VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 22.02.2006 - 2 E 2540/05.A - asyl.net: M8076
https://www.asyl.net/rsdb/M8076
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Christen, religiös motivierte Verfolgung, Kriminelle, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Entführung, Erpressung, Krankheit, Abschiebungshindernis, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Erlasslage, Abschiebungsstopp
Normen: GG Art. 16a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Das von dem Kläger mit seinem Rechtsschutzbegehren verfolgte vorrangige Ziel, in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt zu werden, ist auf der Grundlage des durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.06.1993 (BGBl. I S. 1002) am 30.06.1993 in Kraft getretenen Art. 16a Abs. 1 GG zu beurteilen.

Bei Anwendung dieser Grundsätze gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass der Kläger Irak nicht als politisch Verfolgter verlassen hat.

Auch wenn von einer erheblichen Verschlechterung der Situation religiöser Minderheiten, so insbesondere auch der Christen im Irak ausgegangen werden muss (vgl. Lagebericht Auswärtiges Amt, November 2005; UNHCR: Hintergrundinformation zur "Gefährdung von Angehörigen religiöser Minderheiten im Irak", Oktober 2005), so hat sich dieses Gefährdungspotential und insbesondere die Frage der Zuordnung zu staatlichen Stellen derzeit noch nicht soweit verdichtet, dass von einer gezielten staatlichen Verfolgung religiöser Minderheiten ausgegangen werden kann. Nach der Auskunftslage und auch den umfassenden Schilderungen des Klägers sowie seiner Tochter in der mündlichen Verhandlung könnte sich aber eine Entwicklung dieser Art anbahnen.

Aus den gleichen Gründen steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu, der im Wesentlichen deckungsgleich ist mit den Voraussetzungen des Asylgrundrechts nach Art. 16 a GG.

Es liegen jedoch sowohl die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 als auch Abs. 7 AufenthG vor.

Nach den Angaben des Klägers, seines Bevollmächtigten und der ebenfalls anwesenden Tochter des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der aktuellen Auskunftslage sind Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich im Irak zunehmend Gruppierungen bilden, die gezielt gegen Angehörige religiöser Minderheiten vorgehen, diese entführen, misshandeln, Lösegelder erpressen und dadurch zu deren Vertreibung beitragen. Inwieweit solche Übergriffe von kriminellen Gruppierungen oder sogar von aus dem Bereich der Polizei stammenden sogenannten Todesschwadrone auszugehen, lässt sich derzeit noch nicht eindeutig sagen. Wahrscheinlich ist, dass solche Übergriffe sowohl von "einfachen" Kriminellen als auch von gezielt vorgehenden, staatlichen Institutionen nahe stehenden, Gruppierungen verübt werden. Es ist des weiteren nicht davon auszugehen, dass die an der Macht befindliche Schiitenallianz diesen religiösen Minderheiten Schutz gewährt, wenn nicht sogar die dadurch bedingte Vertreibung religiöser Minderheiten bewusst geduldet oder gar veranlasst wird.

Die Beklagte ist des weiteren verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG in der Person des Klägers vorliegen.