VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.09.2005 - 8 E 5725/04.A(V) - asyl.net: M7282
https://www.asyl.net/rsdb/M7282
Leitsatz:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion für togoischen Staatsangehörigen, da antiretrovirale Therapie nicht finanzierbar.

 

Schlagwörter: Togo, HIV/Aids, Krankheit, Abschiebungshindernis, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

§ 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion für togoischen Staatsangehörigen, da antiretrovirale Therapie nicht finanzierbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat Erfolg, denn der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. In seiner Person bestehen Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG, da bei einer Rückkehr in sein Heimatland er der Gefahr erheblicher Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ausgesetzt ist.

Das Vorliegen einer extremen Gefahr, die die Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung rechtfertigt, bedarf mithin der Feststellung, dass dem Kläger; bei einer Rückkehr nach Togo sicherer Tod oder schwerste Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit drohen würde und dass er in eine solche Gefahr alsbald nach der Rückkehr geriete.

Eine extreme Gefahrenlage bei einer HIV-Infektion ist für den Erkrankten nach Auffassung des Gerichts anzunehmen, wenn der Ausländer bei Rückkehr in sein Heimatland die Kosten für die erforderliche antivirale Therapie nicht aufbringen kann, was dazu führen würde, dass er an lebensgefährlichen Begleitinfektionen erkrankt und verstirbt. Der Kläger ist einer solchen Schwere erkrankt und behandlungsbedürftig. Das Gericht geht davon aus, dass bei einem Therapieabbruch bei dem Kläger aufgrund der sehr geringen Anzahl von Helferzellen alsbald mit dem Ausbruch opportunistischer Infektionen zu rechnen ist. Nach Pschyrembel (Medizinisches Wörterbuch) ist bereits bei einer Verringerung der Anzahl der Helferzellen von unter 250 μl der Krankheitsverlauf durch gehäuftes Auftreten von Erkrankungen an opportunistischen Erregern und Parasiten sowie spezifischen Malignomen wie Karposi-Sarkom und Lymphomen gekennzeichnet. Bei dem Kläger liegt der Wert nach der letzten vorgelegten Bescheinigung der behandelnden Ärztin Dr. ... vom 11.05.2005 bei 116 μl. Der Kläger war wegen zusätzlich aufgetretener Erkrankungen 2004 drei Mal im Krankenhaus, kürzlich ist er wieder zusammengebrochen.

Es kann daher dahingestellt bleiben, mit welchen Kosten und auf welche Art und Weise über eine einzelne Apotheke in Lome das vom Kläger eingenommene Medikament Tendofovir überhaupt zu erhalten ist. Jedenfalls wird es dem Kläger nach der von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen und auch vom Gericht nicht angezweifelten familiären und finanziellen Situation - die Mutter des Klägers ist Witwe und selbst hilfebedürftig, der Bruder pensionierter Lehrer, der mit seiner Pension seine achtköpfige Familie ernähren muss - nicht möglich, aus eigenen Mitteln oder gar über eine noch abzuschließende Krankenversicherung die Kosten einer Behandlung in Togo zu tragen. Das ist unabhängig davon, unter welchen Umständen die erforderlichen Mittel überhaupt zu beschaffen sind und was die Kombinationstherapie, die der Kläger nach Bescheinigung seiner hier behandelnden Ärzte benötigt, in Togo monatlich kosten würde. Im Hinblick auf die Abwehrschwäche des Klägers wird mit Sicherheit ein zusätzlicher Behandlungsbedarf an anderweitigen Erkrankungen auf den Kläger zukommen, der weitere Mittel verschlingen würde, wobei nicht einmal ersichtlich ist, aus welchen Mitteln der Kläger überhaupt seinen Lebensunterhalt sichern könnte, geschweige denn, irgendwelche Medikamente regelmäßig bezahlen könnte.