VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 02.03.2005 - 7 E 2645/04.AF(1) - asyl.net: M7537
https://www.asyl.net/rsdb/M7537
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für iranischen Staatsangehörigen wegen Engagements für Volksfedayin und Verfolgungsgefahr wegen Besitzes verbotener Bücher.

 

Schlagwörter: Iran, Studentendemonstrationen, Volksfedayin, Haft, Oppositionelle, verbotene Bücher, Flugblätter, Beleidigung des Propheten, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; Iran. StGB Art. 515
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für iranischen Staatsangehörigen wegen Engagements für Volksfedayin und Verfolgungsgefahr wegen Besitzes verbotener Bücher.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat als politisch Verfolgter gegen die Beklagte einen Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person vorliegen.

Das Gericht ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der Angaben des Klägers in seiner Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger wegen einer ihm unmittelbar drohenden und dem iranischen Staat zurechenbaren politischen Verfolgung sein Heimatland verlassen hat. Auch droht ihm bei seiner Einreise in den Iran mit hinreichender Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

Nach Auffassung des Gerichts drohte dem Kläger aufgrund dieser Geschehnisse vor seiner Ausreise eine Festnahme und möglicherweise eine längere Inhaftierung. Dies ergibt sich aus mehreren Gesichtspunkten. So waren mehrere Mitglieder der Familie des Klägers, wie auch er, bei den Volks-Fedayin aktiv. Neben der geflohenen Schwester ist auch ein Bruder des Klägers in der Haft gestorben. Der Kläger hat regimefeindliche Unterlagen, welche u.a. die Abschaffung der islamischen Republik zum Inhalt hatten, unter der iranischen Bevölkerung verteilt. Weiter war er aufgrund seiner früheren Verhaftung und Inhaftierung im Jahre 1999 bereits als äußerst kritisch gestimmter Oppositioneller dem Regime bekannt. Aufgrund der Hausdurchsuchung dürfte es staatlichen Behörden im Iran bekannt sein, dass der Kläger mehrere regimefeindliche Bücher besessen, gelesen und möglicherweise auch weitergegeben hat. Dies wird seitens des iranischen Regimes als ernstliche Bedrohung empfunden, da darin islamische Werte verunglimpft und der religiöse Führer Khomeini beleidigt wird (vgl. Auskunft des AA vom 12.02.2002 an das VG Mainz). Die islamkritischen Aussagen, in den vom Kläger aufbewahrten Bücher entsprachen auch seiner politischen Überzeugung.

Bei einer Rückkehr in den Iran können in der Person des Klägers Verfolgungsmaßnahmen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Aufgrund der Vorgeschichte des Klägers ist nicht auszuschließen, dass er im Falle seiner Rückkehr mit Überwachungsmaßnahmen und/oder Befragungen durch Sicherheitsbehörden zu rechnen hat. Die Beleidigung religiöser Führungspersönlichkeiten im Iran stellt eine deutliche Kritik an der Herrschaft der Rechtsgelehrten dar, was auch die derzeit herrschenden geistlichen Führer dort in Frage stellt und was seitens des iranischen Regimes als ernstliche Bedrohung empfunden wird. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein Interesse am Kläger staatlicherseits zwischenzeitlich erlahmt wäre. Wenn auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes der Wahrheitsgehalt der genannten Bücher in der iranischen Öffentlichkeit als sehr gering eingeschätzt wird und nicht davon auszugehen ist, dass iranische Stellen in den "Enthüllungen" dieser Bücher einen ernstzunehmenden Angriff gegen das Regime sehen und dem Auswärtigen Amt nicht bekannt ist, ob der Besitz dieser Bücher im Iran ausdrücklich unter Strafe gestellt ist, kann jedoch eine Anklage wegen Beleidigung des religiösen Führers Khomeini (Art. 515 des iranischen Strafgesetzbuches) nicht ausgeschlossen werden. Eine Beleidigung des Propheten, dessen Repräsentant der religiöse Führer darstellt, kann, was das Deutsche Orient-Institut in seiner Auskunft an das VG Gelsenkirchen vom 05.07.2001 bestätigt, mit der Hinrichtung bestraft werden. Zwar ist dies nach der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts gänzlich unrealistisch, aber es drohen im Falle der Prophetenbeleidigung Haftstrafen, möglicherweise auch Körperstrafen, wobei das Deutsche Orient-Institut diese Annahmen für den Besitz des Buches "Satanische Verse" von Salman Rushdi annimmt. Neben der möglichen Erfüllung des Straftatbestandes der Prophetenbeleidigung des islamischen Strafgesetzbuches wird dem Kläger eine große Nähe zu den Volks-Fedayin unterstellt. Eine Anknüpfung an eine vermutete Regimegegnerschaft des Klägers aufgrund seiner inhaltlichen Nähe zu dieser Gruppierung ist für das Bestehen einer Verfolgungssituation ausreichend. Insofern spielt es keine Rolle, ob der Kläger tatsächlich Mitglied bei den Volks-Fedayin oder ein ernsthafter Sympathisant dieser Gruppierung war. Nach den vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen sind die Mitglieder und Sympathisanten der Volks-Fedayin als linke Gruppierung vergleichbar den Volksmuddjaheddin stark gefährdet (vgl. Deutsches Orient-Institut an VG Sigmaringen vom 23.12.1999 und AI an VG Münster vom 06.07.1999).