VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 03.03.2005 - A 4 K 10294/02 - asyl.net: M7031
https://www.asyl.net/rsdb/M7031
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Roma, Folgeantrag, Kosovo, Gruppenverfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, UNMIK, KFOR, KPS, Schutzfähigkeit, Märzunruhen, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Erlasslage, Abschiebungsstopp, Memorandum of Understanding
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Anders als das Verwaltungsgericht Stuttgart (vgl. Urt.v. 17.01.2005 - A 10 K 10587/04 -) vermag das erkennende Gericht nicht festzustellen, dass die KFOR, die Polizei der UNMIK und die Kosovo-Polizei (KPS) im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 4 c AufenthG erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens wären, Minderheitsangehörigen wie Roma, Ashkali, Ägyptern und anderen Schutz vor Verfolgung zu bieten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die internationalen Truppen während der Ereignisse im März 2004 den Schutz von Minderheiten, ihres Eigentums und der öffentlichen Einrichtungen nicht gewährleisten konnten (vgl. dazu UNHCR-Positionen vom 30.03. und 13.08.2004; Auswärtiges Amt v. 02.04.2004 an das Bundesamt: Kosovo, Bericht zu den Ereignissen im Kosovo zwischen dem 16. u. 19.03.2004; Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 24.05.2004: Kosovo, Update zur Situation der ethnischen Minderheiten nach den Ereignissen vom März 2004), ergibt sich aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen nicht, dass zur Zeit eine Gefährdungslage für Angehörige von Minderheiten der Gestalt fort besteht, bei einer Rückkehr in den Kosovo in die erhebliche Gefahr zu geraten, Opfer von von den staatlichen bzw. internationalen Organisationen nicht effektiv beherrschbaren Übergriffen zu werden. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 04.11.2004 haben die internationalen Kräfte die Lage im Kosovo wieder unter Kontrolle. So wurden mehr als 200 Personen nach den Unruhen vorläufig festgenommen, darunter auch führende Mitglieder des Veteranenverbandes der UCK. Die UNMIK-Police hat im Zusammenhang mit der Aufklärung des Tatgeschehens 100 Ermittler angefordert, von denen zwischenzeitlich 60 ihren Dienst aufgenommen haben, darunter auch zehn Beamte aus Deutschland. Über neue Vorfälle ist demgemäß auch nichts bekannt geworden. Angesichts dessen kann trotz der Heftigkeit, der Zahl der handelnden nichtstaatlichen Akteure und des Hintergrunds der Übergriffe vom März 2004 nicht von einem Wiederaufflammen der Unruhen in naher Zukunft und damit in dem für die Verfolgungsprognose maßgeblichen Zeitraum ausgegangen werden; die bloß theoretische Möglichkeit einer Verfolgung von Minderheiten genügt insoweit nicht. Ob die Lage unmittelbar nach den März-Unruhen, also im April oder Mai 2004, anders zu beurteilen gewesen wäre, bedarf vorliegend, da es auf den Entscheidungszeitpunkt ankommt, keiner weiteren Vertiefung.

Die Beklagte war auch nicht zu verpflichten, zu Gunsten der Kläger zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG (seit 01.01.2005: § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG) festzustellen.

Hierbei ist nämlich zu berücksichtigen, dass Ashkali, Ägypter, Serben und Roma seitens des Landes Baden-Württemberg lediglich auf der Grundlage des Memorandums of Understanding vom 31.03.2003 zwangsweise in den Kosovo zurückgeführt werden. Entsprechend dem Memorandum of Understanding (vgl. Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.04.2003 nebst Anlage und Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 13.09.2004) müsste, sofern die Ausländerbehörde eine Abschiebung von Ashkali und anderen Angehörigen der genannten nichtalbanischen Volkszugehörigen beabsichtigt, zuvor seitens der UNMIK ein gesondertes individuelles Prüfverfahren durchgeführt werden, in welchem ermittelt wird, ob die abzuschiebende Person weiterhin internationalen Schutzes bedarf. Sollte dies nach der Überprüfung durch die UNMIK der Fall sein, würde diese einer Rückführung der betreffenden Person nicht zustimmen. Demzufolge würden nach Überzeugung des Gerichts Ashkali, Ägypter, Serben und Roma nur dann in den Kosovo abgeschoben werden, wenn durch die Verwaltungsbehörden der Vereinten Nationen vor Ort deren voraussichtliche Sicherheit zuverlässig bejaht wird. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheidet dies aus, weil die UN-Verwaltung für das Kosovo nach den dortigen Unruhen vom März 2004 Abschiebungen von Ashkali, Ägyptern, Serben und Roma aus dem Kosovo nicht akzeptiert (vgl. Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 13.09.2004). Hieraus folgt, dass eine Abschiebung von Ashkali und anderen der erwähnten nichtalbanischen Volkszugehörigen in den Kosovo jedenfalls nicht diejenigen schwerwiegenden Gefahren hervorrufen würde, welche vor dem Hintergrund der bestehenden allgemeinen Gefahrenlage ausnahmsweise in Abweichung von § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG gebieten.