VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 07.07.2005 - AN 4 K 05.30258 - asyl.net: M6997
https://www.asyl.net/rsdb/M6997
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Machtwechsel, Baath, Gesetzesänderung, Ermessen, Allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage, nichtstaatliche Verfolgung, Genfer Flüchtlingskonvention, Anerkennungsrichtlinie, Versorgungslage, medizinische Versorgung, PDK
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; GFK Art. 1 C; RL/2004/83/EG
Auszüge:

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze erweist sich der angefochtene Widerruf der vorangegangenen Schutzgewährung in jeder Hinsicht als rechtmäßig, er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Rahmen der seit 1. Januar 2005 geltenden neuen Rechtslage, die dem vorliegenden Urteil zugrunde zu legen ist (§ 77 Abs. 1 AsylVfG), nunmehr auch nichtstaatliche Verfolgung zu berücksichtigen ist (vgl. § 60 Abs. 1 AufenthG). Der als historische Tatsache allgemeinkundige, im Übrigen sich auch aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen (vgl. insbesondere den in das Verfahren eingeführten aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes) ergebende Sturz des Regimes von Saddam Hussein stellt genau einen solchen politischen Systemwechsel dar, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in seinen vorgenannten Entscheidung angesprochen hat. Durch diesen politischen Systemwechsel im Irak ist jedenfalls die früher vom Regime Saddam Hussein ausgehende Gefahr unmittelbarer oder mittelbarer politischer Verfolgung nunmehr eindeutig landesweit entfallen (so auch etwa BVerwG, Urteil vom 25. August 2004, Az. 1 C 22/03, juris-Nr. WBRE 410011104; BayVGH, Beschluss vom 24.11.2004, Az. 13a 04.30969). Demnach kommt es im Übrigen auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die frühere Zuerkennung des nunmehr widerrufenen Schutzes aus Nordirak-spezifischen Gründen rechtmäßig oder rechtswidrig war, zumal zum einen die völkerrechtliche Zugehörigkeit der kurdischen Gebiete im Nordirak zum Gesamtirak nicht aufgehoben war und zum andern auch stets die Gefahr von Übergriffen aus dem Zentralirak bestand.

Auch § 73 Abs. 2a AsylVfG steht der Rechtmäßigkeit der hier streitgegenständlichen, noch im Jahr 2004 getroffenen Widerrufsentscheidung nicht entgegen. § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG ist nach Auffassung des Gerichts, das sich insoweit bestätigt sieht durch die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nunmehr bereits wiederholt vertretene Rechtsauffassung (vgl. Beschluss des 21. Senats vom 25. April 2005, Az. 21 ZB 05.30260; Urteil des 23. Senats vom 10. Mai 2005, Az. 23 B 05.30217), nicht anwendbar auf solche Widerrufsbescheide, vor deren Erlass (hier: im Jahre 2005) die in § 73 Abs. 2 a Satz 1 AsylVfG vorgesehene Überprüfung noch nicht erfolgt ist und auch noch nicht erfolgt sein konnte, zumal im Zeitpunkt des Ablaufs der Frist von drei Jahren nach Ergehen des Erstbescheides eine entsprechende gesetzliche Prüfungspflicht überhaupt noch nicht existierte.

Auch unter Berücksichtigung der - ebenfalls allgemeinkundigen, im Übrigen aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen ersichtlichen - schlechten allgemeinen Sicherheitslage im Irak ist, auch im Hinblick auf § 60 AufenthG, dort insbesondere Abs. 7 Satz 1, keine anders lautende Entscheidung veranlasst. Es sind keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen und ersichtlich, dass der Kläger bzw. schlechterdings jeder in sein Heimatland zurückkehrende Iraker geradezu zwangsläufig mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer von Übergriffen wird, seien diese dem irakischen Staat zurechenbar oder auch Privatpersonen oder privaten bzw. jedenfalls nichtstaatlichen Organisationen, gleichgültig, ob diese sich politisch, stammesmäßig oder familiär definieren. Hieran ändert auch nichts, dass unter den gegenwärtig herrschenden allgemein unsicheren Verhältnissen im Irak teilweise auch wieder von alters her überkommene traditionelle Verhaltensmuster, wie etwa Stammesfehden, Familienfehden und Blutrache, ausgeübt werden. Relevant wären, auch unter der Geltung von § 60 AufenthG, allein solche Gefahren, die dem Kläger landesweit drohen würden. Hierfür ist jedoch im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des individuellen Vorbringens nichts konkret ersichtlich.

Damit ist auch den Anforderungen nach Art. 1C Nrn. 1 bis 6 der Genfer Flüchtlingskonvention Genüge getan. Soweit die Genfer Flüchtlingskonvention - in der Auslegung der Klägerseite bzw. des UNHCR - als Voraussetzung für eine Widerrufsentscheidung verlangt, dass bei Rückkehr des betreffenden Flüchtlings in den Irak dort nunmehr nicht nur Schutz vor politischer Verfolgung, sondern auch Schutz vor allgemeinen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit besteht, darüber hinaus eventuell sogar die Existenz eines funktionierenden Rechtsstaates und einer angemessenen Infrastruktur, wird hierdurch lediglich ein politisches Ziel angesprochen, nicht jedoch die nach § 73 Abs. 1 AsylVfG maßgebliche Rechtslage wiedergegeben (BayVGH, Beschluss vom 6.8.2004, Az. 15 ZB 04.30565; Beschluss vom 24.11.2004, Az. 13 a ZB 04.30969).

Auch durch die EU-Richtlinie 2004/83 vom 29. April 2004 ergibt sich insofern keine Änderung der Rechtslage, da die dort enthaltenen Voraussetzungen für den Schutz der Flüchtlinge im deutschen Recht bereits enthalten sind und von den deutschen Gerichten beachtet werden, insbesondere der Abschiebungsschutz (vgl. etwa BayVGH, Urteil vom 3.3.2005, Az. 23 B 04.30734).

Wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, ist weder aus den allgemeinen tatsächlichen Verhältnissen im Irak noch aus dem individuellen Vorbringen der Klägerseite auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG konkret zu schließen.

Auch die allgemeine Versorgungslage sowie die Situation des Gesundheitswesens ist, ungeachtet stellenweiser bzw. zeitweiser Engpässe, nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen im Ganzen gesehen nicht so kritisch, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich wären.