VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 09.06.2005 - 2 E 2997/04.A - asyl.net: M6925
https://www.asyl.net/rsdb/M6925
Leitsatz:

Asylanerkennung für afghanische Staatsangehörige wegen Übergriffen nach Kritik an Besetzung politischer Posten und Verweigerung der Ehe mit einem nunmehr in der Regierung tätigen Warlord.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Oppositionelle, Warlords, Demokraten, Zwangsheirat, Schutzfähigkeit, Übergriffe, Schutzfähigkeit
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Asylanerkennung für afghanische Staatsangehörige wegen Übergriffen nach Kritik an Besetzung politischer Posten und Verweigerung der Ehe mit einem nunmehr in der Regierung tätigen Warlord.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Entgegen der Entscheidung des Bundesamtes in seinem angegriffenen Bescheid sind die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Der Kläger zu 1) als engagierter und für den demokratischen Neuanfang in Afghanistan eintretender Mensch ist in seiner Heimat Opfer von politischer Verfolgung geworden, weil er sich zu Beginn der Nach-Taleban-Ära dagegen ausgesprochen hat, dass die Vergabe politischer Posten an unqualifizierte Personen erfolgt. Dies hatte ihm einen Gefängnisaufenthalt eingetragen und der nur durch die Intervention eines befreundeten Lehrers zu einem Ende kommen konnte. Darüber hinaus ist der Kläger aber ebenso wie seine Ehefrau und seine Kinder in das Blickfeld eines früheren, nunmehr im Regierungsbereich tätigen Kommandanten geraten, weil dieser die Tochter des Klägers zu ehelichen beabsichtigte und infolge des nicht erteilten Einverständnisses durch den Kläger zu 1) die Kläger insgesamt mit dem Leben bedroht, wie der Handgranatenangriff auf das Haus des Klägers in Kabul, wohin dieser sich geflüchtet hatte, deutlich macht. Die vom Gericht in das Verfahren eingeführten Dokumente zeigen auf, dass das, was dem Kläger und seiner Familie widerfahren ist, kein Einzelfall darstellt. Wer in das "Visier" alter und nunmehr in die neue Struktur Afghanistans eingebundener Machthaber geraten ist, hat auch bei einer Rückkehr zur heutigen Zeit mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Denn ganz offensichtlich zählen die Kläger nicht zu jenem herausgehobenen Personenkreis, dem die Regierung Karzai Schutz angedeihen lassen könnte. In Anbetracht der in den vergangenen Monaten zu verzeichnenden Stagnation bei der Entwicklung der innenpolitischen Lage in Afghanistan, die in Bezug auf die Situation afghanischer Frauen sogar bemerkenswerte Rückschläge zu verzeichnen hat, was vorliegend auch deshalb von Bedeutung ist, weil der Klägerin zu 3) die Zwangsverheiratung droht, ist in Anbetracht der Besonderheiten des vorliegenden Falles das Bundesamt zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen.