VG Arnsberg

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Zitieren als:
VG Arnsberg, Urteil vom 07.09.2005 - 1 K 4045/04 - asyl.net: M7113
https://www.asyl.net/rsdb/M7113
Leitsatz:
Schlagwörter: Einbürgerung, Rücknahme, Straftat, Strafverfahren, Ermittlungsverfahren, Mitwirkungspflichten, Marokkaner, Marokko, Staatsangehörigkeit, Staatenlosigkeit, Ermessen
Normen: VwVfG § 48 Abs. 1 S. 1; AuslG § 88 Abs. 3 S. 1; StAG § 12a Abs. 3 S. 1; VwVfG § 26 Abs. 2
Auszüge:

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der am 2. Oktober 2001 erfolgten Einbürgerung des Klägers ist § 48 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW). Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Mangels einer abschließenden spezialgesetzlichen Regelung im Staatsangehörigkeitsrecht ist diese Vorschrift im Fall einer von vornherein rechtswidrigen Einbürgerung jedenfalls dann anwendbar, wenn die Einbürgerung durch bewusste Täuschung erwirkt worden ist. Hingegen spricht viel dafür, dass die in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) getroffene Wertentscheidung, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf, jedenfalls die Rücknahme solcher Einbürgerungen verbietet, deren Fehlerhaftigkeit der Sphäre der Verwaltung und nicht der des Eingebürgerten zuzurechnen ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 3. Juni 2003 - 1 C 19.02 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 118, 216, 218, 221).

Ein solcher Fall der erschlichenen Einbürgerung mit der Folge der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 VwVfG NRW liegt hier vor.

Die Einbürgerung des Klägers auf der Grundlage der seinerzeit geltenden §§ 85 ff. des Ausländergesetzes (AuslG) war von vornherein objektiv rechtswidrig. Nach § 88 Abs. 3 Satz 1 AuslG (jetzt: § 12 a Abs. 3 Satz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes - StAG -) ist für den Fall, dass gegen einen Ausländer, der die Einbürgerung beantragt hat, wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt wird, die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Falle der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils auszusetzen. Diese Norm schreibt zwingend vor, dass für die Dauer eines laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens das Einbürgerungsverfahren auszusetzen ist. Zum Zeitpunkt der Einbürgerung am 2. Oktober 2001 lief gegen den Kläger bei der Staatsanwaltschaft E. das Ermittlungsverfahren 139 Js 1113/01, das am 16. Mai 2001 eingeleitet worden war und letztendlich zu einer Verurteilung des Klägers zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten führte (Urteil des Amtsgerichts I. vom 11. Juni 2002 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts E. vom 4. Februar 2003). Trotzdem ist der Kläger eingebürgert worden. Dieser Gesetzesverstoß ist auch nicht unbeachtlich. Insbesondere handelt es sich nicht um einen nach § 45 oder § 46 VwVfG NRW unbeachtlichen oder heilbaren Verfahrens- oder Formfehler.

Die Einbürgerung ist auch durch bewusste Täuschung erschlichen worden, weil der Kläger seine Mitteilungspflichten bewusst verletzt hat.

Der Beklagte hat das ihm eingeräumte Rücknahmeermessen rechtsfehlerfrei erkannt und ausgeübt. Er hat die für und gegen die Rücknahme sprechenden Interessen des Klägers und der Allgemeinheit umfassend gewürdigt. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung davon ausgegangen ist, dass der Kläger die marokkanische Staatsangehörigkeit bislang nicht verloren hat. Dies entspricht der Rechtslage. Nach Art. 19 Nr. 1 des Gesetzes über die marokkanische Staatsangehörigkeit verliert ein volljähriger Marokkaner die marokkanische Staatsangehörigkeit, wenn er freiwillig im Ausland eine ausländische Staatsangehörigkeit erworben hat und durch Dekret ermächtigt worden ist, auf die marokkanische Staatsangehörigkeit zu verzichten (vgl. Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Marokko S. 4 f.; Brandhuber/Zeyringer, Standesamt und Ausländer, Marokko II. 2).

Es ist nicht ersichtlich, dass die zuständigen marokkanischen Behörden ein solches Dekret erlassen haben könnten. Zwar hat der Kläger beim Beklagten eine an die Königlich Marokkanische Botschaft in Berlin gerichtete Erklärung abgegeben, mit der er beantragte, ihn durch Dekret zu ermächtigen, auf die marokkanische Staatsangehörigkeit zu verzichten; zugleich hat er beim Beklagter seinen marokkanischen Nationalpass abgegeben. Diese Unterlagen hat der Beklagte jedoch - aus welchen Gründen auch immer - nicht an die marokkanische Botschaft weitergeleitet. Es besteht deshalb kein Anhaltspunkt dafür, dass der marokkanische Staat den Verzicht auf die Staatsangehörigkeit genehmigt haben könnte. Soweit der Kläger in der Klageschrift behauptet, er würde bei Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit staatenlos, weil er seinen marokkanischen Pass abgegeben habe, trifft dies nach den obigen Ausführungen offensichtlich nicht zu, da sich der marokkanische Pass zunächst noch beim Beklagten befand und inzwischen wieder im Besitz des Klägers ist.