VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 31.05.2005 - 6 A 233/03 - asyl.net: M6770
https://www.asyl.net/rsdb/M6770
Leitsatz:

Wenn die im Asylrechtsstreit beteiligte Bundesrepublik Deutschland binnen angemessener Zeit weder das an ihre Auslandsvertretung gerichtete Auskunftsersuchen noch ein Erinnerungsschreiben des Gerichts beantwortet, kann das pflichtwidrige Schweigen aller beteiligten Behörden der Bundesrepublik Deutschland als Bestätigung der Behauptung des Asylbewerbers gewertet werden, er könne die benötigten Medikamente im Kosovo voraussichtlich nicht bezahlen. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Ashkali, Ägypter, Krankheit, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Auswärtiges Amt, Auskünfte, Stellungnahmen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

Wenn die im Asylrechtsstreit beteiligte Bundesrepublik Deutschland binnen angemessener Zeit weder das an ihre Auslandsvertretung gerichtete Auskunftsersuchen noch ein Erinnerungsschreiben des Gerichts beantwortet, kann das pflichtwidrige Schweigen aller beteiligten Behörden der Bundesrepublik Deutschland als Bestätigung der Behauptung des Asylbewerbers gewertet werden, er könne die benötigten Medikamente im Kosovo voraussichtlich nicht bezahlen. (amtlicher Leitsatz)

 

Nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kann der Kläger die Feststellung des ausgesprochenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG verlangen.

Nach dem gegenwärtigen Sachstand muss angenommen werden, dass dem Kläger zu 1. bei einer Rückkehr in das Kosovo eine erhebliche krankheitsbedingte individuelle Gefahr droht. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger zu 1. im Kosovo im erforderlichen Umfang würde behandelt werden können, ergibt sich dies bereits aus den zu erwartenden Kosten für die zur Abwehr konkreter Lebensgefahr fortlaufend benötigten Medikamente, die der erwerbsunfähige Kläger zu 1. wahrscheinlich nicht aus eigenen Mitteln wird aufbringen können und für die er neben den im Kosovo gewährten Sozialhilfeleistungen sonstige Hilfe nicht zu erwarten hat.

Die Sozialhilfeleistungen im Kosovo bewegen sich auf sehr niedrigem Niveau und erreichen für eine Familie (abhängig von der Zahl der Personen) höchstens 75 Euro monatlich. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (Lagebericht vom 04.11.2004) reichen sie kaum aus, den allgemeinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Nach der dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Auskunftslage müsste der Kläger zu 1., der neben einer schweren Atemwegerkrankung (vgl. zu diesem Krankheitsbild und den aufzubringenden Kosten bereits das Urteil des erkennenden Gerichts vom 03.03.2005 - 6 A 310/04) auch an verschiedenen weiteren schweren Erkrankungen leidet, allein für die nachfolgend genannten Medikamente (oder Ersatzprodukte) Kosten aufwenden, die sein im Kosovo verfügbares Einkommen aus Sozialhilfemitteln sicher übersteigen würden.

Unabhängig davon - im Sinne eines selbständig tragenden Grundes - ergibt sich dieses Ergebnis auch aus dem Umstand, dass die Beklagte sich auf den Beweisbeschluss des Gerichts pflichtwidrig verschwiegen und damit letztlich die Richtigkeit der diesbezüglichen Behauptungen des Klägers zu 1. bestätigt hat; dem - erstaunlichen - Schweigen aller beteiligten Behörden der Bundesrepublik Deutschland kann ein anderer Erklärungswert nicht beigemessen werden.

Der Kläger zu 1. könnte der ihm drohenden Gefahr schließlich auch nicht durch ein Ausweichen in ein außerhalb des Kosovo gelegenes Gebiet von Serbien und Montenegro entgehen. Kostenlos können Bürger aus dem Kosovo in den übrigen Landesteilen von Serbien und Montenegro nur dann behandelt werden, wenn sie bei einer Kommunalbehörde registriert oder als Ausgesiedelte, Flüchtlinge oder Vertriebene anerkannt sind; anderenfalls müssen sie die Kosten der medizinischen Versorgung selbst tragen (Deutsche Botschaft Belgrad, Auskunft vom 12.08.2003 an das VG Aachen und vom 22.05.2003 an den Hessischen VGH). Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu 1. einen solchen Status - wenn überhaupt - so rechtzeitig erreichen könnte, dass die in seinem Fall gebotene engmaschige Behandlung und Medikation sichergestellt wäre.