OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 04.04.2005 - 7 A 10387/05.OVG - asyl.net: M6789
https://www.asyl.net/rsdb/M6789
Leitsatz:

Eine Zurückverweisung an das BAMF in einer asylrechtlichen Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 3 VwGO kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn umfangreiche Sachaufklärungsmaßnahmen notwendig sind, die das BAMF besser als das Gericht bewältigen kann und die keine Verzögerung erwarten lassen.

 

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Posttraumatische Belastungsstörung, Abschiebungshindernis, Widerruf, Berufungszulassungsantrag, Grundsätzliche Bedeutung, Divergenzrüge, Untersuchungsgrundsatz, Durchentscheiden, Spruchreife, Sachaufklärungspflicht, Bundesamt, Verpflichtungsklage, Anfechtungsklage, Beschleunigungsgebot
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2; VwGO § 113 Abs. 5 S. 1; VwGO § 113 Abs. 3
Auszüge:

Eine Zurückverweisung an das BAMF in einer asylrechtlichen Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 3 VwGO kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn umfangreiche Sachaufklärungsmaßnahmen notwendig sind, die das BAMF besser als das Gericht bewältigen kann und die keine Verzögerung erwarten lassen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag, die Berufung zuzulassen, bleibt erfolglos, weil weder die behauptete Divergenz i.S. des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG noch die grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG vorliegt.

Die gerügte Divergenz zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 (BVerwGE 106, 171) wird weder formell ordnungsgemäß dargelegt, noch greift sie sachlich durch.

Die Darlegung der Divergenzrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG erfordert formell die Bezeichnung eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatzes, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat (BVerwG, NJW 1997, 3328); dabei ist die Gegenüberstellung der divergierenden Rechtssätze unverzichtbar (BVerwG, NVwZ-RR 1996, 712).

Vorliegend bezeichnet die Beklagte zwar die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von der das verwaltungsgerichtliche Urteil abweichen soll, jedoch fehlt es an der Gegenüberstellung der in Anwendung derselben Vorschrift aufgestellten Rechtssätze. Die Beklagte führt unter IV ihres Zulassungsantrags lediglich an, das Bundesverwaltungsgericht bringe in seiner Entscheidung vom 10. Februar 1998 zum Ausdruck, dass es unabhängig von der Fallkonstellation im Einzelfall, der vom Gesetzgeber gewollten Beschleunigung des Asylverfahrens mehr diene, wenn das Gericht durchentscheide. Mit diesen Ausführungen ist jedoch dem Darlegungserfordernis im vorbeschriebenen Sinne nicht genügt.

Ungeachtet dessen besteht auch objektiv keine Divergenz zur von der Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, da diese auf der Anwendung einer anderen Rechtsvorschrift basiert. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, der in asylrechtlichen Verpflichtungsbegehren Anwendung mit der Maßgabe beansprucht, dass das Gericht die Streitsache im Sinne der vorgenannten Norm in vollem Umfang spruchreif zu machen hat. Demgegenüber beruht das angefochtene Urteil auf der Anwendung des § 113 Abs. 3 VwGO im asylrechtlichen Anfechtungsprozess, so dass schon von daher keine Divergenz zur angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegen kann.

Der Sache fehlt auch die ihr von der Beklagten zugemessene grundsätzliche Bedeutung.

Die dem Zulassungsbegehren sinngemäß zu entnehmende Frage, ob § 113 Abs. 3 VwGO in vorliegenden Streitigkeiten unter Berücksichtigung des in § 86 VwGO normierten Untersuchungsgrundsatzes anwendbar ist, bedarf zu ihrer Beantwortung nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens.

§ 113 Abs. 3 VwGO sieht eine Ausnahme von dem Grundsatz der abschließenden Streitentscheidung durch die Gerichte vor und betrifft, wie sich schon aus der Systematik des § 113 VwGO entnehmen lässt, allein die in § 113 Abs. 1 bis 4 VwGO erfassten Anfechtungsklagen (BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45.97 -). Danach gilt, dass die Vorschrift dem Grunde nach auch auf Anfechtungsklagen in asylrechtlichen Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz Anwendung finden kann.

Allerdings handelt es sich bei § 113 Abs. 3 VwGO um eine Ausnahmeregelung, von der zurückhaltend Gebrauch zu machen ist.

Hieraus folgt, dass nicht schon dann, wenn die Ermittlungen des Bundesamtes ein Defizit aufweisen und damit eine Sachaufklärung durch das Gericht notwendig machen, eine Anwendung des § 113 Abs. 3 VwGO gerechtfertigt ist. § 113 Abs. 3 VwGO will nicht den Verwaltungsgerichten unter Zurückstellung einer abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits eine zügige Erledigung

ermöglichen, vielmehr soll sich das Gericht lediglich unter engen Voraussetzungen entlasten dürfen. Dabei ist vor allem in asylrechtlichen Streitigkeiten zu sehen, dass zum einen die Verwaltungsgerichte durch eine intensive Befassung mit diesem Rechtsgebiet in der Regel auch personell und sachlich mittlerweile gut ausgestattet sind, um notwendige Sachaufklärungsmaßnahmen durchzuführen, und dass zum anderen diese Streitigkeiten nach dem Willen des Gesetzgebers beschleunigt abgewickelt werden sollen. Daraus folgt für die Gerichte, dass sie in aller Regel die Maßnahmen zu ergreifen haben, die eine endgültige und zügige Erledigung des Rechtsstreits bewirken. Aus diesen Gründen wird es in Fällen wie dem vorliegenden zumeist an den Voraussetzungen des § 113 Abs. 3 VwGO fehlen. Im Einzelfall kann es jedoch Ausnahmen geben, die sich dadurch auszeichnen, dass Sachaufklärungsmaßnahmen notwendig sind, die das normale Maß nicht unerheblich überschreiten, die mit der personellen und sachlichen Ausstattung des Bundesamtes besser zu bewältigen sind und die bei sorgfältiger Durchführung dort auch ohne Verzögerung eine endgültige Klärung des Falles erwarten lassen. Allenfalls in diesem engen Rahmen verbleibt in asylrechtlichen Anfechtungsklagen ein Anwendungsbereich des § 113 Abs. 3 VwGO.

Ob die angefochtene verwaltungsgerichtliche Entscheidung diesen Erfordernissen gerecht wird, bedarf keiner weiteren Vertiefung, da die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung nicht dazu dient, eine der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auf etwaige Fehler im Einzelfall zu überprüfen und sie zu korrigieren.