VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 05.05.2005 - 5 BV 04.3174 - asyl.net: M6778
https://www.asyl.net/rsdb/M6778
Leitsatz:

Zur Acht-Jahres-Frist des § 4 Abs. 3 StAG zählen nur Zeiten des auf Dauer angelegten Aufenthalts, nicht jedoch Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsgestattung oder einer Erlaubnisfiktion wegen Beantragung eines Aufenthaltstitels.

 

Schlagwörter: D (A), in Deutschland geborene Kinder, Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Staatsangehörigkeitsausweis, Eltern, Aufenthaltsdauer, Gewöhnlicher Aufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, Aufenthaltsgestattung, Aufenthaltsgenehmigung, Antrag, Fiktionswirkung
Normen: StAG § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1; AuslG § 35 Abs. 1 S. 2; AsylVfG § 55; AuslG § 69 Abs. 3
Auszüge:

Zur Acht-Jahres-Frist des § 4 Abs. 3 StAG zählen nur Zeiten des auf Dauer angelegten Aufenthalts, nicht jedoch Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsgestattung oder einer Erlaubnisfiktion wegen Beantragung eines Aufenthaltstitels.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, da er kein deutscher Staatsangehöriger ist. Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht gemäß § 4 Abs. 3 StAG erworben; andere Erwerbsgründe sind nicht ersichtlich.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und darüber hinaus gem. Nr. 2 aufenthaltsberechtigt ist. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "achtjähriger gewöhnlicher Aufenthalt" hat das Bundesverwaltungsgericht die insoweit wortgleiche Vorschrift des § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG und die dazu ergangene Rechtsprechung herangezogen, da keine Gründe für die Anwendung anderer Kriterien ersichtlich seien (BVerwG, B.v. 25.11.2004 - 1 B 24.04, NVwZ 2005, 231). Ausdrücklich hat es dabei an seine Entscheidungen zu Art. 2 Satz 1 AGStlMindÜbk (Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 30.8.1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13.9.1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit - Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29.6.1977, BGBI. I S. 1101) angeknüpft, in denen ausgeführt wurde, dass der dort verwendete Begriff des dauernden Aufenthalts dem im Ausländerrecht verwendeten Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts entspricht. Von der Voraussetzung des dauernden Aufenthalts zu unterscheiden ist dessen Rechtmäßigkeit; dieses Tatbestandsmerkmal setzt grundsätzlich voraus, dass der Aufenthalt von der Ausländerbehörde erlaubt worden ist. Mit Blick auf die unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Legalisierungstatbestände verlangt das Bundesverwaltungsgericht, dass die Rechtmäßigkeit sich auf den dauernden Aufenthalt beziehen, ihn "abdecken" muss. Nicht die bloße Anwesenheit, sondern ein etwaiger Daueraufenthalt des Ausländers in Deutschland muss rechtmäßig sein.

In Fällen eines genehmigungsbedürftigen Aufenthalts wird daher vorausgesetzt, dass die Aufenthaltsgenehmigung für einen dauernden, nicht bloß für einen vorübergehenden Aufenthaltszweck erteilt worden ist (BVerwG, U.v. 23.2.1993 -1 C 45.90, BVerwGE 92, 116/126 f.).

Der asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestattung (früher § 19 AsylVfG, nunmehr 55 AsylVfG) und der Fiktionswirkung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung (§ 69 AuslG 1990) hat das Bundesverwaltungsgericht die Legalisieungswirkung eines Daueraufenthalts abgesprochen, da der Aufenthalt nur zur Durchführung des Asylverfahrens bzw. bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde gestattet bzw. erlaubt/geduldet werde und auf diese Funktion begrenzt sei. Diese aIlein durch die AntragsteIlung ausgelöste Vergünstigung mit dem immanent begrenzten Aufenthaltszweck könne nicht die - mit einem für den Betroffenen positiven Abschluss des Verfahrens verbundene - Wirkung einer Zustimmung zum Aufenthalt im Bundesgebiet vorwegnehmen und führe daher unter dem Blickwinkel der Einbürgerungsvorschriften nicht zu einem rechtmäßigen Aufenthalt (BVerwG, v. 16.10.1990-1 C 15.88, BVerwGE 87, 11/20).

Diese Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat (U.v. 4.4.2005 - 5 BV 03.3089), gilt gleichermaßen auch für § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG. Die vom Kläger in den Vordergrund gestellte Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990 rechtfertigt kein anderes Ergebnis; denn die Rechtsfolgen dieser Vorschrift beschränken sich auf aufenthaltsrechtliche Wirkungen: Die Anrechnung der Dauer eines negativ abgeschlossenen Asylverfahrens auf die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderliche Aufenthaltszeit hat nicht zur Folge, dass der asylverfahrensbedingte Aufenthalt im Sinne qualifizierter staatsangehörigkeitsrechtlicher Anforderungen rechtmäßig ist. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung einen den Daueraufenthalt legalisierenden Aufenthaltstitel. Die wohl weitergehende Interpretation des Gesetzes durch die AlIgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (Nr. I. 4.3.1.2 Buchst. f StAR-VwV vom 13.12.2000, Anl. zum BAnz vom 31.1.2001) vermag keine Abweichung von der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu begründen; eine vergleichbare Erlasslage zur Einbürgerung gem. § 85 AuslG bestand im übrigen bereits im Zeitpunkt des Ergehens der oben zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen (vgl. Nr. 2.2 der Vorläufigen Ausführungsbestimmungen des Bundesministers des Inneren vom 11.10.1990 zu den einbürgerungsrechtlichen Vorschriften im neuen Ausländergesetz, abgedruckt in InfAuslR 1991, 15 ff.).

Demnach wurde der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern des Klägers erst mit Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse am 10. September 1996 rechtmäßig, so dass § 4 Abs. 3 StAG nicht zugunsten des Klägers greift.