SG Schleswig

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Zitieren als:
SG Schleswig, Beschluss vom 22.09.2005 - S 10 AY 128/05 ER - asyl.net: M7336
https://www.asyl.net/rsdb/M7336
Leitsatz:

Beweislast bei § 1 a AsylbLG trägt die Sozialbehörde; die maßgeblichen Tatsachen müssen gerichtlich überprüfbar sein; Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sind nicht von einer Bescheinigung der Ausländerbehörde abhängig, sondern die Voraussetzungen sind von der Sozialbehörde in eigener Verantwortung zu prüfen; allein die Verweigerung der freiwilligen Ausreise stellt keinen Rechtsmissbrauch i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG dar.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, abgelehnte Asylbewerber, Abschiebungshindernis, Vertretenmüssen, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten, Sachaufklärungspflicht, Algerien, Beweislast, Leistungskürzung, Ermessen, Ausländerbehörde, Rechtsmissbrauch, freiwillige Ausreise, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Vorwegnahme der Hauptsache, Rechtsschutzgarantie, Existenzminimum, Eilbedürftigkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2; GG Art. 19 Abs. 4; AsylbLG § 1a Nr. 2; AufenthG § 90 Abs. 3
Auszüge:

Beweislast bei § 1 a AsylbLG trägt die Sozialbehörde; die maßgeblichen Tatsachen müssen gerichtlich überprüfbar sein; Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sind nicht von einer Bescheinigung der Ausländerbehörde abhängig, sondern die Voraussetzungen sind von der Sozialbehörde in eigener Verantwortung zu prüfen; allein die Verweigerung der freiwilligen Ausreise stellt keinen Rechtsmissbrauch i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG dar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Dem vorläufigen Rechtsschutz steht grundsätzlich nicht entgegen, dass mit ihm, was hier der Fall wäre, die Hauptsache zumindest zum Teil vorweggenommen wird. Vor dem Hintergrund des Gebots effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist. Zu berücksichtigen ist hingegen, dass die Antragsteller im Eilverfahren Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums auf der Grundlage des AsylbLG in analoger Anwendung des SGB XII begehren. Zwar werden auch solche Leistungen, wenn sie in einem Rechtsbehelfsverfahren erstritten werden, rückwirkend gewährt (vgl. BVerwGE 57, 237,238 f;. BVerfGE 110, 177, 188). Während des Hauptsacheverfahrens ist jedoch das Existenzminimum nicht gedeckt. Da selbst der Gesetzgeber es im Hinblick auf das Gebot des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) für verfassungsrechtlich bedenklich hält, wenn Ausländern auf Dauer die Mittel für eine Teilnahme am sozialen Leben in der Gemeinschaft versagt werden (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zum Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.01.2005, Drs 15/4645, Anlage 2, S. 6; GK-AsylbLG, III-§ 2 Rz. 32,2; a.A. offensichtlich BVerwG Beschluss vom 29.09.1998, 5 B 82/97, FEVS 49, 97, dem aber bereits wegen des Zeitablaufs und der seit 1997 eingefrorenen Leistungen nicht zu folgen ist), geht die Kammer davon aus, dass das Existenzminimum bei den Antragstellern, die die zeitlichen Vergaben des § 2 AsylbLG erfüllen, sich in entsprechender Anwendung des SGB XII bemisst. Zwar wird das AsylbLG von dem Grundgedanken getragen, dass sich die Leistungsberechtigten nach diesem Gesetz typischerweise nur vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und deshalb keine Leistungen zur Integration in die deutsche Gesellschaft notwendig sind. Aus diesem Grund dürfen die Grundleistungen nach dem AsylbLG geringer ausfallen als die Leistungen nach dem SGB XII. Eine dauerhafte Gewährung der abgesenkten Leistungen nach § 3 AsylbLG auch für nach dem AsylbL Leistungsberechtigte, die aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen bereits längere Zeit in Deutschland leben und vorerst auch weiter leben, würde dieser das AsylbLG tragenden Grundkonzeption widersprechen (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.01.2005, Drs 15/4645, Anlage 2, S. 6). Diese möglicherweise längere Zeit dauernde, erhebliche Beeinträchtigung in Form der Kürzung der Leistungen gem. §§ l a, 3 AsylbLG kann nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit darlegen können.

Die Antragsteller haben einen Anspruch auf ungekürzte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), da die Voraussetzungen für eine Kürzung des Barbetrags nach § 3 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 1 a Nr. 2 AsylbLG nicht vorliegen.

Gemäß § 1 a Nr. 2 AsylbLG in der durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 (Bundesgesetzblatt I, S. 1950) geltenden Fassung erhalten Leistungsberechtigte, bei denen aus von ihnen zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfalls nach den Umständen unabweisbar geboten ist.

Zwar sind etwa die Vernichtung oder der Verlust der Ausweispapiere und die darauf beruhende Unmöglichkeit der Durchsetzung der Ausreisepflicht grundsätzlich als ein in der Verantwortungssphäre des betreffenden Ausländers liegendes und von ihm zu vertretenes Abschiebungshindernis anzusehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.09.1994 - 6 S 2074/94 -, FEVS 46, 27; OVG Münster, Beschluss vom 16.05.1997 - 8 B 194/97 -, EZAR 463 Nr. 7), da die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht in Folge der Notwendigkeit, neue Papiere zu beschaffen, regelmäßig verzögert bzw. vorübergehend unmöglich gemacht wird. Ein Vertretenmüssen i.S.d. § 1a Nr. 2 AsylbLG erfordert allerdings die Ursächlichkeit des dem Ausländer zum Vorwurf gemachten Verhaltens für die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen (BVerwG, Urteil vom 24.11.1998 - 1 C 8198 - NVwZ 1999, 664). Vorliegend sind die Antragsteller zu 1) bis 3) mit gültigen Ausweispapieren und einem wirksamen Besuchsvisum eingereist. Die Ausweispapiere sind nach Angaben der Antragsteller vor Stellung des Asylantrages verloren gegangen. Es kann dahinstehen, ob die Angaben zutreffen, denn es ist bereits nicht erkennbar, inwieweit das Nichtvorhandensein dieser Dokumente sowie die Verweigerung näherer Angaben hierzu die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hindern soll. Zwar haben die Antragsteller - soweit ersichtlich - während der Zeit ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland keine Anstrengungen unternommen, in ihrem Heimatland - etwa mit Hilfe von Verwandten, soweit sie noch solche in Algerien haben - in den Besitz irgendwelcher Identitätspapiere, z. B. einer Geburtsurkunde oder eines sonstigen Registerauszuges, zu gelangen, um auf diese Weise die Voraussetzungen für die Erteilung von Heimreisedokumenten zu schaffen (vgl. VG Osnabrück, Beschluss vom 05.11.1999 - 4 B 88/99 -, abgedruckt im Gemeinschaftskommentar zum Asylbewerberleistungsgesetz unter VII zu § 1 a WG-Nr. 20)). Die Antragsteller sind dazu allerdings auch nicht unter Hinweis auf die ihnen obliegenden Mitwirkungspflichten aufgefordert worden. Ihnen kann aber auch nicht der Vorwurf gemacht werden, an der Beschaffung der notwendigen Ausreisedokumente nicht hinreichend mitgewirkt zu haben, denn der Antragsteller zu 1) hat sich der Vorführung zur Passersatzbeschaffung bei der Botschaft in Berlin gerade nicht entzogen.

Zwar sind die Antragstellerin zu 2) mit ihren Kindern, den Antragstellern zu 3) bis 6) der Vorführung nicht nachgekommen; zeitnahe Ermittlungen der Ausländerbehörde zu den Gründen für das Fernbleiben sind in der Akte nicht enthalten. Ob die Antragsteller zu 2) bis 6) einen wichtigen Grund hatten - Behinderung des Antragstellers zu 3) und damit verbundener Reiseunfähigkeit, Alter der Antragsteller zu 4) bis 6) und eine mögliche Erkrankung der Antragstellerin zu 2) -, dem Vorführtermin fern zu bleiben, kann den Akten nicht entnommen werden. Es wäre aber Aufgabe der Ausländerbehörde gewesen, der für das AsylbLG zuständigen Leistungsbehörde entsprechend Mitteilung zu machen, damit diese nach Aufklärung des Sachverhaltes entsprechende leistungsrechtliche Maßnahmen treffen kann. Denn die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1 a AsylbLG liegt regelmäßig bei der für die Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen Behörde (Erlass des Innenministeriums vom 08.03.2004 zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes, Ausführungshinweise zu § 1 und § 1 a Asylbewerberleistungsgesetz; OVG Schleswig-Holstein Beschluss, vom, 22.09.1999, 4 M 69/99; SG Schleswig, Beschluss vom 20.03.2005, S 16 AY 36/05 ER). Dies gilt auch für die Frage, ob die Antragsteller es zu vertreten haben, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.

Die Kammer verkennt nicht, dass es schwierig ist, den Nachweis über eine falsche Identität zu erbringen. Es muss aber mit rechtsstaatlichen Mitteln überprüfbar sein, welche Angaben gemacht wurden und welche konkreten Ermittlungsergebnisse den Rückschluss darauf zulassen, dass die Angaben unzutreffend sind. Solange die vom Landesamt für Ausländerangelegenheiten telefonisch wiedergegebenen Angaben gerichtlich nicht überprüft werden können, geht dies zu Lasten des Antragsgegners, der insoweit beweisbelastet ist.

Zudem ist die Leistungskürzung im Hinblick auf §§ 1 a, 3 AsylbLG ermessensfehlerhaft, denn der Antragsgegner hat seine eigenen Verwaltungsvorschriften (Rundverfügung-Nr. 3/01) verletzt, in dem er bei den Antragstellern die nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII gewährten Leistungen mit Bescheid vom 28.07.2005 je Antragsteller um 25 % und mit Bescheid vom 22.08.2005 um weitere 25 % je Antragsteller gekürzt hat. Selbst wenn die Voraussetzungen einer Leistungskürzung gem. § 1 a AsylbLG vorliegen würden, wäre nur eine Kürzung des Barbetrages gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG nach entsprechender schriftlicher Belehrung zulässig (Birk in LPK-SGB XII, § 1 a Rz. 8; Rundverfügung-Nr. 3/2001, IV; Claasen, Sozialleistungen für Migrantlnnen und Flüchtlinge, Grundlagen für die Praxis, 2005, S. 71); denn bei der Ausfüllung des Begriffs des "unabweisbar Gebotenen" im Rahmen des Ermessens ist dem Grundsatz der Menschenwürde und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Beachtung zu schenken (Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 08.03.2004, Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes, Ausführungshinweise, zu § 1 und § 1 a AsylbLG).

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liegen die in § 2 Abs. 1 AsylbLB in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung bezeichneten Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des SGB XII auch über den 01.08.2005 hinaus vor.

Danach ist erforderlich, das die Antragsteller, die im Hinblick auf ihre vollziehbare Pflicht zur Ausreise zum Kreis der Leistungsberechtigten im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG (vgl. Urteile des VG vom 16.11.2000, 11 A 126/98, 11 A 130/98 und 11A 106/99) gehören, eine Duldung erhalten haben, weil ihrer Abschiebung tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Diese Voraussetzungen sind gegeben.

Bei der Anwendung der Vorschrift kommt es nicht auf die konkrete Bewertung und die Vorstellungen der die Duldung erteilenden Ausländerbehörde an. Das heißt, der Leistungsanspruch nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist nicht bereits immer dann ausgeschlossen, wenn die betreffende Ausländerbehörde - ob zu Recht oder zu Unrecht - ein vom Leistungsberechtigten nicht zu vertretendes Abschiebungshindernis verneint hat (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.11.1995, 6 S 1347/95). Erst recht ist es nicht erforderlich, dass die Ausländerbehörde unter Berufung auf den Beschluss des OVG Schleswig-Holstein vom 22.09.1999 (4 M 69/99) eine Bescheinigung ausstellt, aus der zu entnehmen ist, dass die betroffene Person das Abschiebungshindernis nicht zu vertreten hat. Für eine solche Bescheinigung zum Nichtvertretenmüssen von Abschiebungshindernissen fehlt es im Ausländerrecht an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage, weshalb es auch aus diesem Grunde nicht dem Willen des Gesetzgebers bei Erlass des Asylbewerberleistungsgesetzes entsprochen haben kann, einen Leistungsanspruch von einer positiven Bestätigung der Ausländerbehörde zum Nichtvertretenmüssen von Abschiebungshindernissen abhängig zu machen. Vielmehr hat der Antragsgegner selbst im Rahmen des AsylbLG inzident die Voraussetzungen zu prüfen, ob der Betroffene die Hindernisse, die seiner Abschiebung entgegenstehen, selbst zu vertreten hat (zu § 1 a AsylbLG OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.09.1999, VG Oldenburg, Beschluss von 12.03.2004, 11 B 922/04 m.w.N.; Erlass des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 08.03.2004); gleiches gilt nach Auffassung der Kammer auch für das Tatbestandsmerkmal des § 2 Abs. 1 AsylbLG hinsichtlich der Frage, ob der Betroffene die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Demnach obliegt dem Antragsgegner die Letztentscheidungskompetenz; er hat den Sachverhalt im Wege der umfassenden Einzelfallprüfung zu beurteilen. Dabei ist er insbesondere nicht an die von der zuständigen Ausländerbehörde getroffenen Feststellungen gebunden, noch darf er diese ungeprüft übernehmen. Ggf. hat er die Asyl- oder Ausländerakte hinzuzuziehen (VG Hamburg, Urteil vom 09.04.2002, 5 VG 3247/2000, InfAuslR 2002, 412 ff). Anderes ergibt sich auch nicht aus der Pflicht der Ausländerbehörde nach § 79 Abs. 3 AuslG 1990 alt und § 90 Abs. 3 ZuwandG neu, der Sozialbehörde die für die Leistungsgewährung erforderlichen ausländerrechtlichen Daten zu ermitteln. Unter Berücksichtigung der Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie der Akte der Ausländerbehörde hat der Antragsgegner eine eigenständige Prüfung zu keinem Zeitpunkt vorgenommen. Obliegt dem Antragsgegner aber die Letztentscheidungskompetenz, muss er sich ggf. rechtswidriges Handeln bzw. unzureichende Sachverhaltsaufklärung der Ausländerbehörde zurechnen lassen.

Unter Berücksichtigung der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG kommt es nicht mehr darauf an, ob eine freiwillige Ausreise möglich ist oder ob Abschiebehindernisse bestehen. Grundsätzlich steht nunmehr allen unter das AsylbLG fallenden Ausländern nach Erfüllung der Wartezeit von 36 Monaten ein Anspruch auf erhöhte Leistungen zu. Dies ist unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien vom Gesetzgeber auch beabsichtigt (BT-Drs. 14/7387, S. 112 zu Art. 8 - Nr. 3). Nach dem Gesetz ist nun nur noch dann ausnahmsweise ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend dem SGB XII ausgeschlossen, wenn jemand die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat. Dies setzt nicht nur eine schuldhafte Verletzung der Ausreisepflicht, sondern zusätzlich die Rechtsmissbräuchlichkeit der Pflichtverletzung voraus und erweitert den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 AsylbLG gegenüber der bis zum 31.12.2004 geltenden Regelung erheblich. Danach kann Rechtsmissbräuchlichkeit nicht schon dann angenommen werden, wenn Ausländer ihrer bestehenden Ausreisepflicht nicht nachkommen; denn dem kann der Staat mit entsprechenden (Abschiebe)Maßnahmen hinreichend begegnen (SG Hannover, Beschluss vom 20.01.2005, S 51 AY 1/05 ER, Anlage 2 zum Schriftsatz des Antragstellers vom 23.02.2005). Von einem Rechtsmissbrauch kann erst dann ausgegangen werden, wenn Ausländer versuchen, eine Rechtsposition unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu erlangen und auszunutzen, indem sie falsche Angaben machen, um einer Abschiebung zu entgehen, z.B. durch Vorspiegelung einer falschen Identität und/oder wahrheitswidrige Angaben zu ihrer Herkunft machen bzw. die Daten verschweigen, bei der Beschaffung von notwendigen Reisedokumenten nicht mitwirken bzw. vorhandene Reisepässe oder andere Identitätspapiere zurückhalten oder gar vernichten (vgl. Bsp. in BT-Drs. 14/7387 a.a.O.).

Ein Anordnungsgrund besteht in Bezug auf Leistungen gem. § 2 AsylbLG selbst im Hinblick darauf, dass Leistungen gem. § 3 AsylbLG ohne Kürzung nach § 1 a AsylbLG gewährt werden, da Art. 16 a Abs. 1 GG nicht nur ein Recht auf Asyl gewährt, sondern auch sozialrechtliche Bedeutung zukommt. Aus dem Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG), die unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Antragsteller Anwendung finden, folgt die Verpflichtung des Staates, jedem Menschen, der sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhält, ein würdevolles Leben zu gewährleisten (Wollenschläger, Der sozialrechtliche Schutz von Asylbewerbern in Deutschland in Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht 2004, S. 317 ff.). Es kann im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes dahinstehen, ob die Ungleichbehandlung von Asylbewerbern bei der Gewährleistung des Existenzminimums mit der Verfassung im Einklang steht (verneinend E. Felix, Würde und Existenzminimum - nur eingeschränkt für Asylbewerber, ZAR 2004, 142 ff), denn den Antragstellern steht unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ein Anspruch auf Leistungen gem. § 2 AsylbLG, mithin in entsprechender Anwendung des SGB XII zu. Im Übrigen entspricht es der Rechtsprechung der Sozialgerichte (vgl. Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Sozialgerichts vom 23.08.2004, L 1 B 103/04 KR ER), dass die Gewichtung der Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch unterschiedlich sein könnten. Sind etwa die Erfolgsaussichten der Antragsteller m Hauptsacheverfahren als hoch zu bewerten, sind an die drohenden Nachteile nicht so hohe Anforderungen zu stellen. Und von einer solch hohen Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache gegenüber dem Antragsgegner geht die Kammer hier aus.