VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 11.05.2005 - 11 A 2574/03 - asyl.net: M7227
https://www.asyl.net/rsdb/M7227
Leitsatz:

Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse finden bei abgelehnten Asylbewerbern wegen der Bindungswirkung des § 42 AsylVfG im Rahmen von § 25 Abs. 5 AufenthG keine Berücksichtigung; allein ein langjähriger Aufenthalt ohne Aufenthaltsrecht begründet kein rechtliches Ausreisehindernis.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Erlasslage, Altfallregelung, Entscheidungszeitpunkt, Beschäftigungsverhältnis, Arbeitserlaubnis, Verschulden, Ausreisehindernis, rechtliche Unmöglichkeit, Krankheit, abgelehnte Asylbewerber, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Zumutbarkeit, Aufenthaltsdauer, Privatleben, Integration, Bindungswirkung, Vertrauensschutz
Normen: AufenthG § 23; AufenthG § 25 Abs. 5; AsylVfG § 42; Art. 8 EMRK
Auszüge:

Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse finden bei abgelehnten Asylbewerbern wegen der Bindungswirkung des § 42 AsylVfG im Rahmen von § 25 Abs. 5 AufenthG keine Berücksichtigung; allein ein langjähriger Aufenthalt ohne Aufenthaltsrecht begründet kein rechtliches Ausreisehindernis.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen.

1. Dieser ergibt sich zunächst nicht aus dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 22. Mai 2001 i.V.m. § 32 AuslG/§ 23 AufenthG. Der Erlass ist eine behördeninterne Richtlinie, die keine Außenwirkung entfaltet. Er begründet allerdings aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) Ansprüche, soweit er die übliche Verwaltungspraxis wiedergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 19.99 - BVerwGE 112, 63 <67>).

Dass die Beklagte und die Widerspruchsbehörde insoweit auf die Sach- und Rechtslage am 10. Mai 2001 abgestellt haben, ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung der Kammer nicht zu beanstanden (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. August 2003 - 8 ME 131/03 -). An diesem Tag hat sich die Innenministerkonferenz auf die in dem Erlass vom 22. Mai 2001 niedergelegten Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln für jugoslawische Staatsangehörige geeinigt. Nach Nr. 2.3 des Erlasses wird für die Frage, ob ein Sozialhilfebezug entgegensteht, gerade auf den 10. Mai 2001 abgehoben. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nur bis zum 30. September 2001 gestellt werden konnte (Nr. 5 des Erlasses vom 22. Mai 2001).

Nach Nr. 2.1 des Erlasses vom 22. Mai 2001 werden Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, die sich mindestens seit dem 16. Februar 1995 ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und seit mehr als zwei Jahren in einem dauernden Beschäftigungsverhältnis stehen, erfasst, wenn der Arbeitgeber dringend auf ihre Weiterbeschäftigung angewiesen ist. Der Kläger zu 1) stand am 11. Mai 2001 jedoch nicht zwei Jahre in einem dauernden Beschäftigungsverhältnis. Er ist u.a. in der Zeit vom 10. Mai 1999 bis zum 31. Dezember 2000 arbeitslos gewesen und hat erst am 1. Januar 2001 wieder eine Arbeitsstelle antreten können. Auch die Klägerin zu 2) war nicht durchgehend (geringfügig) beschäftigt, sondern lediglich vom 15. Juli bis 30. September 1999 und dann wieder ab dem 1. Juli 2000.

Soweit die Kläger sich darauf berufen, dass der Kläger zu 1) bis zum März 1999 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden habe, er dieses aber nicht habe fortsetzen können, weil er keine Arbeitserlaubnis mehr erhalten habe, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Es ist nämlich rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte insoweit Verschuldensgesichtspunkte unberücksichtigt gelassen und lediglich auf das objektive Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses im maßgeblichen Zeitraum abgestellt hat.

3. Die Kläger haben auch keinen Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG. Dies setzt u.a. voraus, dass ihre freiwillige Ausreise in das Heimatland aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen in absehbarer Zeit unmöglich ist.

Auch rechtliche Ausreisehindernisse liegen nicht vor. Soweit die Kläger auf Schwierigkeiten in ihrem Heimatland hinweisen, insbesondere auch auf den Gesundheitszustand der Kläger zu 2) und 3), kann dies im Hinblick auf § 42 AsylVfG hier nicht berücksichtigt werden. Denn insoweit bestehen für die Ausländerbehörde bindende Entscheidungen des Bundesamtes über zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse. Eine darüber hinausgehende Zumutbarkeitsprüfung erfolgt im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG insoweit nicht (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 3. Juni 2004 - 8 LA 84/04 - <S. 3>).

Auch Art. 8 EMRK begründet im Hinblick auf den langen Aufenthalt der Kläger und deren Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland kein Ausreisehindernis.

Nach Abs. 1 der genannten Vorschrift wird u.a. das Privatleben geschützt. Abs. 2 ermöglicht aber Eingriffe u.a. dann, wenn dies gesetzlich vorgesehen und für die öffentliche Ordnung notwendig ist, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.

Die Regelungen des AufenthG begründen hiernach zulässige Schranken des Aufenthaltsbestimmungsrechts eines Ausländers. Sie dienen u.a. der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Nach § 4 AufenthG ist es deshalb grundsätzlich erforderlich, einen Aufenthaltstitel zu besitzen. Dabei ist in den Bestimmungen des AufenthG im Einzelnen geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen diese erteilt werden können. Dem steht es entgegen, allein durch den faktischen Aufenthalt mit der hiermit häufig verbundenen Integration in die deutschen Lebensverhältnisse ein Bleiberecht zu begründen.

Allerdings wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass allein ein langjähriger Aufenthalt und die Integration sowie eine fehlende Verbindung zum Heimatstaat zur Unverhältnismäßigkeit einer Ausreisepflicht führen könne (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 24. Juni 2004 - 11 K 4809/03 - InfAuslR 2005, 106 ff.; VG Oldenburg, Beschluss vom 12. August 2003 - 12 B 2841/03 - InfAuslR 2003, 433 f.). Dieser Ansicht vermag die Kammer jedoch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu folgen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1998 - 1 B 105.98 - Buchholz 402.240 § 30 AuslG Nr. 10; Beschluss vom 30. April 1997 - 1 B 74.97 - <juris>; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. September 2003 - 13 ME 331/03 -).

Die Kläger können sich nicht auf ein rechtlich schutzwürdiges Vertrauen berufen. Sie haben sich nämlich ohne ein Aufenthaltsrecht zu besitzen in die Bundesrepublik Deutschland begeben. Während der gesamten Zeit ihres bisherigen Aufenthalts musste ihnen daher bewusst sein, dass ein dauerhafter Verbleib nicht möglich ist. Sie hatten während ihres Aufenthalts grundsätzlich damit zu rechnen, wieder in ihr Heimatland zurückkehren zu müssen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Kosovo, insbesondere des Umstandes, dass vorübergehend - insbesondere während der kriegerischen Ereignisse im Jahre 1999 - eine freiwillige Rückkehr nicht möglich gewesen sein dürfte. Für die minderjährig eingereisten bzw. in Deutschland geborenen Kläger zu 3) bis 5) gilt nichts anderes. Ihnen wird nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen (§ 166 BGB) die Kenntnis ihrer Eltern als gesetzliche Vertreter zugerechnet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 1997 a.a.O.). Wie der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat, ist es daher die Pflicht der Kläger zu 1) und 2) gewesen, ihre Kinder in geeigneter Weise auch auf ein Leben außerhalb der Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten.

Eine andere Betrachtung würde im gewaltengeteilten Staat (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) auch die den Ausländerbehörden bzw. den Verwaltungsgerichten zugewiesenen Kompetenzen, die im Vollzug und der Auslegung von Rechtsvorschriften bestehen, überschreiten. Es würde ohne eindeutige gesetzgeberische Erklärung oder eine politische Entscheidung der obersten Landesbehörden im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Inneren (§ 23 AufenthG) der Verbleib größerer Personengruppen, die die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht erfüllen, ermöglicht. Dass es solcher politischer Entscheidungen bedarf, zeigt zudem der Umstand, dass diese Stellen durch hinreichend eindeutige Kriterien bestimmen müssten, welche der betroffenen Ausländer ein Aufenthaltsrecht erhalten.

Eine Lösung für die auch nach Ansicht des Gerichts schwerwiegende Problematik der Kläger ist daher - solange kein politischer Konsens für eine erneute Altfallregelung nach § 23 AufenthG gefunden wird - lediglich außerrechtlich, nämlich auf Grund der Härtefallregelung des § 23 a AufenthG, möglich.