OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.08.2005 - 2 PA 211/05 - asyl.net: M7076
https://www.asyl.net/rsdb/M7076
Leitsatz:
Schlagwörter: Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Aufenthaltserlaubnis, Reisedokumente, Entscheidungszeitpunkt, Verpflichtungsklage, Syrien, Staatenlose, Kurden, Beweislast, Fälschung
Normen: ZPO § 114; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Die (zulässige) Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 31. März 2005, in dem dieses es abgelehnt hat, den Klägern für das auf die Erteilung von Aufenthalterlaubnissen und die Ausstellung von Reisedokumenten gerichtete erstinstanzliche Klageverfahren - 2 A 4103/03 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ist begründet.

Auszugehen ist davon, dass die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten i. S. des § 114 ZPO für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung - hier die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an die Kläger und die Ausstellung von Reisedokumenten - nicht überspannt werden dürfen (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 8 zu § 166). Denn andernfalls würde der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, verfehlt werden (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 5.2.2003 - 1 BvR 1526/02 -, NJW 2003, 1857(1858) u. Beschl. v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/03 -, NJW 2003, 2976(2977)); auch würde eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten ist, in unzulässiger Weise in das lediglich auf überschlägige Prüfung angelegte Verfahren der Prozesskostenhilfe verlagert werden (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 30.10.1991 - 1 BvR 1386/91 -, NJW 1992, 889; Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2004, RdNr. 29 zu § 166). Für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe muss es daher ausreichen, dass für die beabsichtigte Rechtsverfolgung gewisse Erfolgaussichten bestehen (Olbertz, aaO), d. h. wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Prozesskostenhilfebewilligungsgesuch vorliegenden Sach- und Rechtslage zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Rechtsverfolgung besteht (HessVGH, Beschl. v. 25.9.1990 - 13 TP 1359/90 -, NVwZ-RR 1991, 160 m. w. Nachw.).

Nach diesem Maßstab hätte das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss den Klägern für ihre Verpflichtungsklage auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und die Ausstellung von Reisedokumenten, für deren rechtliche Beurteilung nicht auf die bei Erlass des Widerspruchsbescheides der ehemaligen Bezirksregierung Hannover vom 15. September 2003 gegebene Sach- und Rechtslage, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Verpflichtungsbegehren abzustellen ist, Prozesskostenhilfe bewilligen müssen. Es besteht nämlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Hauptsacheverfahren über den Antrag der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und die Ausstellung von Reisedokumenten positiv zu entscheiden sein wird oder dass - auch dies reicht für die Bejahung hinreichender Erfolgsaussichten i. S. des § 114 ZPO aus (s. o.) - zu Gunsten der Kläger zumindest ein Bescheidungsurteil nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO ergehen wird. Denn nunmehr besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beklagte zumindest zu verpflichten sein wird, über die Anträge der Kläger auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG sowie die Ausstellung von Reisedokumenten erneut zu entscheiden, die ablehnende Entscheidung in dem angefochtenen Bescheid vom 26. Juni 2003 nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Das Verwaltungsgericht hat in seinem (ablehnenden) Beschluss vom 31. März 2005 allerdings berücksichtigt, dass die Kläger zu 1. und 2. zum Nachweis dessen, dass sie (und ihre minderjährigen Kinder, die Kläger zu 3. - 5.), nicht die syrische Staatsangehörigkeit (oder eine andere Staatsangehörigkeit) besitzen, vielmehr in Syrien als nichtregistrierte Ausländer behandelt worden seien, Bekanntheits-Bescheinigungen ("Identifizierungsscheine") eines Viertelsbürgermeisters mit dem Namen ... der Stadt Hassake, ihrem letzten Aufenthaltsort in Syrien, vorgelegt und auch dargetan haben, dass sie - die Kläger - sich persönlich (durch den Kläger zu 1.) vergeblich bei der syrischen Botschaft in Berlin und (über ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten) bei dem syrischen Außenministerium um Bescheinigungen über ihre nicht gegebene syrische Staatsangehörigkeit bemüht haben. Trotz dieser Bemühungen und der vorgelegten "Identifizierungsscheine" hat das Verwaltungsgericht aber in dem angefochtenen Beschluss gemeint, den Klägern könne die begehrte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die Kläger die materielle Beweislast für die fehlende syrische Staatsangehörigkeit trügen und noch ungeklärt sei, ob die vorgelegten Bekanntheits-Bescheinigungen echt seien, auch müsse im Hauptsacheverfahren noch geklärt werden, ob den Klägern nicht über in Syrien zu beauftragende Anwälte die Vorlage eines Auszugs aus dem Zivil-/Ausländerregister zuzumuten sei. Diese Erwägungen tragen nach den eingangs dargestellten Grundsätzen bei der hier gegebenen Sachlage indessen nicht die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Kläger haben nämlich bereits in ihren negativ verlaufenen Asylverfahren, aber insbesondere in umfangreichen, in diesem ausländerrechtlichen Verfahren eingereichten Schriftsätzen ihre zahlreichen Bemühungen um die Erlangung von Identitätsnachweisen nachgewiesen, und außerdem dargelegt, dass sie in Syrien als nichtregistrierte Ausländer behandelt und ihnen daher in Syrien nur durch den Bürgermeister ihres Viertels, in dem sie in Syrien vor ihrer Ausreise gelebt haben, sog. Identifizierungsscheine, in denen sie als Nichtregistrierte bezeichnet worden sind, ausgestellt worden sind (zuletzt auf ihre ausdrückliche Anforderung durch Vermittlung eines Freundes im September 2001). Der Senat verkennt hierbei nicht, dass Bekanntheits-Bescheinigungen, die durch syrische Dorfvorsteher/Viertelsbürgermeister ausgestellt werden, nur einen geringen Beweiswert haben, weil sie ggf. auch gegen geringe Bestechungssummen zu erhalten sind und überdies ihr Aussagewert nur von geringer Bedeutung ist (s. dazu die Auskunft des Auswärtigen Amtes v. 12.8.2004 an das VG Ansbach u. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 13.12.2004, S. 11 sowie das Gutachten des Deutschen Orient-Instituts v. 22.12.2003 an das VG Bayreuth). Andererseits muss in Rechnung gestellt werden, dass staatenlose Kurden, die in Syrien geduldet, aber nicht in einem der dortigen Register, also nicht einmal in dem Register für Ausländer registriert sind, als sog. Maktumin keine offiziellen syrischen Identitätspapiere erhalten - auch keine rot-orangefarbenen Personaldokumente -, sondern allenfalls weiße Identitätsbescheinigungen der Dorfvorsteher/Viertelsbürgermeister (Lagebericht v. 23.12.2004, aaO). Mithin kann derartigen Identitätsbescheinigungen - wie sie hier ausgestellt worden sein sollen - gerade insoweit Beweiswert zukommen, als deren Ausstellung den Vortag des Ausländers stützen kann, er habe in Syrien zu den Nichtregistrierten gehört, ohne im Besitz der syrischen oder einer anderen Staatsangehörigkeit zu sein. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass den vorgelegten Bescheinigungen durch den Beklagten insoweit Bedeutung zugemessen wird, als dieser die Überprüfung der Echtheit dieser Bescheinigungen veranlasst hat. Soll es aber - auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichts - auf die (als offen bezeichnete) Echtheit dieser Bescheinigungen ankommen, so konnte, war über die Echtheit noch Beweis (durch Einholung einer Auskunft) zu erheben, hiermit die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerade nicht verweigert werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.3.1999 - BVerwG 6 B 121.98 -, NVwZ-RR 1999, 587(588) u. Schenke, aaO).