VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 04.02.2005 - 15a K 6358/02.A - asyl.net: M7482
https://www.asyl.net/rsdb/M7482
Leitsatz:

§ 28 Abs. 2 AsylVfG ist nicht auf Fälle anwendbar, in denen die subjektiven Nachfluchtgründe bereits vor dem 1.1.2005 verwirklicht worden sind.

 

Schlagwörter: Togo, Folgeantrag, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung, UFC, Regimegegner, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Entscheidungszeitpunkt, Situation bei Rückkehr, Sippenhaft
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

§ 28 Abs. 2 AsylVfG ist nicht auf Fälle anwendbar, in denen die subjektiven Nachfluchtgründe bereits vor dem 1.1.2005 verwirklicht worden sind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die weitergehenden Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen der Kläger sind zulässig und mit dem jeweiligen Hauptantrag begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 2. Dezember 2002 erweist sich, soweit er die Kläger (und nicht deren Sohn) betrifft und im Anschluß an die Teilklagerücknahmen nach Maßgabe des Hauptklageantrages noch durch das Gericht zu überprüfen ist, als rechtswidrig. Die Kläger können aufgrund ihrer Asylfolgeanträge vom 18. September 2002 jeweils die begehrte Feststellung nach dem seit dem 1. Januar 2005 insoweit anzuwendenden § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - verlangen. Die Vorschriften des § 71 Abs. 1 bis 3 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - greifen zu ihren Gunsten mit der Folge ein, daß weitere Asylverfahren durchzuführen sind und ihnen daraufhin Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zusteht.

Im Hinblick auf den durch den Kläger zu 1. als Gründer und Vorsitzenden der Sektion der UFC in - zum Teil in Begleitung und mit der Unterstützung der mit ihm zusammenlebenden Klägerin zu 2. - seit April 2002 fortgeführten und gegen das togoische Regime gerichteten exilpolitischen Einsatz ist ferner davon auszugehen, daß beide Kläger bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland gegenwärtig und in absehbarer Zukunft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Maßnahmen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten haben.

Dabei hat das Gericht den ebenso erst seit dem 1. Januar 2005 geltenden § 28 Abs. 2 AsylVfG, wonach in den Fällen des jetzigen § 28 Abs. 1 AsylVfG (zuvor § 28 AsylVfG) eine Feststellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG in der Regel nicht mehr getroffen werden kann, nicht angewandt. Denn obwohl diese Vorschrift ohne ausdrückliche Übergangbestimmung in Kraft getreten ist, verbietet sich ihre Heranziehung zulasten der Kläger - unabhängig davon, ob ihre Voraussetzungen erfüllt wären, - nach allgemeinen prozessualen Regeln über die Rückwirkung von Gesetzen bzw. nach "ungeschriebenem Überleitungsrecht" schon deshalb, weil einerseits den Klägern bis zum 31. Dezember 2004 ein Anspruch auf den mit der Verpflichtungsklage begehrten Verwaltungsakt - d.h. auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG - zustand und andererseits nicht anzunehmen ist, daß mit der Gesetzesänderung diese von ihnen bereits erworbene Rechtsposition wieder aufgehoben werden sollte (dazu vgl. BVerwG, Urteile vom 12. September 1980 - 4 C 74.77 -,BVerwGE 61, 1 ff, und vom 5. Dezember 1989 - 8 C 17.87 -, BVerwGE 84, 157 ff; Kopp/ Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage, § 113 Rdnr. 226, 228, m.w.N.).

Das folgt insbesondere daraus, daß den Klägern, die auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Einfluß hatten, ansonsten Rechtspositionen verloren gehen könnten, die für sie von wesentlicher Bedeutung wären, und daß überdies der mit dem neuen § 28 Abs. 2 AsylVfG nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/420, zu Nr. 18) angestrebte Zweck - die Beseitigung des Anreizes, nach abgeschlossenem Asylverfahren durch die Schaffung von Nachfluchtgründen zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen, - sich bei ihnen, die ihre hier entscheidenden exilpolitischen Betätigungen bis Ende 2004 längst ausgeübt hatten, ohnehin nicht mehr verwirklichen ließe.

Bei einer Würdigung der innenpolitischen Verhältnisse in Togo ist nach der Rechtsprechung sämtlicher Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe, denen das Gericht folgt, zwar die Bewertung, daß dorthin zurückkehrende abgelehnte Asylbewerber schon wegen ihrer Asylantragstellung und eines daran anschließenden längeren Auslandsaufenthalts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit befürchten müssen, Opfer abschiebungsrelevanter Beeinträchtigungen zu werden, nicht zu rechtfertigen (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof - BayVGH -, Urteil vom 14. Januar 1997 - 25 BA 96.31993 -; Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht - ShOVG -, Urteil vom 23. März 1999 - 4 L 159/98 -; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG NRW -, Beschlüsse vom 19. April 1999 - 23 A 4894/95.A - und vom 17. Dezember 2002 - 11 A 11509 -; Oberverwaltungsgericht des Saarlandes - OVG Saarlouis -, Urteil vom 26. August 1999 - 1 R 5/99 -; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz - OVG RhPfalz -, Urteil vom 10. August 2000 - 1 A 11211/99.OVG - Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - VGH BaWü -, Urteile vom 22. November 2000 - A 13 S 1205/97 - und vom 25. März 2003 - A 9 S 1089/01 -; Thüringer Oberverwaltungsgericht - ThOVG -, Beschluß vom 12. Dezember 2000 - 2 KO 802/98 -; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - OVG LSA -, Urteil vom 16. Januar 2003 - A 2 S 412/98 -; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht - OVG HH -, Urteil vom 25. April 2003 - 1 Bf 362/02.A -).

Ebenso bewirkt nach der Auffassung des Gerichts, das sich auch der insoweit im Ergebnis übereinstimmenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe anschließt (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. April 1999 - 23 A 4894/98.A - und vom 17. Dezember 2002 - 11 A 1150/00.A -; ShOVG, Urteil vom 23. März 1999 - 4 L 159/98 -; BayVGH, Urteil vom 30. März 1999 - 25 BA 95.34283 -; VG Saarlouis, Urteil vom 26. August 1999 - 1 R 5/99 -; OVG RhPfalz, Urteil vom 10. August 2000 - 1 A 11211/99.OVG; VGH BaWü, Urteile vom 22. November 2000 - A 13 S 1205/97 -, vom 25. März 2003 - A 9 S 1089/01 -, VBlBW 2003, 362, und vom 20. April 2004 - A 9 S 848/03 -; ThOVG, Beschluß vom 12. Dezember 2000 - 2 KO 802/98 -; OVG LSA, Urteil vom 16. Januar 2003 - A 2 S 412/98 -; OVG HH, Urteil vom 25. April 2003 - 1 Bf 362/02.A -), bei einem unverfolgt ausgereisten Bürger dieses Staates allein die Mitgliedschaft in einer regimekritischen, aber gewaltfrei eingestellten Exilorganisation seines Landes nebst den damit verbundenen gewöhnlichen Aktivitäten (z.B. Teilnahme an Veranstaltungen und interne Weitergabe von Informationen) noch keine beachtlich wahrscheinliche Rückkehrergefährdung.

Anders kann es allerdings dann liegen, wenn dieses Engagement in der individuellen Situation in der unten umschriebenen Weise besonders herausragt.

In jüngerer Zeit hat das Auswärtige Amt seine diesbezügliche Einschätzung dahingehend zusammengefaßt, daß die togoische Staatsführung sich lediglich dann in verfolgungsrelevanter Weise gefährdet fühlen werde, wenn der Betroffene erkennen lasse, daß er dauerhaft gewillt sei, zum Sturz des aktuellen Regimes beizutragen (vgl. AA, Auskunft vom 2. Februar 2004 an das VG Arnsberg - 508-516.80/41560 -), darüber hinaus hat es in seinem aktuellen Lagebericht nicht nur auf die seit dem Antritt der neuen Regierung im August 2003 ohnehin erkennbare ruhigere Gangart der staatlichen Stellen gegenüber der Opposition und den privaten Medien, sondern ferner darauf hingewiesen, daß seitdem Fälle extralegalen Vorgehens gegen private Medien und oppositionelle Parteimitglieder zunächst spürbar nachgelassen und in den letzten Monaten ganz aufgehört hätten und daß seit Anfang 2004 Verurteilungen nach den im September 2002 verschärften presserechtlichen Vorschriften trotz äußerst kritischer und zum Teil schlecht recherchierter Berichterstattung in den freien Medien nicht mehr stattgefunden hätten (vgl. AA, Lagebericht, S. 4, 12, S. 7, 11 1 c, S. 11, 12, 11 1 f, S. 13).

Das Gericht hält eine solche Bewertung der Verfolgungswahrscheinlichkeit für ehemalige togoische Asylbewerber, die im Ausland exilpolitisch tätig waren, für überzeugend.