VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Beschluss vom 30.05.2005 - A 12 K 10786/05 - asyl.net: M7214
https://www.asyl.net/rsdb/M7214
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbestimmung, PKK, Kämpfer (ehemalige), offensichtlich unbegründet, Terrorismusvorbehalt, Wiederholungsgefahr, Anerkennungsrichtlinie, menschenrechtswidrige Behandlung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; AsylVfG § 34 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 59 Abs. 3 S. 2; RL 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2c; AufenthG § 60 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 17; EMRK Art. 3
Auszüge:

Der Antragsteller trägt im Wesentlichen vor, zwischen 1990 und 1996 bewaffnetes Mitglied der PKK-Guerilla gewesen zu sein, bis ihn die kurdische Gegenmiliz KDP 1996 im Nordirak festgenommen habe.

1. Im Blick auf dieses Vorbringen begegnen der Asylablehnung und die Ablehnung der Feststellung des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet (§§ 30, 31 Abs. 2 AsylVfG) keine ernstlichen Zweifel (Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG; § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG; zum Entscheidungsmaßstab vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, BVerfGE 94, 166; Beschl. v. 16.03.1999, InfAuslR 1999, 256).

Nach § 60 Abs. 8 Satz 2 3. Alt. AufenthG findet § 60 Abs. 1 AufenthG keine Anwendung, wenn der Schutzsuchende sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, welche den Zielen und Grundsätzen der vereinten Nationen zuwiderlaufen. Dasselbe gilt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus ungeschriebenem Verfassungsrecht auch für das Asylgrundrecht (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.03.1999, BVerwGE 109, 1, allerdings für die Fälle des heutigen Abs. 8 Satz 1; VG Düsseldorf, Urt. v. 05.04.2004 - 4 K 8268/02.A -[Juris]; VG Sigmaringen, Urt. v. 15.10.2003 - K 10601/99 - [Juris]). Wie im Bescheid des Bundesamtes vom 02.03.2005 ausführlich begründet und zutreffend dargelegt, ist dies beim Einsatz in bewaffneten Einheiten der PKK und/oder ihrer Nachfolgeorganisationen der Fall.

Nach Auffassung des Einzelrichter bedarf es auch anders als bei Satz 1 des § 60 Abs. 8 AufenthG keiner aus den Umständen des Einzelfalles zu vermutenden fortbestehenden Wiederholungsgefahr. Vielmehr wird diese vermutet, solange nicht eine endgültige Abkehr von der bisherigen Organisation und deren Aktivität, ähnlich wie von § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gefordert, hinreichend belegt ist (vgl. Storr/Wenger, Komm. z. ZuwG, § 60 AufenthG Rdnr. 9; strenger: Renner, ZAR 2003, 52, 58: überhaupt keine Gefährdungsprognose erforderlich; anders dagegen: VG Düsseldorf, Urt. v. 05.04.2004, a.a.O.). Die bloße Behauptung, nicht mehr politisch tätig zu sein, reicht dafür nicht aus. Das folgt, wenn nicht schon aus nationalem Recht, jedenfalls aus der Qualifikations- oder Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG (Abl. 2004 L Nr. 304, S. 12). Nach deren Art. 12 Abs. 2 Nr. c reicht es für den Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie sogar aus, dass sich ein Ausländer die genannten Handlungen zuschulden kommen ließ (so auch VG Stuttgart, Beschl. v. 20.04.2005 - A 8 K 10683/05 -). Zwar ist die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie noch nicht abgelaufen, so dass sie für den nationalen Richter noch nicht verbindlich ist. Es steht ihm aber im Blick auf Art. 10 EG schon ab Inkrafttreten einer Richtlinie frei, insbesondere unbestimmte Rechtsbegriffe des nationalen Rechts bereits richtlinienkonform auszulegen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.05.2005 - A 3 S 358/05 -; BGH, Urt. v. 5.2.1998, NJW 1998, 2208)

2. Allerdings darf auch in einem solchen Falle die Abschiebung des Antragstellers in das Herkunftsland nur dann angedroht werden, wenn - wie hier unstreitig - kein Aufenthaltstitel besessen wird (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) und der Herkunftsstaat nicht als Zielstaat ausgenommen werden muss. Diese Einschränkung liegt aber vor. Wie sich nämlich § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und § 59 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG entnehmen lässt, haben Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zur Folge, dass der angedrohte Zielstaat, die Türkei, in der Abschiebungsandrohung hätte ausgenommen werden müssen. Eine solche Konstellation kommt vorliegend in Betracht.

Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden. Nach Abs. 5 der Norm darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach deren Art. 3 darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Die Absätze 2 bis 7 des § 60 AufenthG erfassen auch Gefahren, die auf Lebenssachverhalten beruhen, welche zugleich politische Verfolgung darstellen (so VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.07.2002 - 13 S 1871/01 - EZAR 043 Nr. 55 zu § 53 AuslG). Zwar sieht Art. 17 der genannten Richtlinie dieselben Ausschlussgründe für den "subsidiären Schutz" wie für die Flüchtlingsanerkennung vor. Es mag Manches dafür sprechen, dass davon zumindest das Refoulementverbot nach Art. 3 EMRK unberührt bleibt (vgl. dazu auch VG Stuttgart, Beschl. v. 20.04.2005, a.a.O.; Marx, Ausländer- und Asylrecht. 2. Aufl., Asylverfahren § 7 Rdnr. 196). Das gilt jedenfalls vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie.