VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 14.06.2005 - 1 K 7987/04.A - asyl.net: M6856
https://www.asyl.net/rsdb/M6856
Leitsatz:

Gesundheitsgefahr wegen HIV-Infektion stellt in Nigeria eine allgemeine Gefahr gemäß § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG dar; § 60 Abs. 7 AufenthG bei HIV-Infektion wegen fehlender Finanzierbarkeit einer antiretroviralen Therapie.

 

Schlagwörter: Nigeria, HIV/Aids, Allgemeine Gefahr, medizinische Versorgung, Krankheit, Abschiebungshindernis, extreme Gefahrenlage, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Gesundheitsgefahr wegen HIV-Infektion stellt in Nigeria eine allgemeine Gefahr gemäß § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG dar; § 60 Abs. 7 AufenthG bei HIV-Infektion wegen fehlender Finanzierbarkeit einer antiretroviralen Therapie.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindemisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Bei der durch unzureichende Behandlungsmöglichkeiten von HIV-Infektionen in Nigeria handelt es sich um eine solche einer Bevölkerungsgruppe allgemein drohenden Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

Nach Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Lagos/Nigeria vom 9.9.2004 mit liegt die Quote der mit HIV/Aids-infizierten Bevölkerung laut offiziellen Angaben bei 5 %. Inoffizielle, nicht repräsentative Erhebungen des hiesigen Vertrauensarztes hätten eine Quote von ca. 18 % ergeben, andere Schätzungen gingen von bis zu 25 % aus. Damit handelt es bei der mit HIV infizierten Nigerianern um eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Die wegen der HIV-Infektion drohenden Gesundheitsgefahren drohen der in Nigeria lebenden Bevölkerungsgruppe der HIV-Infizierten gleichermaßen.

Die Klägerin gehört dieser Bevölkerungsgruppe an.

Sie würde in ihrer speziellen, nicht verallgemeinerungsfähigen Situation bei einer Abschiebung nach Nigeria gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert.

Die Klägerin ist HIV-infiziert und auf die Durchführung der antiretroviralem Therapie angewiesen. Eine solche Therapie könnte er in Nigeria nicht durchführen.

Zwar ist in Nigeria die medizinische Betreuung von HIV-Patienten grundsätzlich möglich. Die staatlichen und privaten Kliniken und Praxen niedergelassener Ärzte entsprechen zwar nicht europäischen Standards, verfügen aber über ausreichende Möglichkeiten der Behandlung. Die erforderlichen Medikamente sind erhältlich, die Antiretroviral-Therapie ist möglich (vgl. dazu nur aktuell Auskunft der Deutschen Botschaft in Lagos an das Bundesamt vom 09.09.2004).

Allerdings gibt es in Nigeria keine kostenfreie staatliche Gesundheitsversorgung. Die Kosten einer Behandlung bei einer HIV-Infektion betragen ca. 500 US Dollar monatlich (vgl. dazu nur aktuell Auskunft der Deutschen Botschaft in Lagos an das Bundesamt vom 09.09.2004). Die Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzte werden in den meisten Fällen nur gegen Vorkasse tätig. Private und karitative Hilfsorganisationen tragen keine HIV-Langzeittherapie (vgl. dazu nur aktuell Auskunft der Deutschen Botschaft in Lagos an das Bundesamt vom 09.09.2004).

Die Klägerin verfügt nach der Überzeugung des Gerichts nicht über ausreichend finanzielle Mittel, die Behandlungskosten zu tragen.

Unter dem Aspekt des durch § 60 Abs. 7 AufenthG vermittelten Rechtsgüterschutzes macht es keinen Unterschied, ob die Behandlung objektiv nicht möglich ist oder subjektiv mangels finanzieller Leistungsfähigkeit des Betroffenen nicht verfügbar ist (vgl. auch OVG Koblenz, Urteil vom 03.04.1998, 10 A 10902/97, VG Oldenburg, Urteil vom 08.12.1998, 1 A 878/96, VG Ansbach, Urteil vom 13.03.2001, AN 10 K 00.30218; anders allerdings VG München, Urteil vom 27.06.2000, M 21 K 00.50173; VGH München, Beschluss vom 25.11.1996, 10 CS 96.2972, die davon ausgehen, dass finanzielle Aspekte im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht zu berücksichtigen seien.

Die mögliche Rechtsgutverletzung ist nach Lage des nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfalles der Klägerin vor dem Hintergrund seines Krankheitsverlaufes hier auch "alsbald" zu erwarten.

Nach den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, an deren Richtigkeit das Gericht keinerlei Zweifel hat, wird bei Abbruch der Therapie das Risiko, lebensbedrohliche Infektionen zu entwickeln, rapid ansteigen und man kann davon ausgehen, dass mit dem Tod der Klägerin ohne Behandlung im darauf folgendem Jahr zu rechnen ist. Dagegen ist davon auszugehen, dass sich die Lebenserwartung der Klägerin bei dem Verlauf ihrer Krankheit mit der derzeit durchgeführten Therapie in jedem Fall auf mehr als ein Jahr belaufen wird.