VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 07.04.2005 - 17 AE 91/05 - asyl.net: M6742
https://www.asyl.net/rsdb/M6742
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Drittstaatenregelung, Abschiebungsanordnung, Polen (A), Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Zulässigkeit, Verfassungskonforme Auslegung, Ausnahmefall, Duldung, Krankheit, Psychische Erkrankung, Suizidgefahr, Medizinische Versorgung
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2; AuslG § 55 Abs. 2
Auszüge:

Die von den Antragstellern begehrte Entscheidung ist nach § 34a Abs. 2 AsylVfG im Grundsatz ausgeschlossen. Zwar ist diese Vorschrift nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie entgegen ihrem Wortlaut die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Zusammenhang mit geplanten Abschiebungen in den sicheren Drittstaat nicht generell verbietet, derartiger Rechtsschutz also in Ausnahmefällen nach den allgemeinen Regeln möglich bleibt. Indes liegt ein derartiger Ausnahmefall nach den vom Bundesverfassungsgericht insoweit aufgestellten Grundsätzen erkennbar nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O. S. 71 f., 91f., 66, 68 UA) ist § 34a Abs. 2 AsylVfG (nur) in den folgenden Fällen nicht einschlägig:

Der Ausländer wendet sich gegen die Modalitäten des Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung, d.h. er beruft sich gegenüber dem Vollzug der Abschiebungsandrohung auf humanitäre und persönliche Gründe, die zur Erteilung einer Duldung gem. § 55 AuslG führen können. Der Ausländer soll nicht in den Drittstaat, sondern in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden. Der Ausländer legt individuelle konkrete Gefährdungstatbestände im Drittstaat dar, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können.

Vorliegend ist der Reiseweg der Antragsteller über Polen unstreitig. Die Antragsteller sollen auch nicht in den Herkunftsstaat abgeschoben werden. Es liegen auch keine Tatsachen vor, die die Annahme nahelegen, geschweige denn "aufdrängen", dass sie von einem der vorstehend genannten, im "normativen Vergewisserungskonzept" nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. Sie berufen sich auf humanitäre und persönliche Gründe berufen, die zur Erteilung einer Duldung gem. § 55 AuslG hätten führen können.

Eine Abschiebung ist nicht aus rechtlichen Gründen im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG unmöglich.

Der Antragsteller zu 1) ist durch den Vorgang der Abschiebung nicht in dem Maße gesundheitlich beeinträchtigt oder gefährdet, dass auf ein dauerhaftes inländisches Vollstreckungshindernis zu erkennen wäre.

Sofern der Antragsteller zu 1) - wie in der ärztlichen Bescheinigung vom 8.2.2005 ausgeführt - auf den Vorgang der Abschiebung nach Polen mit einer Verschlechterung der Befindlichkeit und dem Risiko eines eventuellen Suizidversuchs regieren sollte, würde dies aller Voraussicht nach zwar seinen Gesundheitszustand gegenüber dem jetzigen verschlechtern. Gleichwohl muss er sich darauf verweisen lassen, eine durch die Abschiebung herbeigeführte wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustands durch eine therapeutische Behandlung im Zielstaat der Abschiebung beheben zu lassen (vgl. auch VGH Mannheim, Beschl. v. 7.5.2001, EZAR 045 Nr. 17; OVG Hamburg, Beschl. v. 3.4.2003 - 3 Bs 439/02 in Juris). Soweit sogar ein Suizidrisiko ärztlicherseits als eventuelle Möglichkeit benannt wird, ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller zu 1) nach der ärztlichen Bescheinigung vom 8.2.2005 unter einer chronischen Erkrankung leidet, die nach Angaben der Antragstellerin zu 2) in einem zur Akte gereichten Brief mit Ereignissen aus dem Jahr 1995 begonnen hat und im Verlauf dieser Zeit auch nicht infolge des erfolglosen Asylverfahrens in Polen zu einem Suizidversuch geführt hat. Vor diesem Hintergrund ist nicht substantiiert dargelegt, worauf die Annahme des Risikos eines eventuellen Suizidversuchs sich gründet angesichts einer Abschiebung nach Polen, wohin sich die Antragsteller noch vor einem halben Jahr in Kenntnis der Erkrankung des Antragstellers zu 1) mittels eines gekauften Visums für Polen freiwillig begeben hatten. Insoweit ist das Vorbringen vollkommen unschlüssig. Aufgrund dieser Umstände ist das Gericht der Überzeugung, dass sich die Suizidgefahr nach erfolgter Rückkehr nicht in der Intensität darstellen wird, dass man sagen könnte, der Antragsteller zu 1) sei sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert worden. Dies aber ist der Maßstab.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem von den Antragstellern geltend gemachten Umstand, dass in Polen Unzulänglichkeiten der psychosozialen und therapeutischen Versorgung für Asylbewerber und Flüchtlinge bestehen sollen. Denn nach den von den Antragstellern eingereichten Unterlagen (Bericht zur Situation. . .) und mithin nach ihren eigenen Angaben gibt es in Polen ein Zentrum für die Behandlung von politisch Verfolgten. Zwar gibt es nach dortigen Angaben (1.6.2. des Berichts) aus Kapazitätsgründen nur in Ausnahmefällen für ausländische Flüchtlinge dort Aufnahme, aber das betrifft nach den Angaben auch nur das spezielle Zentrum für politisch Verfolgte, nicht hingegen andere psychiatrische Klinikeinrichtungen in Polen, wie sie der Antragsteller im Bundesgebiet aufgesucht hat. Im Übrigen sind Unzulänglichkeiten, wie der Umstand, dass nach den Angaben des Berichts in den Asylbewerberunterkünften in Polen keine Psychologen arbeiten, angesichts von Möglichkeiten des Antragstellers zu 1) Kliniken in Polen aufzusuchen, von diesem hinzunehmen. Es ist im Übrigen darauf hin zu weisen, dass ein möglicherweise geringerer medizinischer Standard als in der Bundesrepublik Deutschland nicht zur Annahme eines Anspruchs auf Duldung führt.