VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 05.07.2005 - 9 UZ 364/05 - asyl.net: M7549
https://www.asyl.net/rsdb/M7549
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, ernstliche Zweifel, Aufenthaltserlaubnis, Schutz von Ehe und Familie, Scheinvaterschaft, Vaterschaftsanerkennung, Kinder, Familienzusammenführung, deutsche Kinder
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 3; BGB § 1598; RuStAG § 4 Abs. 1; StAG § 4 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

Der nach § 124 a Abs. 4 Satzv 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist begründet, da der Senat die von der Klägerin im Zulassungsantrag vom 20. Januar 2005 dargelegten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils - Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - teilt.

Das Verwaltungsgericht hat die Untätigkeitsklage der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgewiesen, weil u. a. ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG nicht gegeben sei. Die vorgenannte Bestimmung regele den Zuzug eines ausländischen Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge. Zwar habe der deutsche Staatsangehörige B. die Vaterschaft des am 18. Mai 2003 geborenen Kindes der Klägerin anerkannt. Aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten habe der Beklagte jedoch begründeten Anlass zu Zweifeln gehabt, ob die Anerkennung der Vaterschaft ihrer rechtlichen Bestimmung entsprechend oder möglicherweise in rechtsmissbräuchlicher Weise abgegeben worden sei. Solange die Gefahr eines ernsthaften Rechtsmissbrauchs im Raume stehe, könne die Klägerin auf die Vaterschaftsanerkennung einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nicht stützen.

Die Klägerin hat zu Recht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der vorgenannten Rechtsauffassung geäußert. Diese Zweifel stützen sich darauf, dass die Anerkennung der Vaterschaft zivilrechtlich nach § 1598 Abs. 1 BGB nur dann unwirksam ist, wenn sie den Erfordernissen der Vorschriften der §§ 1594 ff. BGB nicht genügt. Andere Gründe für die anfängliche Unwirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung kommen nicht in Betracht. Da die Anerkennung die Vaterschaft mit bindender Wirkung für und gegen alle klären soll, erachtet es das Gesetz für geboten, die Fälle, in denen die Anerkennung unwirksam ist, möglichst einzuschränken. Diese Einschränkung nimmt das Gesetz in zweifacher Hinsicht vor. Zum einen enthält der § 1598 Abs. 1 BGB eine besondere und abschließende Aufzählung der Gründe ursprünglicher Unwirksamkeit der Anerkennung; die im allgemeinen Teil des bürgerlichen Gesetzbuches vorgesehenen Gründe für die Unwirksamkeit einer Willenserklärung oder eines Rechtsgeschäfts gelten dagegen nicht. Darüber hinaus kann die Unwirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung nach Ablauf der in § 1598 Abs. 2 BGB vorgesehenen Fünfjahresfrist nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. dazu BGH, Urteil vom 19. Dezember 1984 - IV B ZR 86/82 - FamRZ 1985, 271). Daraus folgt zivilrechtlich insbesondere auch, dass die inhaltlich unrichtige oder wider besseres Wissen erklärte Anerkennung der Vaterschaft wirksam ist, bis sie erfolgreich durch Klage nach §§ 1599 ff. BGB angefochten wird (vgl. auch Wellenhofer-Klein in: Münchener Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2002, § 1598 Rdnr. 26; Palandt, Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch, 64. Aufl. 2005, § 1598 Rdnr. 2; KG Berlin, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 1 W 193/01 -, FamRZ 2002, 1725). Familienrechtlich hat damit der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass ein Mann die Vaterschaft wissentlich zu Unrecht anerkennt (vgl. dazu DIJuF-Rechtsgutachten vom 26. April 2000, DAVorm 2000, 467).

Die damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten, die darin bestehen, dass ein Deutscher eine Vaterschaft anerkennt, um einer ausländischen Frau und deren Kind ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu eröffnen (vgl. Renner, ZAR 1993, 118 [127]), hat der Gesetzgeber bei der durch Gesetz vom 30. Juni 1993 (BGBl. I, S. 1062) erfolgten Einbeziehung nichtehelicher Kinder deutscher Väter in die Regelung des § 4 Abs. 1 RuStAG erkannt, ohne dem durch gesetzgeberische Maßnahmen - mit Ausnahme der Beschränkung, dass die Anerkennungserklärung abgegeben sein muss, bevor das Kind das 23. Lebensjahr vollendet hat - entgegenzuwirken. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/4450, S. 36):

"Es ist offensichtlich, dass das von keinerlei biologischem Nachweis abhängige Anerkenntnis der Vaterschaft die Möglichkeit eines Missbrauchs dieser Vorschrift im Sinne der problemlosen Einwanderung nach Deutschland bietet. Andererseits erscheint es kaum vertretbar, an die Feststellung der Vaterschaft im Staatsangehörigkeitsrecht andere Maßstäbe anzulegen als im Familienrecht. Auch der Abstammungserwerb des ehelichen Kindes ist auf dem Hintergrund der familienrechtlichen Vorschriften geregelt."

Demzufolge bestehen ernsthafte Zweifel daran, ob gegen die deutsche Staatsangehörigkeit des Sohnes der Klägerin wirksam eingewendet werden kann, die Anerkennung der Vaterschaft durch B. sei in rechtsmissbräuchlicher Weise abgegeben worden. Denn nach der Gesetzesbegründung sollen im Staatsangehörigkeitsrecht dieselben Grundsätze wie Familienrecht mit der Folge gelten, dass (auch) die rechtsmissbräuchliche Vaterschaftsanerkennung bis zur erfolgreichen Anfechtung, zu der allerdings nur die in § 1600 Abs. 1 BGB genannten Personen berechtigt sind, als wirksam anzusehen ist.

Besitzt das am 18. Mai 2003 geborene Kind der Klägerin nach § 4 Abs. 1 Satz 2 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit, weil die Vaterschaftsanerkennung durch B. als wirksam anzusehen ist, liegen zugunsten der Klägerin auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (entspricht § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) vor.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 3. März 2005 - 13 S 3035/04 -, lnfAuslR 2005, 258 (vgl. auch vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 6. Februar 1997 - 1 B 122/96 -, juris) vermag an der vorgenannten Einschätzung nichts zu ändern. In diesem Beschluss ist zwar ausgeführt, dass es einer ausländischen Mutter verwehrt ist, ausländerrechtliche Ansprüche auf eine Vaterschaftsanerkennung zu stützen, die in bewusstem Zusammenwirken zwischen Mutter und angeblichem Vater in der missbräuchlichen Absicht abgegeben wurde, der Mutter unter Umgehung einfach rechtlicher Aufenthaltsbestimmungen den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu sichern. Dieser Entscheidung lag allerdings eine Fallgestaltung zugrunde, in welcher ein aufenthaltsberechtigter Ausländer die Vaterschaft anerkannt hatte und der es somit an einem staatsangehörigkeitsrechtlichen Bezug fehlte.