VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 10.06.2005 - 9 K 4171/04.A - asyl.net: M7221
https://www.asyl.net/rsdb/M7221
Leitsatz:

Keine mittelbare oder nichtstaatliche Verfolgung von Ashkali im Kosovo.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, mittelbare Verfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, UNMIK, KFOR, Märzunruhen
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine mittelbare oder nichtstaatliche Verfolgung von Ashkali im Kosovo.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Zunächst liegen mangels politischer Verfolgung die Voraussetzungen für die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte sowie für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vor. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. nur die Urteile vom 4. Januar 2005 - 9 K 3241/04.A -, vom 20. Januar 2003 - 9 K 2086/00.A - und vom 28. April 2003 - 9 K 2362/02.A -), die der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW) entspricht (vgl. Urteile vom 30. September 1999 - 13 A 93/98.A -, vom 10. Dezember 1999 - 14 A 3768/94.A - und vom 17. Dezember 1999 - 13 A 3931/94.A -, sowie Beschlüsse vom 30. Oktober 2000 - 14 A 4034/94.A -, vom 6. August 2001 - 14 A 2438/00.A -, vom 4. April 2002 - 14 A 1362/98.A - und vom 4. Juli 2002 - 14 A 891/02.A -), sind ethnische Albaner - ebenso wie Minderheitenzugehörige - aus dem Kosovo, also auch die Kläger, gegenwärtig und auf absehbare Zeit bei einer Rückkehr dorthin vor einer etwaigen politischen Verfolgung durch Serbien und Montenegro hinreichend sicher. Diesem Staat fehlt nämlich für das Gebiet der Provinz Kosovo die Staatsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit, die ihm eine politische Verfolgung der dort lebenden Bevölkerung ermöglichen könnte. Demgemäß scheidet eine - wie auch immer geartete - politische Verfolgung des vorerwähnten Personenkreises im Kosovo durch Serbien und Montenegro auf absehbare Zeit aus.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungs- relevante Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 4. November 2004 (Lagebericht); Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Update vom 24. Mai 2004 zur Situation der ethnischen Minderheiten nach den Ereignissen vom März 2004; UNHCR, Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (März 2005) findet in der Provinz Kosovo auch weder eine mittelbare noch eine quasi-staatliche Verfolgung statt. Was zunächst eine etwaige mittelbare staatliche Verfolgung anbelangt, so lässt sich den vorerwähnten Erkenntnissen - abgesehen von der hier ersichtlich nicht einschlägigen Fallgruppe der Unterstützung derartiger Vorkommnisse - kein hinreichender Anhalt für eine Duldung von Übergriffen u.ä. oder aber eine mangelnde Fähigkeit und/oder Bereitschaft der internationalen Verwaltung im Kosovo, Schutz grundsätzlich zu gewährleisten, entnehmen (vgl. zur mittelbaren staatlichen Verfolgung Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. Juli 1989 - BvR 502, 1000, 961/86 -, Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 80, 315, 333 ff. (336); zum Kosovo: OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember 2001 - 13 A 4338/94.A -, sowie Urteil der Kammer vom 23. Juni 2003 - 9 K 2257/02.A -).

§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG verlangt keine abweichende Beurteilung. Nach dieser Vorschrift kann eine politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure - der Staat oder Parteien bzw. Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen - einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Für einen fehlenden Willen der eingangs genannten internationalen Organisationen, Verfolgungsschutz zu bieten, gibt es bezüglich des Kosovo im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) keinen Anhaltspunkt. Auf sich beruhen kann, ob im Übrigen für die Provinz Kosovo das Tatbestandsmerkmal "erwiesenermaßen" zu bejahen sein kann. Dass vorerwähnte Organisationen nicht in der Lage wären, den erforderlichen Schutz zu bieten, lässt sich zur Überzeugung der Kammer aus den aktuellen Erkenntnissen (vgl. neben der Presseberichterstattung namentlich AA, Lagebericht vom 4. November 2004) nach Abschluss der so genannten März-Ereignisse des vergangenen Jahres nämlich ebenfalls nicht annehmen. Diese vorwiegend gegen serbische Volkszugehörige, an einigen Orten auch gegen Angehörige anderer ethnischer Minderheiten gerichteten Übergriffe haben die Sicherheitslage im Kosovo nicht derart beeinträchtigt, dass die Sicherheitskräfte nicht mehr in der Lage wären, erneuten Übergriffen nachhaltig zu begegnen und ein Mindestmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Die Situation im Kosovo hat sich inzwischen wieder beruhigt (vgl. insbesondere UNHCR, Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (März 2005)).

Sie ist zwischenzeitlich so weit unter Kontrolle, dass es seit den Unruhen zu keinen weiteren nennenswerten Zwischenfällen mehr gekommen ist. Die Präsenz der Sicherheitskräfte ist verstärkt worden. Eine Strafverfolgung der an den Unruhen Beteiligten hat begonnen. Greifbare Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme sind nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die Vermutung, dass in absehbarer Zeit Ausschreitungen wie im März 2004 stattfinden könnten. Das Gericht teilt im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) mit Blick auf vorstehende Ausführungen namentlich nicht die abweichende Auffassung der im Tatbestand bezeichneten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Die beschriebene Entwicklung hat dazu geführt, dass die UNMIK, nachdem bislang eine Rückführung der ethnischen Minderheiten in den Kosovo aufgrund der Erlasslage (nicht nur) im Land Nordrhein-Westfalen ausgesetzt war, nach Gesprächen am 25. und 26. April 2005 in Berlin einer Wiederaufnahme der Rückführung von Ashkali und Ägyptern, teilweise auch Roma-Angehörigen, zugestimmt und das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen diese Vereinbarung in seinem Erlass vom 24. Mai 2005 (Aktenzeichen: 15-39.02.01-1-132 Kosovo) umgesetzt hat. Auch dies lässt eine Schlussfolgerung, nach der die Sicherheitsorgane des Kosovo erwiesenermaßen nicht willens oder nicht in der Lage wären, Schutz vor Verfolgung zu bieten, nicht zu. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Auswärtige Amt die Zahl der im Kosovo verbliebenen Roma und anderer Minderheiten in Übereinstimmung mit UNMIK/KFOR auf ca. 75.000 schätzt. Polansky geht in seinem Bericht über die Ergebnisse einer Recherche vom 1. Januar bis 31. Oktober 2004 von etwa 15.000 bis 20.000 im Kosovo zurückgebliebenen Angehörigen der Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter aus (vgl. AA, Lagebericht, a.a.O.; Polansky: Kosovo: Roma und Ashkali ohne Zukunft? - Ergebnis einer Recherche vom 1. Januar bis 31. Oktober 2004 -).

Unabhängig davon, welcher Quelle zu folgen ist, ist jedenfalls von einer nicht zu vernachlässigenden Anzahl von Ashkali auszugehen, der die Sicherheitsorgane im Kosovo nach obigen Ausführungen Schutz zu bieten in der Lage sind. Dass ein erhöhter Schutzbedarf für Mitglieder auffälliger oder exponierter Familien bestünde, lässt sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen. Auf sich beruhen kann daher, welches Gewicht der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Einzelfallentscheidung des Bundesamts beizumessen ist. Der auf ihren Heimatort bezogene Vortrag der Kläger rechtfertigt wegen der bei der Frage nach einem Abschiebungsverbot grundsätzlich erforderlichen landesweiten Betrachtung keine abweichende Beurteilung.