VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 29.03.2005 - 2 A 101/05 - asyl.net: M6774
https://www.asyl.net/rsdb/M6774
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Duldung, Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Anfechtbarkeit, Schutz von Ehe und Familie, Familieneinheit, Umverteilung, Anfechtungsklage, Vorverfahren, Zulässigkeit
Normen: AufenthG § 61 Abs. 1 S. 2; NAusfG VwGO § 8a Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft, die auf die Aufhebung der Wohnsitzauflage gerichtet ist.

Da es sich bei der Wohnsitzauflage um eine selbständige Anordnung nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG handelt, stellt sich die Frage nach der isolierten Anfechtbarkeit und Aufhebung von Nebenbestimmungen hier nicht. Es ist vielmehr unproblematisch die Anfechtungsklage statthaft, wobei in der Regel zunächst ein Vorverfahren durchzuführen ist, sofern sich nicht aus landesrechtlichen Bestimmungen etwas anders ergibt ( vgl. Funke/Kaiser, Gemeinschaftskomm. zum AufenthG, Stand: April 2005, § 61 Rdnr. 27). Nach § 8 a Abs. 1 NAusfG zur VwGO bedarf es für Verwaltungsakte, die nicht dem Ausnahmekatalog nach § 8 a Abs. 3 zuzuordnen sind, keines Vorverfahrens mehr. Die Anfechtungsklage kann daher ohne Vorverfahren erhoben werden. Die Klagefrist ist gewahrt, da die Duldung nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, so dass die Klägerin nach § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Verwaltungsaktes Klage erheben konnte.

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtene Wohnsitzauflage ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage fur die angefochtene Regelung kann, entgegen der Rechtsauffassung des Landkreises Harburg, der sich noch auf dem zum 1. Januar 2005 außer Kraft getretenen § 64 Abs. 2 AuslG beruft, nur § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sein. Nach § 61 Abs. 1 AufenthG ist der Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers räumlich auf das Gebiet des Landes beschränkt. Weitere Bedingungen und Auflagen können angeordnet werden. Bei der Entscheidung, ob eine Duldung mit einer Wohnsitzauflage zu versehen ist bzw. eine bestehende Wohnsitzauflage zu ändern oder aufzuheben ist, stehen den fiskalischen öffentlichen Interessen auch private Belange des Ausländers gegenüber, die in die Ermessenserwägung einzustellen sind und die regelmäßig überwiegen, wenn sie grundrechtlichen Schutz genießen ( so zu § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG: VG Braunschweig, Urt. v.10.7.2003 - 1 A 124/01 -, in InfAuslR 2003, 437). In Fällen der "Familienzusammenführung" gebieten Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich die Herstellung der Einheit zwischen Eltern und minderjährigen Kindern, und zwar ohne Einschränkungen und Vorbehalte, insbesondere dürfen Erwägungen hinsichtlich möglicher Belastungen (unterschiedlicher) öffentlicher Kassen durch Sozialleistungen keine Rolle spielen. Denn Art. 6 Abs. 1 GG gebietet die Anerkennung eines Mindestmaßes an autonomer Entscheidungsbefugnis über die Modalitäten der Unterstützung und Hilfegewährung im Familienverband (vgl. Funke/Kaiser, GK- AufenthG, Stand: April 2005, § 61 Rdnr. 31). Im vorliegenden Fall gebietet Art. 6 Abs. 1 GG die Herstellung der Familieneinheit zwischen der Klägerin, ihrem Kind und dem Vater des Kindes, der die Vaterschaft anerkannt hat. Der Schutz der Familie ist bislang weder vom Beklagten noch vom Landkreis Harburg ausreichend gewürdigt worden. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Duldung der Klägerin mit einer neuen Wohnsitzauflage betreffend den Wohnort des Vaters des Kindes der Klägerin versehen werden kann, was die Klägerin offenbar bereit ist, zu akzeptieren.