl) für die Prognose der herabgestufte Maßstab anzuwenden ist, da ja mit der Asylanerkennung (Sippenhaft) eine latente Gefährdungslage angenommen wurde", führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Auf der Grundlage der Feststellungen des Verwaltungsgerichts stellt sich diese Frage nicht. Vorliegend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin ihr Heimatland unverfolgt verlassen hat. Ausgehend davon besteht keine Veranlassung, im Zusammenhang mit der nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entscheidenden Frage, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte und für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG/§ 60 Abs. 1 AufenthG in der Person der Klägerin weiterhin gegeben sind, den herabgestuften Prognosemaßstab anzuwenden.