OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.06.2005 - 18 B 901/05 - asyl.net: M7116
https://www.asyl.net/rsdb/M7116
Leitsatz:
Schlagwörter: Schutz von Ehe und Familie, Abschiebungshindernis, Abschiebung, Asylantrag, Kinder, Antragsfiktion, Anzeigepflicht, Übergangsregelung, Zuwanderungsgesetz, Altfälle
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 6; AsylVfG § 14a Abs. 2
Auszüge:

Die Antragsteller zu 1. und 3. haben nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG für die Gewährung von Abschiebungsschutz im Wege der Erteilung einer Duldung zur Vermeidung einer Trennung von Familienmitgliedern (Ehefrau/Mutter bzw. Sohn/Bruder) vorliegen.

Das Beschwerdevorbringen ist ungeachtet der Frage nach der vom Verwaltungsgericht verneinten Zulässigkeit des Anordnungsantrags nicht geeignet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen. Zwar ist nunmehr davon auszugehen, dass sich der am 24. Februar 1967 in X. geborene Sohn B. des Antragstellers zu 1. auf Grund eines Asylantrags gestattet im Bundesgebiet aufhält und der Antragsgegner deshalb gegenwärtig dessen Abschiebung und diejenige seiner Mutter nicht betreibt. Hieraus folgt entgegen der Ansicht der Antragsteller zu 1. und 3. aber nicht, dass auch sie wegen einer sich aus Art. 6 GG ergebenden rechtlichen Unmöglichkeit ihrer Abschiebung zu dulden sind.

Art. 6 GG, dessen Schutzbereich sich nicht auf Deutsche beschränkt, gewährt zwar unmittelbar keinen

Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Er verpflichtet aber als wertentscheidende Grundsatznorm die zuständigen Behörden und Gerichte, bei der Entscheidung über den weiteren Aufenthalt eines Ausländers die bestehenden familiären Bindungen an berechtigterweise im Bundesgebiet lebende Personen - wie hier den Sohn B. - in einer Weise zu berücksichtigen, die der Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz in Art. 6 dem Schutz von Ehe und Familie beimisst. Der Schutzumfang ist abhängig von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen, dem Alter der Kinder, der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder und der voraussichtlichen Dauer der bevorstehenden Trennung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59 = InfAuslR 2000, 67 = AuAS 2000, 34 = EZAR 622 Nr. 37; BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 -, BVerwGE 109, 305 = InfAuslR 2000, 93 = DVBl. 2000, 419 = EZAR 043 Nr. 41 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 23).

Die getrennte Abschiebung von Familienmitgliedern ist diesen grundsätzlich zuzumuten, wenn - wie hier - bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber für eines ihrer in Deutschland geborenen Kinder bei unveränderter Sachlage nicht alsbald nach dessen Geburt, sondern erst unmittelbar vor einer später anstehenden Abschiebung einen Asylantrag gestellt haben. In einer derartigen Fallkonstellation haben die Familienmitglieder regelmäßig ihre temporäre Trennung selbst zu vertreten, wenn nicht sogar willentlich herbeigeführt. Deshalb ist es ihnen zur Sicherung des öffentlichen Interesses daran, dass das Asylverfahren nicht für den verfahrensfremden Zweck der Sicherung eines sonst nicht bestehenden Aufenthaltsrechts in Deutschland missbraucht wird, zuzumuten, die Trennung der Familienmitglieder hinzunehmen, die - gleichgültig wie das Asylverfahren ausgehen wird - nur temporär sein wird.

An dieser Beurteilung vermag die Auffassung der Antragsteller nichts zu ändern, dass es der Antragsgegner entgegen seiner sich (angeblich) aus § 14a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ergebenden Verpflichtung versäumt habe, rechtzeitig vor der jetzt beabsichtigten Abschiebung ein Asylverfahren für den B. einzuleiten, indem er das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von dessen Geburt in Kenntnis setzte. Diese Ansicht geht schon deshalb fehl, weil eine solche Möglichkeit erst seit dem Inkrafttreten der mit dem Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) zum 1. Januar 2005 eingeführten Regelung besteht, die Antragsteller zu 1. und 3. dieselbe Möglichkeit besaßen und sich beide vor allem das jahrelange Zuwarten jedenfalls bis zum vorgenannten Zeitpunkt zurechnen lassen müssen. Davon ausgehend kann es offen bleiben, ob § 14a Abs. 2 AsylVfG überhaupt auf Kinder anwendbar ist, die vor dem 1. Januar 2005 geboren wurden. Das dürfte - worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - schon nach dem Wortlaut der Norm angesichts einer fehlenden Übergangsregelung wohl nicht der Fall sein (vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 17. März 2005 - 3 B 272/05 -, AuAS 2005, 117).