BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 30.08.2005 - 1 C 29.04 - asyl.net: M7371
https://www.asyl.net/rsdb/M7371
Leitsatz:
Schlagwörter: Abschiebungsandrohung, Abschiebungsandrohung auf Vorrat, Rechtsschutzbedürfnis, Rechtsgrundlage, Haft, Abschiebung
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 5 S. 1; AsylVfG § 18a Abs. 2; AsylVfG § 34 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 59
Auszüge:

Die vorsorgliche Androhung der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber "für den Fall der erneuten unerlaubten Wiedereinreise" ist - außer für die Sonderfälle im so genannten Flughafenverfahren nach § 18 a Abs. 2 AsylVfG - im Gesetz nicht vorgesehen und daher unzulässig.

(Amtlicher Leitsatz)

Gegenstand der Revision ist nur die Anfechtung der Abschiebungsandrohung für den Fall der unerlaubten Wiedereinreise der Klägerin (Ziff. 4 Satz 6 des Bescheides vom 21. August 2000).

1. Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt der Klägerin nicht das Rechtsschutzbedürfnis für ihr Anfechtungsbegehren. Allerdings enthält Ziff. 4 des Asylablehnungsbescheides vom 21. August 2000 in den Sätzen 1 und 4 jeweils eine - insoweit nach rechtskräftiger Abweisung der Klage bestandskräftig gewordene - Androhung der Abschiebung (aus der Haft bzw. für den Fall der Haftentlassung). Diese Androhungen sind geeignet, wie die Beklagte nicht zu erkennen scheint, auch die Wirkung zu entfalten, dass auf eine erneute Androhung im Fall der Wiedereinreise unter den Voraussetzungen des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG verzichtet werden kann. Es trifft deshalb schon im Ausgangspunkt nicht zu, dass - wie die Beklagte zur Rechtfertigung ihres Vorgehens vor allem geltend macht - ohne die vorsorgliche Abschiebungsandrohung für den Fall der Wiedereinreise derjenige Ausländer besser stehe, der aus der Haft abgeschoben werde, als der, der aus der Haft entlassen und erst danach abgeschoben werde. Dies steht aber dem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht entgegen. Denn die angefochtene Androhung in Ziff. 4 Satz 6 geht in ihren Rechtswirkungen über das hinaus, was § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG anordnet. Die Abschiebungsandrohung für den Fall der unerlaubten Wiedereinreise der Klägerin bezieht sich nach ihrem nicht einschränkenden Wortlaut nicht lediglich auf eine Einreise zur Durchführung eines asylrechtlichen Folgeverfahrens, sondern betrifft jede "erneute unerlaubte Wiedereinreise". Damit stellt sie aber einen über § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG hinausgehenden Eingriff in die Rechtssphäre der Klägerin dar, für dessen Abwehr ihr ein Rechtsschutzinteresse schon deshalb nicht abgesprochen werden kann.

2. Das Berufungsgericht hat die Klage auch in Übereinstimmung mit Bundesrecht als begründet angesehen. Denn es fehlt an einer Rechtsgrundlage für die die Klägerin belastende Verfügung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt).

b) Eine vorsorgliche Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für den Fall der zukünftigen Einreise sieht das Gesetz nur in § 18 a Abs. 2 AsylVfG vor. Dabei handelt es sich um eine Sonderregelung für den Fall der beabsichtigten Einreise im so genannten Flughafenverfahren, wenn der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Diese gesetzliche Regelung ist auf Fälle der vorliegenden Art und außerhalb des Flughafenverfahrens nicht übertragbar. Anders als bei der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegenüber eingereisten Ausländern ist das Asylverfahren dort vor der Entscheidung über die Einreise durchzuführen (§ 18 a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG). Damit kann das Bundesamt in den Fällen des § 18 a Abs. 2 AsylVfG keine Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylVfG und keine Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG erlassen, auf deren erneuten Ausspruch bei einem Folgeantrag nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG verzichtet werden könnte. Denn vor der Einreise erfolgt keine Abschiebung (§ 58 AufenthG), sondern eine Zurückweisung (§ 15 AufenthG). Es bedurfte daher der Sonderregelung, um auch im Flughafenverfahren eine Rechtsgrundlage für eine Abschiebungsandrohung zu schaffen, die Grundlage für die Durchführung aufenthaltsbeendender Vollstreckungsmaßnahmen im Falle einer künftigen Einreise ist (vgl. auch Grün in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2002, § 18 a AsylVfG, Rn. 55; Hailbronner, AuslR, Stand: Januar 1998, § 18 a AsylVfG, Rn. 72; Renner, 7. Aufl., § 18 a AsylVfG, Rn. 19).

c) Eine Ermächtigung zum Erlass einer vorsorglichen Abschiebungsandrohung für den Fall der künftigen Wiedereinreise lässt sich auch nicht aus § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG ableiten. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keinen Aufenthaltstitel besitzt. Daraus ergibt sich, dass die Abschiebungsandrohung erst nach einer negativen Entscheidung über den Asylantrag erlassen werden darf. Die in § 34 Abs. 1 AsylVfG geregelte Ermächtigung zum Erlass einer Abschiebungsandrohung knüpft somit an eine Ausreisepflicht an, die sich aus der Erfolglosigkeit eines Asylantrags ergibt. Sie setzt dabei einen gegenwärtigen Aufenthalt in Deutschland voraus, den es ggf. im Wege der Verwaltungsvollstreckung zu beenden gilt. Hieran fehlt es, wenn die Ausreisepflicht erst durch eine erneute unerlaubte Einreise begründet werden soll (so auch OVG Münster, Beschluss vom 23. März 2000 - 10 A 1284/00.A - juris, und Urteil vom 29. September 2004 - 3 A 280/04.A -; VGH Mannheim, Urteil vom 5. Juli 2001 - A 14 S 2181/00 - VBlBW 2002, 38; OVG Greifswald, Beschluss vom 20. November 2003 - 2 L 60/03 - juris; OVG Berlin, Beschluss vom 31. Januar 2005 - OVG 6 B 4.04 -). Einer vorsorglichen Abschiebungsandrohung für den Fall einer zukünftigen Einreise und Ablehnung eines asylrechtlichen Folgeantrags steht daher bereits der Wortlaut des § 34 Abs. 1 AsylVfG entgegen. Auch § 59 AufenthG, auf den § 34 Abs. 1 AsylVfG verweist, sieht die Möglichkeit einer Abschiebungsandrohung für den Fall einer künftigen Einreise nicht vor.

Für eine erweiternde Auslegung des § 34 Abs. 1 AsylVfG und des § 59 AufenthG mit dem Ziel, auch im Falle künftiger Wiedereinreise nach Abschiebung aus der Haft die Rechtswirkungen des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG herbeizuführen, besteht - wie oben unter 1. bereits angesprochen - entgegen der Auffassung des Bundesamtes kein Bedarf. Denn auch für den Fall der Abschiebung aus der Haft ist das Bundesamt zum Erlass einer entsprechenden Abschiebungsandrohung befugt, welche die Rechtsfolgen des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylVfG auslöst. § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 Abs. 1 AufenthG ermächtigt das Bundesamt zur Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Frist ("soll ... angedroht werden") und enthält insoweit keinerlei Einschränkung für den Fall einer Abschiebung aus der Haft. Auch nach der zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides maßgeblichen (alten) Rechtslage war das Bundesamt hierzu berechtigt. Nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 AuslG sollte die Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht werden. Nach § 50 Abs. 5 AuslG konnte bei einer Abschiebung aus der Haft von der Fristsetzung abgesehen werden, nicht aber von der Androhung. Dies erweist auch die Gesetzesbegründung, in der es heißt, auch in den Fällen des § 49 Abs. 2 Satz 1 AuslG solle nicht auf die Androhung verzichtet werden, um dem Ausländer nicht die Möglichkeit zu nehmen, etwaige Abschiebungshindernisse geltend zu machen (vgl. BTDrucks 11/6321, Begründung zu § 50 Abs. 2 AuslG, S. 74). Es bestand und besteht somit auch keine Notwendigkeit zum Erlass einer (weiteren) Abschiebungsandrohung für den Fall der künftigen Wiedereinreise.

Unerheblich wäre es, wenn einzelne Gerichte - wie das Bundesamt in der mündlichen Verhandlung zusätzlich vorgebracht hat - die Androhung der Abschiebung aus der Haft heraus dahin interpretiert hätten, dass eine Abschiebungsandrohung stets die freiwillige Ausreise zumindest ermöglichen solle, so dass in diesen Fällen die Betroffenen stets aus der Haft zu entlassen seien, um ihnen die entsprechende Gelegenheit zur Ausreise zu geben. Denn offenkundig stimmt diese Auffassung nicht mit dem Gesetz überein. Wie bereits dargelegt, sah § 50 AuslG - ebenso wie heute § 59 AufenthG - die Androhung der Abschiebung unabhängig davon vor, ob eine Abschiebung aus der Haft heraus beabsichtigt oder eine vorherige Haftentlassung möglich war. Die Funktion, den Ausländer vor einer drohenden zwangsweisen Abschiebung zu warnen und ihn an die gesetzliche Pflicht zur (freiwilligen) Ausreise zu erinnern, hat die Abschiebungsandrohung nur, wenn sich der Betroffene seinen Aufenthaltsort selbst wählen kann, sich also in Freiheit befindet. Im Falle der Abschiebung aus der Haft dient die Androhung dazu, dem Ausländer die Regelung seiner persönlichen Angelegenheiten zu ermöglichen und um Rechtsschutz nachzusuchen.