VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Urteil vom 06.05.2005 - 1 K 673/05 - asyl.net: M7319
https://www.asyl.net/rsdb/M7319
Leitsatz:

Die Androhung der Zwangsvorführung bei einer Botschaft zwecks Passbeschaffung setzt in der Regel eine ausdrückliche Grundverfügung mit der Aufforderung der Vorsprache bei der Botschaft voraus; soll der Ausländer bei mehreren Botschaften vorsprechen, muss die Anordnung die Reihenfolge der Vorsprachen klar erkennen lassen.

 

Schlagwörter: Passbeschaffung, Mitwirkung, Passlosigkeit, Verhältnismäßigkeit, Passverfügung, Ermessen, Auslandsvertretung, Zwangsvorführung, Androhung, unmittelbarer Zwang, Grundverfügung, Zielstaatsbestimmung, Abschiebungsandrohung
Normen: AsylVfG § 15 Abs. 2 Nr. 4; AsylVfG § 135 Abs. 2 Nr. 6
Auszüge:

Die Androhung der Zwangsvorführung bei einer Botschaft zwecks Passbeschaffung setzt in der Regel eine ausdrückliche Grundverfügung mit der Aufforderung der Vorsprache bei der Botschaft voraus; soll der Ausländer bei mehreren Botschaften vorsprechen, muss die Anordnung die Reihenfolge der Vorsprachen klar erkennen lassen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Beklagte hat als zuständige Behörde (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AAZUVO i.d.F. v. 23.03.1998) den Kläger als vollziehbar ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerber zu Recht gem. § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG aufgefordert, binnen 3 Wochen nach Erhalt dieses Bescheids einen gültigen Pass oder Passersatz vorzulegen (zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage für solche Aufforderungen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.10.1998 - A 9 S 856/98 = VBlBW 1999, 229 und Urt. v. 27.12.2000 - 11 S 1592/00 = VBlBW 2001, 329).

Auch die für den Fall des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes in Satz 2 der Ziff. 1 der angegriffenen Verfügung geregelte Verpflichtung des Klägers innerhalb der genannten 3-Wochen-Frist sämtliche ihm vorliegenden Identitätsnachweise der Ausländerbehörde zu übergeben bzw. sich im Falle des Nichtbesitzes nachweislich um die Beschaffung solcher Dokumente zu bemühen, ist durch § 15 Abs. 2 Ziff. 6 AsylVfG gedeckt.

Die unter Ziff. 2 der angegriffenen Verfügung enthaltene Androhung, der Kläger werde im Falle der nicht fristgemäßen Befolgung der unter Ziff. 1 erlassenen Anordnung zwangsweise "sowohl der liberianischen Botschaft als auch der nigerianischen Botschaft zu einem späteren Zeitpunkt vorgeführt", erweist sich hingegen als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO):

Als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung bedarf eine Androhung unmittelbaren Zwangs nämlich einer vollstreckbaren Grundverfügung (§ 20 Abs. 1 u. 2 i.V.m. § 2 LVwVG). Daran fehlt es hier. Weder aus dem Kontext des bis zum Erlass der Verfügung vorangeschrittenen Verwaltungsverfahrens noch aus der Begründung der Verfügung selbst ist nämlich mit hinreichender Bestimmtheit (vgl. dazu Kopp/Ramsauer a.a.O., Rdnr. 12 zu § 37 VwVfG) zu entnehmen, dass die Mitwirkungsverpflichtung, wie sie unter Ziff. 1 Satz 2 des Bescheids geregelt wurde, auch eine Verpflichtung des Klägers beinhaltet, sich persönlich zu einer der beiden genannten Botschaften oder gar zu beiden zu begeben, und dort zwecks Passausstellung vorzusprechen und die entsprechenden Passantragsformulare auszufüllen.

Nur wenn - anders als im vorliegenden Fall - ausnahmsweise aufgrund des Verwaltungsverfahrens und aller sonstigen Umstände eindeutig klar ist, und dem betreffenden Ausländer auch klar sein muss, dass als einzig sinnvolle "Bemühung" zur Beschaffung eines Passes nur noch die persönliche Vorsprache und Passbeantragung bei der Heimatbotschaft im Bundesgebiet in Betracht kommt, kann ausnahmsweise aus dem Umstand, dass eine zwangsweise Vorführung bei dieser Botschaft unter Ziff. 2 eines Passbeschaffungsbescheids angedroht wird, geschlossen werden, dass die unter Ziff. 1 pauschal und ohne nähere Details geforderte Mitwirkung und der Nachweis entsprechender "Bemühungen" inhaltlich noch ausreichend bestimmt und klar als vollstreckbarer Grundverwaltungsakt insbesondere eben diese persönliche Vorsprache bei der Botschaft und eine Passbeantragung dort mitumfasst und gebietet. Für die Betroffenen klarer und in jedem Fall der Praxis zu empfehlen und auch im Hinblick auf die sonstige Praxis im Land Baden-Württemberg wohl allgemein üblich ist aber in solchen Fällen eine Verfügung, die unter Ziff. 1 dem Betreffenden für den Fall des Nichtbesitzes von Passpapieren oder wenigstens Identitätspapieren eindeutig aufgibt, persönlich bei einer genau bezeichneten Botschaft vorzusprechen und einen Pass/Passersatz zu beantragen und vorgelegte Passantragsformulare auszufüllen. Dann nämlich ergeben sich keine Auslegungsprobleme und dann auch ist auch die Androhung unmittelbaren Zwangs in Form einer Vorführung durch die Polizei bei dieser Botschaft unmissverständlich durch einen auf Vorsprache bei der Botschaft abzielenden Grundverwaltungsakt gedeckt (vgl. zu einem solchen Standardfall VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.10.1998 - A 9 S 856/98 = VBlBW 1999, 229, wonach eine solche Verfügung als Vollstreckungsgrundlage auch nicht etwa deshalb ungeeignet ist, weil nur die persönliche Präsenz bei der Botschaft, nicht aber eine dortige Unterschriftsleistungen oder Äußerungen im Rahmen einer Vorsprache zwangsweise, insbesondere hier durch die persönliche Vorführung im Wege der Vollstreckung durchgesetzt werden kann. Denn es genüge, dass eine, wenngleich unvollständige aber in Richtung auf das eigentliche Vollstreckungsziel weisende Teilhandlung (hier das Aufsuchen der Botschaft) vollstreckt werden könne, da die begründete Erwartung bestehe, der Ausländer werde, einmal seiner Heimatbotschaft vorgeführt , dort dann auch die nötigen Rechtshandlungen zur

Passbeschaffung vornehmen, zu denen er nach deutschem Recht verpflichtet ist).

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die zu vollstreckende Abschiebungsandrohung im ablehnenden Bescheid des Bundesamtes auf einen anderen Abschiebezielstaat gerichtet ist, als den vom betreffenden abgelehnten Asylbewerber behaupteten Heimatstaat, ist das Regierungspräsidium im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nach § 15 Abs. 2 Ziff. 6 AsylVfG nicht an die Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung aus dem Bundesamtsbescheid gebunden, sondern kann - insbesondere wenn dies wegen der Forderung eines sogenannten "Negativattests" durch den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat zunächst vorausgesetzt wird -, ermessensfehlerfrei eine entsprechende Vorspracheverpflichtung zunächst bei der Botschaft des vom betreffenden Ausländer behaupteten Herkunftsstaates anordnen. Erst, wenn dies nicht gelingt und eine zwangsweise Vorführung bei der Botschaft dieses Staates keinen Erfolg bringt und darüber ein sogenannten Negativattest von diesem Staat ausgestellt wird, kann dann sinnvollerweise in einem zweiten Schritt von dem betreffenden Ausländer die persönliche Vorsprache bei der Botschaft des in der Abschiebungsandrohung genannten Staates verlangt und widrigenfalls eine zwangsweise Vorführung bei der Botschaft dieses Staates angedroht werden. Soll eine solche Aufforderung zugleich - gewissermaßen auf Vorrat - mit der Aufforderung verfügt werden, bei der anderen Botschaft vorzusprechen, so ist in jedem Fall erforderlich, - anders als im vorliegenden Fall geschehen - diese Aufforderung ganz klar als hilfsweise gestaffelte Anordnung zu formulieren, die den Betreffenden nicht darüber im Unklaren lässt, bei welcher Botschaft und in welcher Reihenfolge bzw. in welcher Staffelung bzw. Kombination (alternativ oder kumulativ) er zwecks Passbeantragung vorsprechen soll (vgl. zum Auswahlermessen beim Auseinanderfallen zwischen dem vom Ausländer behaupteten Herkunftsstaat und dem in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Abschiebezielstaat ausführlich: VG Karlsruhe, Urt. v. 18.02.2002 - A 11 K 11529/01 - Juris). Denn es ist die zuvörderste Aufgabe der Verwaltung, den generell abstrakten Gesetzesbefehl durch Erlass einer Verfügung in eine konkret individuelle Handlungsanweisung für den einzelnen Normadressaten zu übersetzen, die ihm klar und eindeutig aufgibt, was er zu tun bzw. zu unterlassen hat.