VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 04.05.2005 - 5 B 03.1371 - asyl.net: M7276
https://www.asyl.net/rsdb/M7276
Leitsatz:
Schlagwörter: Einbürgerung, Rücknahme, Pakistan, Pakistaner, Ehe, Mehrehe, Scharia, Familienrecht, Straftat, Kinderehe, Täuschung, Ermessen
Normen: BayVwVfG Art. 48; RuStAG § 9; RuStAG § 8
Auszüge:

Die Rücknahme der Einbürgerung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 48 BayVwVfG.

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung, die Einbürgerung des Klägers zurückzunehmen, rechtmäßig.

a) Die Einbürgerung des Klägers war von Anfang an rechtswidrig.

Die Einbürgerung, durch die der Kläger am 17. April 1991 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, erfolgte mit Blick auf seine Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen S. auf der Grundlage des § 9 RuStAG und des § 8 RuStAG (in der bis 30.6.1993 geltenden Fassung). Danach sollen Ehegatten Deutscher eingebürgert werden, wenn sie - unter anderem - einen unbescholtenen Lebenswandel geführt haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG) und gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG). An diesen gesetzlichen Voraussetzungen fehlte es im Zeitpunkt der Einbürgerung, weil der Kläger bei der Eheschließung mit Frau S. - wie auch bei seiner Einbürgerung und später, nach Scheidung der Ehe mit Frau S., bei der Eheschließung mit Frau U. - noch mit seiner in Pakistan verbliebenen Cousine B. wirksam verheiratet war und sich deshalb das Vergehen der Doppelehe (§ 171 StGB a.F., nunmehr § 172 StGB) vorhalten lassen musste.

Die Ehe mit Frau B. in Pakistan ist nach dem für die Beurteilung allein maßgeblichen pakistanischen Familienrecht wirksam geschlossen worden, obwohl der Kläger damals erst 12 oder 13 Jahre alt war und durch seinen Vater vertreten worden ist. Aus den überzeugenden Auskünften der Deutschen Botschaft in Islamabad vom 28. Februar 1996 und 8. April 1997 sowie dem Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht vom 28. Februar 1997 ergibt sich eindeutig, dass das pakistanische Recht zwar Strafvorschriften zur Einschränkung von Kinderehen enthält, dass diese Vorschriften aber die Wirksamkeit solcher Ehen nicht berühren. Die Wirksamkeit einer Ehe bestimmt sich vielmehr wegen der Religionszugehörigkeit des Klägers ausschließlich nach dem nicht kodifizierten islamischen Recht. Dieses kennt kein Mindestalter für die Eheschließung. Die Ehemündigkeit tritt nach islamischem Recht mit der körperlichen Reife ein, die nach einer wichtigen Rechtsquelle bei Jungen bereits mit 12 Jahren erreicht ist, jedenfalls aber mit Vollendung des 15. Lebensjahres vermutet wird. Ein minderjähriges Kind kann von seinem Vater kraft der diesem zustehenden elterlichen Gewalt aber auch ohne Einwilligung verheiratet werden. In einem solchen Fall kann das Kind mit Erreichen der körperlichen Reife unter bestimmten Umständen über das Fortbestehen der Ehe selbst entscheiden, wobei die Beiwohnung ab Erreichen der Ehemündigkeit als Bestätigung der Ehe gewertet wird.

b) Der Kläger hat seine von Anfang an rechtswidrige Einbürgerung durch bewusste Täuschung erlangt.