VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 09.05.2005 - A 6 K 10636/04 - asyl.net: M6989
https://www.asyl.net/rsdb/M6989
Leitsatz:

Geschlechtsspezifische Verfolgung, wenn Frauen wegen Ehebruchs härter bestraft werden als Männer (hier: Iran).

 

Schlagwörter: Iran, Ehebruch, geschlechtsspezifische Verfolgung, Flüchtlingsfrauen, Verfolgungsbegriff, Steinigung, Strafe, Politmalus
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Geschlechtsspezifische Verfolgung, wenn Frauen wegen Ehebruchs härter bestraft werden als Männer (hier: Iran).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin Ziff. 1 hat dagegen Anspruch auf die Feststellung, dass ihr bei einer Rückkehr in den Iran politische Verfolgung droht (§ 60 Abs. 1 AufenthG). Die Klägerin hat in den mündlichen Verhandlungen vom 03.03. und 09.05.2005 sehr detailliert, mit großem emotionalem Einsatz und insgesamt glaubwürdig dargelegt, dass sie im Bundesgebiet ein Liebesverhältnis einschließlich sexueller Beziehungen zu einem anderen Mann eingegangen sei, mit dem sie inzwischen zusammenlebe. Ihr Ehemann habe sie deswegen nicht nur im Bundesgebiet massiv unter Druck gesetzt, sondern ihr angedroht, er werde mit Hilfe seiner im Iran lebenden Schwester eine Strafverfolgung wegen Ehebruchs einleiten lassen, falls die Klägerin Ziff. 1 in den Iran zurückkehre.

Die Verfolgung einer verheirateten Frau wegen Ehebruchs stellt jedenfalls im Iran eine politische Verfolgung im Sinne von § 60 AufenthG dar. Das Gericht folgt insoweit nicht der Rechtsprechung des VG Bremen (Urt. v. 02.04.1998 - 3 AS 189/95), wonach eine politische Verfolgung deswegen nicht gegeben sei, weil die Bestrafung des Ehebruchs nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Das VG Bremen lässt dabei außer Acht, dass in der Rechtspraxis der iranischen Strafverfolgungsbehörden eine Frau, die die Ehe bricht, wesentlich schärfer verfolgt wird als ein männlicher Ehebrecher (Gutachten des Deutschen Orient-Instituts v. 27.02.2003). Die Berichte über die mit rechtsstaatlichen Maßstäben nicht zu vereinbarende Bestrafung des Ehebruchs im Iran betreffen ausschließlich Frauen; dies gilt insbesondere für die Steinigung. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass das iranische Recht außerordentlich strenge Beweisanforderungen für eine Bestrafung wegen Ehebruchs voraussetzt, nämlich eine Zeugenaussage von vier rechtschaffenden Männern oder drei rechtschaffenden Männern und zwei rechtschaffenden Frauen, die den Ehebruch mit eigenen Augen gesehen haben (Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 27.02.2003, Gutachten von ai v. 03.02.2000) oder aber ein Geständnis der Ehebrecherin, wobei bereits das Geständnis gegenüber dem Ehemann ausreicht (amtliche Auskunft des AA v. 07.02.2003).

Es kann dahinstehen, ob bei korrekter Anwendung des iranischen Rechts eine Bestrafung der Klägerin Ziff.1 wegen Ehebruchs möglich wäre, solange der Ehemann sich nicht im Iran befindet und daher in einem Strafverfahren nicht als Zeuge auftreten kann.

In zahlreichen Erkenntnismitteln kommt nämlich zum Ausdruck, dass in der Rechtspraxis des Irans eine Bestrafung wegen Ehebruchs auch dann vorkommt, wenn die angeführten gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Amnesty international (a.a.O.) hat dabei zu Recht auf den bekannten Fall des deutschen Geschäftsmanns Helmut Hofer verwiesen, der im Iran wegen einer sexuellen Beziehung zu einer Frau zum Tode verurteilt worden ist, obwohl die angeführten Voraussetzungen hierfür offensichtlich nicht gegeben waren. In dem Gutachten von Behjat Moaali vom 28.08.2001 wird davon gesprochen, dass die Revolutionswächter jeden, der im Verdacht einer ehebrecherischen Beziehung steht, zum Reden bringen könnten und daher bei den bisher erfolgten Todesurteilen infolge eines Geständnisses Zweifel an der Freiwilligkeit des Geständnisses angebracht sei.

Aufgrund der angeführten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass die Klägerin Ziff. 1 bei einer Rückkehr in den Iran mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung wegen Ehebruchs ausgesetzt wäre, wobei es durchaus in Betracht kommt, dass ihr ein Geständnis durch körperliche Misshandlungen abgepresst werden könnte. Da, wie bereits dargelegt, die Strafverfolgungsbehörden dabei gegenüber Frauen wesentlich härter und intensiver vorgehen als gegenüber Männern, liegt eine geschlechtsspezifische Verfolgung vor, so dass der Tatbestand des § 60 Abs. 1 AsylVfG erfüllt ist.