VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 30.06.2005 - 1 E 863/05 (V) - asyl.net: M7040
https://www.asyl.net/rsdb/M7040
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Sperrwirkung, Abschiebung, Ausreise, rechtliche Unmöglichkeit, Schutz von Ehe und Familie, Erziehungsgemeinschaft, Kindschaftsrechtsreform, Unterhaltsleistungen
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 3; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 25 Abs. 5; Art. 6 Abs. 2
Auszüge:

Dem Kläger steht aber auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Nach der zitierten Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Ausreise des Klägers ist entgegen seiner Auffassung nicht rechtlich unmöglich. Die Schutzgarantie des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und das dem Kläger zustehende Umgangsrecht machen dem Kläger eine Ausreise nicht rechtlich unmöglich. Träger des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind die Eltern des Kindes. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG schließt ein Elternrecht ohne Pflichtentragung gegenüber dem Kind aus. Mit dem Elternrecht ist stets von vornherein als dessen wesensbestimmender Standteil die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes verbunden. Wer das Elternrecht für sich in Anspruch nimmt, kann nicht nur Rechte gegenüber dem Kind einfordern, sondern muss auch Pflichten erfüllen. So ist auch das Umgangsrecht Teil der elterlichen Verantwortung. Wenn aber das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Rechte nur zusammen mit Pflichten vermittelt, kann auch Inhaber dieses Rechtes nur sein, wer zugleich die Elternverantwortung trägt unabhängig davon, ob sich die Elternschaft allein auf Abstammung oder auf Rechtszuweisung gründet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.04.2003, FamRZ 2003, S. 816,). Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geht zwar von einer auf Zeugung begründeten leiblichen Elternschaft aus, nimmt aber über diese Zuordnung hinausgehend die Eltern-Kind-Beziehung als umfassendes Verantwortungsverhältnis von Eltern gegenüber ihren der Pflege und Erziehung bedürftigen Kinder unter seinen Schutz. Voraussetzung dafür, entsprechend dem Elternrecht, Verantwortung für das Kind tragen zu können, ist insofern auch die soziale und personale Verbundenheit zwischen Eltern und Kind. Die Abstammung, wie die sozialfamiliäre Verantwortungsgemeinschaft machen gleichermaßen den Gehalt von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG aus. Voraussetzung für die Anerkennung des Elternrechtes ist daher, dass zwischen dem Kind und seinem Vater eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden hat. Auch der leibliche Vater eines Kindes bildet nämlich mit dem Kind eine Familie, die unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht, wenn zwischen ihm und dem Kind eine soziale Beziehung besteht, die darauf beruht, dass er zumindest eine Zeitlang tatsächlich Verantwortung für das Kind getragen hat. Daraus folgt, dass ein von seinem Kind und der Kindesmutter getrennt lebende ausländischer Staatsangehöriger bezogen auf ein gemeinsames und bei der Mutter lebendes Kind nur dann ein Aufenthaltsrecht ableiten kann, wenn sich die Vater-Kind-Beziehung als eine über die Begegnungsgemeinschaft hinausgehende Erziehungs und Betreuungsgemeinschaft darstellt. Leben die Eltern eines Kindes wie vorliegend nicht zusammen, bedarf es zusätzlicher Anhaltspunkte, um gleichwohl eine solche Erziehungs und Betreuungsgemeinschaft annehmen zu können. Solche Anhaltspunkte können im Verhältnis zwischen einem Vater und seinem nicht mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebendem Kind etwa intensiven Kontakten, gemeinsam verbrachten Ferien, der Übernahme eines nicht unerheblichen Anteils an der Betreuung und Erziehung des Kindes oder sonstigen vergleichbaren Betreuungsleistungen liegen, die geeignet sind, das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes weitgehend auszugleichen. Erschöpft sich der soziofamiliäre Kontakt in Besuchen, fehlen aber darüber hinausgehende Beistandsleistungen oder andere Formen des familiären Kontaktes, handelt es sich um eine bloße Beistandsgemeinschaft. Da Inkrafttreten des Kindschaftsreformgesetzes vom 16.12.1997 (BGBl. I S. 2842) hat zwar zu einer erheblichen Veränderung der Rechtswirklichkeit für die Eltern-Kind-Beziehung, insbesondere durch die Stärkung der Rechtsposition desjenigen Elternteils geführt, bei dem sich das Kind nicht gewöhnlich aufhält. Denn auch §§ 1626 Abs. 1 und 3, 1671 Abs. 1 und 1684 Abs. 1 BGB folgt nunmehr ein Anspruch des Kindes auf Umgang mit jedem Elternteil und die Berechtigung sowie auch die Verpflichtung ebenfalls jeden Elternteils zum Umgang mit dem Kinde. Hieraus kann jedoch nicht schon unmittelbar und ohne Rücksicht auf die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehung der Familienmitglieder untereinander darauf geschlossen werden, dass sich die Eltern-Kind-Erziehung nach Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft auch tatsächlich entsprechend dem Leitbild des Gesetzgebers gestaltet und insoweit eine Beistands und Erziehungsgemeinschaft auch zu dem Elternteil aufrechterhalten wird, bei dem sich das Kind nicht gewöhnlich aufhält (vgl. hierzu HessVGH, Beschl. v. 23.06.2003, Az.: 9 TG 1456/03). Auch nach dem Inkrafttreten des Kindschaftsreformgesetzes kommt es daher entscheidend darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind aufgrund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, dass von der nach außen hin manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist. Der ausländische Elternteil muss die entsprechenden Elternfunktionen tatsächlich auch wahrnehmen und regelmäßig bestimmte Zeiten zusammen mit dem Kind verbringen. Bei der insofern vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehung verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung. Eine Verantwortungsfolge und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht nur quantitativ bestimmten. Die Forderung nach Erfüllung objektiv meßbarer Betreuungsleistungen ließe die in Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete und vom Staat zu respektierende Autonomie der Eltern bei der konkreten Umsetzung ihrer elterlichen Pflichten und Rechte und der Ausgestaltung der gemeinsam getragenen Elternverantwortung außer Acht. Hinzu kommt, dass die Entwicklung eines Kindes nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt wird.