VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 12.07.2005 - A 2 K 10245/05 - asyl.net: M7134
https://www.asyl.net/rsdb/M7134
Leitsatz:

§ 73 Abs. 2 a AsylVfG ist nicht auf Widerrufsverfahren anwendbar, die vor dem 1.1.2005 eingeleitet worden sind, auch wenn der Widerruf erst nach dem 1.1.2005 erfolgt ist.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Albaner, Kosovo, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Jahresfrist, Ermessen, Zuwanderungsgesetz, Gesetzesänderung, Übergangsregelung, Drei-Jahres-Frist, Vertrauensschutz
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; VwVfG § 48 Abs. 4 S. 1; VwVfG § 49 Abs. 2 S. 2; AsylVfG § 73 Abs. 2a
Auszüge:

§ 73 Abs. 2 a AsylVfG ist nicht auf Widerrufsverfahren anwendbar, die vor dem 1.1.2005 eingeleitet worden sind, auch wenn der Widerruf erst nach dem 1.1.2005 erfolgt ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der mit Bescheid vom 15.02.2005 ausgesprochene Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Der Widerruf ist nicht deshalb rechtswidrig, weil ihm keine Ermessensentscheidung zugrunde liegt.

§ 73 Abs. 2a AsylVfG ist hier nicht anwendbar. Für diese Änderung des § 73 AsylVfG existiert keine ausdrücklich geregelte Übergangsvorschrift. Die Vorschriften in den §§ 87 ff. AsylVfG gelten unmittelbar nur für frühere Rechtsänderungen. Fehlt eine Übergangsvorschrift, sind die konkrete Rechtsnorm und ihre Auslegung maßgeblich dafür um die Frage zu beantworten, auf welche Rechtsverhältnisse die Norm angewandt werden soll (BVerfG, Beschl. v. 16.01.2001 - 1 BvL 6/01 -; vgl. zu Widerrufsentscheidungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG, die vor dem 01.01.2005 wirksam bekannt gegeben worden sind: VG Karlsruhe, Urt. v. 10.03.2005 - A 2 K 12193/03 - u. Urt. v. 17.01.2005 - A 2 K 12256/03 - m.w.N. u. Urt. v. 04.02.2005 - A 3 K 11689/04 -; vgl. auch VG Darmstadt Urt. v. 12.01. 2005 - 1 E 1226/03.A(3) -).

Der Wortlaut § 73 Abs. 2a AsylVfG und ein Vergleich mit § 73 Abs. 1 AsylVfG in der heute fort geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 27.07.1993 (BGBl. I S. 1361) lassen die Auslegung zu, dass die Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a S. 1 AsylVfG bei den vor dem 01.01.2005 unanfechtbar abgeschlossenen positiven Asylverfahren und Feststellungen gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht an die Unanfechtbarkeit der vorausgegangenen Bescheide gebunden sein kann, weil in Fällen wie hier drei Jahre seit Unanfechtbarkeit bis zur Widerrufsentscheidung nach dem 01.01.2005 bereits vergangen sind und es vor dem 01.01.2005 keine "Prüfung" im Sinne des § 73 Abs. 2a AsylVfG gab. Auf diese "Prüfung" bezieht sich Satz 3 dieser Bestimmung, indem er eine spätere Entscheidung nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG in das Ermessen der Behörde stellt, wenn ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht nach der "Prüfung" erfolgt ist. § 73 Abs. 1 AsylVfG i.d.F. vom 27.07.1993 sah für Widerrufsverfahren bislang lediglich vor, die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, seien "unverzüglich" zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorlägen. Faktisch mag dem aufgrund der Rechtslage vor dem 01.01.2005 ergangenen Widerruf zwar eine "Prüfung" (BT-Drs. 15/420 S. 129) vorausgegangen sein, nämlich um festzustellen, ob unverzüglich zu widerrufen ist. Die Widerrufsbestimmungen im AsylVfG kannten den Begriff "Prüfung" bis zur Einführung des § 73 Abs. 2a AsylVfG nicht § 73 Abs. 3 - 6 AsylVfG in der bis heute geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 27.07.1993 verwendet die Begriffe "Entscheidung" (Abs. 3) bzw. "Entscheidungen" und "Mitteilungen" (Abs. 5) sowie das Verb "entscheidet" (Abs. 4 S. 1). Eine fristgebundene (nach Ablauf von drei Jahren ergangene) "Prüfung" konnte deshalb in den vor dem 01.01.2005 eingeleiteten Widerrufsverfahren, wie hier, nicht durchgeführt werden, auch wenn der Widerrufsbescheid nach dem 01.01.2005 erlassen wurde. Mit anderen Worten: Hat es für Widerrufsverfahren vor dem 01.01.2005 keine "Prüfung" gegeben, kann für eine spätere nach dem 01.01.2005 ergangene Widerrufsentscheidung im Sinne des § 73 Abs. 2a S. 3 AsylVfG keine - eine solche "Prüfung" voraussetzende Ermessensentscheidung gefordert werden, sie erfolgt nicht "nach der Prüfung" im Sinne des § 73 Abs. 2a AsylVfG. Selbst wenn in der Dauer des Ende 2004 eingeleiteten Widerrufsverfahrens bis zum Erlass des Widerrufs am 15. 02.2005 eine "Prüfung" zu sehen wäre, wären hier die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2a AsylVfG nicht erfüllt, weil die Entscheidung über den Widerruf vom 02.05.2005 nach der Anhörung und ohne Mitteilung eines Prüfungsergebnisses an die Ausländerbehörde angeordnet wurde, sie erging nicht später.

Diese am Wortlaut orientierte Auslegung wird unterstützt durch den Zusammenhang einer späteren Entscheidung über den Widerruf mit der Mitteilungspflicht über das Prüfungsergebnis (§ 73 Abs. 2a S. 2 AsylVfG) und der darauf bezogenen ausländerrechtlichen Position des Betroffenen gemäß § 26 Abs. 3 AufenthG in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung vom 30.07.2004 (Art. 15 Abs. 2 Zuwanderungsgesetz).

Sinn und Zweck des Gesetzes und der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachte Willen des Gesetzgebers bestätigen die vorstehende Auslegung. Mit der "Einführung einer obligatorischen Überprüfungspflicht (§ 73 Abs. 2a)" soll erreicht werden, dass die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme, die in der Praxis bislang weitgehend leer gelaufen sind, "an Bedeutung gewinnen" (BT-Drs. 15/420 S. 112). Eine obligatorische Überprüfung nach drei Jahren dient der Beschleunigung der Widerrufsverfahren und der Rechtssicherheit für die Ausländerbehörden und die Betroffenen sowie deren Schutz. Der Wille des Gesetzgebers, § 73 Abs. 2a AsylVfG nicht auf Fälle anzuwenden, in denen vor dem 01.01.2005 Rechtsstellungen der ausländischen Flüchtlinge widerrufen wurden, hat auch in den Vorschlägen im Gesetzgebungsverfahren zu einer nicht in Kraft getretenen Überleitungsvorschrift in § 104 Abs. 6 AufenthG seinen Niederschlag gefunden (BT-Drs. 15/4173 v. 10.11.2004, S. 29, 40, 45 zu § 104 Abs. 6 AufenthG, BT-Drs. 15/4491 u. BT-Drs. 918/1/04 v. 23.11.04, BT-Drs. 987/04 v. 15.12.2004; VG Göttingen, Urt. v. 26.04.2005 - 2 A 222/04 -).

Die gegenteilige Auffassung stützt sich darauf, die Rechtsposition, des anerkannten Asylbewerbers sei nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers jeweils der neuen - gegebenenfalls für den Asylbewerber günstigeren Rechtsposition - anzupassen, was auch das Fehlen einer Übergangsregelung zeige (VG Arnsberg, Urt. v. 14.01.2005 - 12 521/04.A -). Dem kann nach dem zu Wortlaut und Gesetzesbegründung Gesagten nicht gefolgt werden.

Ob sich der Kläger auf eine fehlende Ermessensentscheidung berufen kann, bzw. ob die Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a AsylVfG im Interesse des vom Widerruf Betroffenen steht, bedarf keiner abschließenden Entscheidung (bejahend, VG Karlsruhe, Urt. v. 10.03.2005, a.a.O., a.A., VG Braunschweig, Urt. v. 17.02.2005 - 6 A 524/04 -; vgl. BVerwGE 39, 238 f.). Zur Klarstellung merkt das Gericht an: Eine Ermessensentscheidung ist nicht schon deshalb entbehrlich, weil kein Vertrauensschutz zu beachten ist (so aber VG Karlsruhe, Urt. v. 27.04.2005 - A 11 K 11712/04 - u. v. 10.03.2005 - A 2 K 12193/03 und A 2 K 12256/03 -). Die Ermessensentscheidung nach § 73 Abs. 2a S. 3 AsylVfG ist am Zweck der Ermächtigungsgrundlage zu orientieren, an § 73 Abs. 1 AsylVfG und am Zweck des nach Prüfung ergangenen späteren Widerrufs. Dabei sind öffentliche und private Belange gegeneinander abzuwägen und der Gleichheitsgrundsatz zu beachten. Zu den privaten Belangen rechnet u.a. die Wirkung der Mitteilung nach § 73 Abs. 2a AsylVfG auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 26 Abs. 2 AufenthG und die damit einhergehende Verfestigung seines Aufenthalts. Denkbar sind ferner mehrere öffentliche Belange mit unterschiedlichem Gewicht, die eine nur im öffentlichen Interesse liegende Ermessensentscheidung gebieten können, etwa eine per Erlass geregelte Reihenfolge des vom Widerruf betroffenen Personenkreises nach zeitlichen und sachlichen Gesichtspunkten. Die zuständigen Behörden sind an diese Materie regelnde Verwaltungsvorschriften aufgrund Art. 3 Abs. 1 GG gebunden, und zwar auch dann, wenn sie nicht dem Schutz des Bürgers dienen und dieser keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat (vgl. zum Ganzen: Dürig: in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Rdnr. 428 ff. 433; Kopp, VwVfG, Komm., 7. Aufl., § 40 Rdnr. 66; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.12.1999 - 4 S 2518/97-, VGHBW-Ls 2000, Beilage 3 B). Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass solche Erlassregelungen unter Verstoß gegen Art. 3 GG angewendet wurden.