VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 19.04.2005 - A 11 K 10381/05 - asyl.net: M7132
https://www.asyl.net/rsdb/M7132
Leitsatz:
Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Antragsfiktion, Asylantrag, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Zuwanderungsgesetz, Rückwirkung, Anzeigepflicht, Übergangsregelung, Altfälle
Normen: AsylVfG § 36 Abs. 4 S. 1; AsylVfG § 14a Abs. 2
Auszüge:

Der angefochtene Bescheid dürfte allein deshalb keinen Bestand haben können, weil bei summarischer Prüfung die Vorschrift des § 14a AsylVfG auf den Antragsteller nicht anzuwenden ist.

Doch auch § 14a Abs. 2 AsylVfG dürfte entgegen der Annahme der Antragsgegnerin nicht eingreifen.

Schon der Wortlaut der vorgenannten Norm dürfte eine Anwendung auf den Antragsteller nicht zulassen, da dieser weder am 01.01.2005 oder danach in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden ist. Hätte der Bundesgesetzgeber gewollt, dass von dem ab 01.01.2005 geltenden § 14a Abs. 2 AsylVfG auch Kinder erfasst werden, die vor dem 01.01.2005 in das Bundesgebiet eingereist sind oder hier geboren worden sind, hätte er nach dem Sprachgebrauch des Zuwanderungsgesetzes bzw. des AsylVfG a.F. eine andere Formulierung gewählt, indem er den 1. Halbsatz des § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG sinngemäß etwa wie folgt gefasst hätte: "Ist ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen Asylantragstellung ins Bundesgebiet eingereist" (vgl. insoweit § 15a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 AufenthG sowie § 87a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) "oder ist es hier geboren worden" (vgl. insoweit § 104 Abs. 3 AufenthG). Selbst wenn man den Wortlaut des § 14a Abs. 2 AsylVfG nicht für "eindeutig" halten wollte, deutet er jedenfalls nicht darauf hin, dass die Neuregelung auch alle bei ihrem. Inkrafttreten am 01.01.2005 vorhandenen "Altfälle" hat erfassen wollen.

Würde der ab 01.01.2005 geltende § 14a Abs. 2 AsylVfG u.a. - wie im Falle des Antragstellers - auch für alle vor dem 01.01.2005 im Bundesgebiet geborenen minderjährigen ledigen Kinder von ehemaligen Asylbewerbern gelten, wäre dies eine Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen für Sachverhalte eines Zeitraums, in dem die Gesetzesvorschrift mangels Verkündung noch nicht rechtlich existent war. Mit der "fiktiven" Asylantragstellung können gravierende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen verbunden sein. Nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer (d. h. beispielsweise für ein Kind vor Vollendung des 16. Lebensjahres, § 12 Abs. 1 AsylVfG) gestellt worden ist, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Geht man davon aus, dass als "gestellter Asylantrag" im Sinne des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG auch ein solcher anzusehen ist, der nach § 14a Abs. 1 oder 2 AsylVfG als gestellt gilt, ist nach § 10 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG beispielsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 oder 5 AufenthG vor der Ausreise ausgeschlossen. Selbst wenn der Vertreter eines ledigen minderjährigen Kindes unter 16 Jahren nach § 14a Abs. 3 AsylVfG auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind verzichten würde, dürfte dem Kind, wenn man diesen Verzicht mit einer Rücknahme des Asylantrages gleichsetzen würde, nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vor der Ausreise nur eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des Abschnitts 5 (§§ 22 bis 26) des AufenthG erteilt werden, es sei denn, es greift die Ausnahmevorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG (Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) ein. Eine Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen wäre bei verfahrensrechtlichen Regelungen zwar nicht ohne weiteres unzulässig, erforderte aber jedenfalls eine rechtsstaatlich gebotene eindeutige Übergangsregelung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.7.1992 - 2 BvR 1631, 1728/90 -, NVwZ 1992, 1182/1183). Zwar hat der Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes bezogen auf die Änderungen des AsylVfG eine Übergangsregelung erlassen (vgl. § 87b AsylVfG), diese bezieht sich aber zweifelsfrei nicht auf die hier in Rede stehende Problematik des § 14a AsylVfG.

Dem Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes musste im Übrigen wohl auch bekannt gewesen sein, dass die Anwendung des neuen § 14a AsylVfG auf "Altfälle" wie den der Antragsteller einer ausdrücklichen Übergangsregelung bedurft hätte (vgl. VG Göttingen, Beschl. v. 17.03.2005 - 3 B 272/05,-). Die Norm mit ihrer Fiktion der Asylantragstellung für ledige Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr, durch die verhindert werden soll, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 108), geht maßgeblich auf einen Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen ("Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes") zurück. Vor Einbringung des Gesetzesantrages im Bundesrat hat das Nds. Justizministerium u.a. die Präsidenten aller niedersächsischen Verwaltungsgerichte um Stellungnahme gebeten. Der damalige Präsident des VG Göttingen hat in seinem Bericht an den Präsidenten des Nds. OVG zu diesem Gesetzesantrag vom 14.04.2000 - Geschäfts-Nr.: 373/6 - zu Artikel 3 (Inkrafttreten) ausdrücklich festgestellt, ihm erschienen "Übergangsregelungen unverzichtbar" (Bericht S. 9). Beispielsweise sei "dringend regelungsbedürftig" (Bericht, a.a.O.), ob etwa die formellen Vorschriften dieses Gesetzes "ausnahmsweise, nur teilweise oder überhaupt nicht auch für Ausländer gelten sollen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereist bzw. im Bundesgebiet geboren worden sind, für die aber bisher kein eigener Asylantrags gestellt worden ist (vgl. § 14a E-AsylVfG)". Wenn der Bundesgesetzgeber trotz solcher Hinweise Übergangsvorschriften zu § 14a AsylVfG nicht getroffen hat, spricht dies dafür, dass er sie nicht etwa "vergessen" hat, sondern dass er sie bewusst nicht hat treffen wollen.

Mangels einer im AsylVfG enthaltenen oder einer anderweitig im Zuwanderungsgesetz bestimmten und hier anwendbaren Übergangsvorschrift ist davon auszugehen, dass § 14a Abs. 2 AsylVfG nur Sachverhalte erfassen soll, bei denen minderjährige ledige Kinder von Asylbewerbern oder ehemaligen Asylbewerbern ab 01.01.2005 ins Bundesgebiet einreisen oder ab 01.01.2005 hier geboren werden. Zu diesem Personenkreis gehört der Antragsteller aber zweifelsfrei nicht.

Ist hiernach § 14a Abs. 2 AsylVfG aller Voraussicht nach unanwendbar, ist der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 14.03.2005, der trotz Fehlens eines rechtswirksam gestellten oder als gestellt geltenden Asylantrages (vgl. § 13 AsylVfG) erlassen worden ist, rechtswidrig (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 27.2.1985 - 1 OE 50/81 -, NVwZ 1985, 498). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der Antragsteller mit seiner Klage (A 11 K 10380/05) über die Aufhebung des Bescheides vom 14.03.2005 hinaus nunmehr auch die Anerkennung als Asylberechtigter sowie Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 und Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG begehrt.