OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Beschluss vom 07.12.2005 - 1 Bs 388/05 - asyl.net: M7589
https://www.asyl.net/rsdb/M7589
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Afghanistan, Abschiebung, Treu und Glauben, Duldung, Verlängerung, Widerruf, Erlöschen, auflösende Bedingung, Abschiebungsankündigung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60a Abs. 5 S. 4; AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg. Der Antragsgegnerin ist im Wege einstweiliger Anordnung zu untersagen, die Antragsteller am 7. Dezember 2005 nach Afghanistan abzuschieben. Zu Recht berufen sich die Antragsteller darauf, dass ihre zwangsweise Abschiebung am 7. Dezember 2005 gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.

Die Antragsgegnerin setzt sich mit der am heutigen 7. Dezember 2005 begonnenen Abschiebung der Antragsteller in Widerspruch zu der von ihr noch vor 2 Tagen verlängerten Duldung des Antragstellers zu 1). Zwar hat sie die den Antragstellern ausgestellten Duldungen am 6. Dezember 2005 widerrufen und erlöschen die am 21. November 2005 und 5. Dezember 2005 verlängerten Duldungen der Antragsteller nach den ihnen beigefügten auflösenden Bedingungen mit dem Wegfall der der Abschiebung entgegenstehenden tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse. Auch spricht viel dafür, dass die der Abschiebung entgegenstehenden tatsächlichen Hindernisse entfallen waren, nachdem Flugplätze in der Maschine nach Afghanistan frei geworden waren. Die Antragsteller mussten sich aber nicht darauf einstellen, bereits am Morgen des 6. Dezember 2005 verhaftet und anschließend abgeschoben zu werden. Insoweit reicht im vorliegenden Falle nicht aus, dass die Antragsgegnerin ihnen ihre Abschiebung mit Schreiben vom 30. September 2005 gem. § 60 a Abs. 5 Satz 4 AufenthG angekündigt hatte und sie sich auf eine baldige Abschiebung einstellen mussten. Denn die Antragsteller durften darauf vertrauen, dass die Antragsgegnerin nicht überraschend davon absehen würde, ihnen einen Termin zu nennen, zu dem sie sich für den Flug nach Afghanistan einzufinden hatten. Die Antragsgegnerin hatte nicht nur die Duldung des Antragstellers zu 1) noch am 5. Dezember 2005 um 2 Wochen verlängert. Die Antragsteller waren auch zuvor den verschiedenen Aufforderungen der Antragsgegnerin gefolgt, bei ihr vorzusprechen. Entsprechend dem Vorschlag der Antragsgegnerin hatten sie sich noch im Oktober an die Flüchtlingshilfe gewendet, um sich über die Modalitäten einer freiwilligen Ausreise beraten zu lassen. Die Flüchtlingshilfe hatte daraufhin in ihrem Namen an die Antragsgegnerin geschrieben, mit dem Begehren, ihnen den Abschluss der schulischen Nachqualifikation der Antragstellerin zu 2) bis zum 31. Juli 2006 zu ermöglichen und so ihre Wiedereingliederung in Afghanistan zu erleichtern. Am 3. November und 5. Dezember 2005 hatten sie aufforderungsgemäß bei der Antragsgegnerin vorgesprochen und eine Schulbescheinigung eingereicht. Noch am 2. Dezember 2005 scheint die Antragsgegnerin der Prozessbevollmächtigen der Antragsteller mitgeteilt zu haben, dass gegenwärtig keine Abschiebung geplant sei. Bei dieser Sachlage mussten die Antragsteller nicht damit rechnen, am frühen Morgen des 6. Dezember 2005 verhaftet und bereits am 7. Dezember 2005 zwangsweise abgeschoben zu werden, ohne Gelegenheit zu erhalten, kurzfristig ihre Ausreise vorzubereiten und sich beispielsweise mit geeigneter Kleidung auszustatten, um den Unbillen des afghanischen Winters notfalls in einer Zeltunterkunft trutzen zu können.

Demgegenüber vermag sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass sie erst nach der am 6. Dezember 2005 erfolgten Vernehmung der Antragsteller durch die Bundespolizei habe beurteilen können, ob die Staatsanwaltschaft für ihr Ermittlungsverfahren gegen eine Gruppe von "Schleusern" Wert auf die weitere Anwesenheit der Antragsteller legen würde. Der Sachbearbeiterin der Antragsgegnerin war bereits bei der Verlängerung der Duldung am 5. Dezember 2005 bekannt, dass die Antragsteller im August 2005 versucht hatten, mit gefälschten Papieren über Amsterdam nach Kanada auszureisen. Sie dürfte auch gewusst haben, dass deshalb am Folgetag eine Durchsuchung der Wohnunterkunft der Antragsteller anstand. Denn sie scheint zusammen mit der Bundespolizei am frühen Morgen des 6. Dezember 2005 bei den Antragstellern erschienen zu sein, um diese aufzufordern, ihre Habe für den Flug nach Afghanistan zu packen. Die Antragsgegnerin hat mit der Verlängerung der Duldung am 5. Dezember 2005 die Antragsteller letztlich gleichsam "in Sicherheit gewiegt", dass ihr Abschiebung nicht überraschend in den nächsten Tagen erfolgt. Damit verträgt sich ihre Abschiebung am 7. Dezember 2005 im Anschluss an ihre am 6. Dezember 2005 erfolgte Verhaftung und die Ablehnung der zur Sicherung der Abschiebung beantragten Abschiebungshaft durch das Amtsgericht Hamburg nicht.