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VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 15.04.2005 - 9 K 1939/03.A - asyl.net: M6724
https://www.asyl.net/rsdb/M6724
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Südserbien, Albaner, Traumatisierte Flüchtlinge, Psychische Erkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung, Folgeantrag, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Ermessen, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; VwVfG § 51
Auszüge:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 8. September 2003 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Abschiebungshindernisse betreffenden Verfahrens. Die gemäß §§ 51 Abs. 5, 49 VwVfG gebotene pflichtgemäße Ermessensentscheidung führt ebenfalls nicht zum Erfolg der Klage. Das gilt namentlich insoweit, als es um ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis geht.

Bei Rückkehr der Klägerin in den Kosovo ist eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Erkrankung im Sinne existentieller Gesundheitsgefahren aus Sicht eines vernünftig denkenden und besonnenen Menschen nicht ernstlich zu befürchten und damit nicht überwiegend wahrscheinlich. Die Erkrankung ist nämlich in Würdigung aller in das vorliegende Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen und des dem früheren § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG immanenten Zumutbarkeitsgesichtspunkt (§ 108 Abs. 1 VwGO) im Kosovo generell jedenfalls so weit behandelbar, dass sie bei dem gebotenen Mitwirken der Klägerin zumindest auf dem gegebenen Niveau gehalten werden kann und damit ihre Verschlimmerung und erst recht eine solche bis hin zu existentiellen Gefahren für die Klägerin verhindert werden kann. Die Erkrankung der Klägerin weist keine Besonderheiten auf, die insoweit eine abweichende Würdigung rechtfertigten.

Nach den dem Senat vorliegenden umfangreichen Erkenntnissen über die allgemeine Lage und die Gesundheitsversorgung im Kosovo - Auskünfte des Auswärtigen Amts, des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo, des UNHCR, von Menschenrechtsorganisationen und sonstigen öffentlichen und privaten Stellen und Beobachtern vor Ort, Berichterstattungen in den Medien usw. -, von denen der Übersicht wegen nur der wesentliche Teil in das vorliegende Verfahren eingeführt ist, war die allgemeine Lage der Gesundheitsversorgung im Kosovo - dieses isoliert betrachtet ohne Rest-Serbien und Montenegro - nach den kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahres 1999 stark beeinträchtigt und hat sich nur schleppend erholt und den Stand früherer Jahre wohl auch noch nicht wieder erreicht. ...

Aus all diesen Erkenntnisquellen ergibt sich für den Senat ein Bild, wonach die schon vor der kriegerischen Auseinandersetzung geschwächte allgemeine Gesundheitsversorgung im Kosovo zwar in jüngster Zeit gezielt verstärkt worden ist, aber noch längst nicht zufrieden stellen kann und nicht annähernd den Standard der deutschen Gesundheitsversorgung erreicht hat; eine psychische Erkrankung, insbesondere PTBS und schwere Depression, aber auch Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Albträumen, in stark belasteten Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens medikamentös bei Wirkkontrolle habe begleitend durchgeführten supportiven Gesprächen durch psychotherapeutisch nur eingeschränkt befähigtes ärztliches Personal behandelt wird und eine psychotherapeutische Behandlung durch qualifizierte Fachärzte nur in den ebenfalls stark frequentien NRO durchgeführt werden kann. Soweit insbesondere die Fachärztin Dr. Tl. -NI. und die Schweizer Flüchtlingshilfe eine unzureichende Psychotherapie im Kosovo bemängeln, geschieht dies erkennbar unter dem Blickwinkel einer Heilung oder Linderung bewirkenden Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen nach hier allerdings nicht maßgebenden deutschen oder westeuropäischen Standards. Auch diejenigen Erkenntnisquellen, die die Behandlungsmöglichkeiten für schwere psychische Erkrankungen im Kosovo für unzureichend halten, stellen somit eine grundsätzliche Behandlungsmöglichkeit, und zwar eine medikamentöse und kontrollehalber begleitende, supportive gesprächstherapeutische Behandlung, nicht in Abrede, messen ihr aber langfristig die erhoffte heilende oder die Symptome unterdrückende Wirkung nicht zu. ... Vom Deutschen Verbindungsbüro Kosovo wird insbesondere in den jüngeren Auskünften mehrfach betont, dass namhafte albanische Ärzte die Auffassung vertreten, dass supportive Gespräche trotz fehlender psychotherapeutischer Medikation in sicherer Umgebung therapeutisch wirksam seien. Das bedeutet nichts anderes, als dass die regelmäßig zu erwartende medikamentöse Behandlung mit begleitender Gesprächstherapie jedenfalls zur Vermeidung einer Verschlimmerung des aktuellen Krankheits- bzw. Gesundheitszustands geeignet ist und keine überwiegend wahrscheinliche Gefahr einer Verschlimmerung der Krankheit und erst recht nicht eine Verschlimmerung vom oben beschriebenen Gewicht begründet. Das gilt erst recht für depressive Störungen oder depressive Reaktionen oder Anpassungsstörungen mit depressiven Störungen, die im Grundprinzip - antidepressiv - medikamentös mit begleitender, stützender Psychotherapie - auch in ambulanter Form - behandelt werden.

Soweit von Seiten der Abschiebungsschutz begehrenden Ausländer sinngemäß eingewandt wird, die vom Deutschen Verbindungsbüro Kosovo geschilderte Versorgungslage sei bewusst geschönt und nicht verwertbar, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. ... Für eine geschönte, unrealistische Darstellung des Verbindungsbüros liegen Anhaltspunkte nicht vor, zumal dessen Stellungnahmen Fakten ohne Wertungen beinhalten und auf Informationen von Vertragsärzten beruhen. ... Im Übrigen können ausgehend von der ständigen Rechtsprechung Stellungnahmen des Auswärtigen Amts und deutscher Auslandsvertretungen und deren Dienststellen zur Beurteilungsgrundlage in Asyl- oder Abschiebungsrechtsstreiten gemacht werden.

Im vorliegenden Rechtsstreit der Klägerin ist gegenüber den vorstehenden Ausführungen keine abweichende Würdigung geboten. Der Klägerin ist wie allen übrigen im Kosovo verbliebenen und zurückkehrenden Landsleuten der Zugang zu den dortigen Möglichkeiten der Behandlung einer psychischen Erkrankung wie PTBS oder schwerer Depression mit Angstzuständen und Albträumen zugänglich. ... Die Behandlung im CMHC ist kostenfrei oder weitgehend kostenfrei und die Klägerin und ihr Ehemann haben alle Möglichkeiten der Einkommensverschaffung wahrzunehmen, wenn sie nicht die Unterstützung des Familienverbandes bemühen und/oder die kosovarisch-administrative Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Im Übrigen kann sie auch in Deutschland eine kostenfreie Behandlung auf Dauer nicht erwarten. Wenn nach dem Attest des Dr. T2. eine weitergehende Therapie mit der Klägerin an der Sprachbarriere scheiterte und die Klägerin mit Blick auf ihre psychische Erkrankung trotz letztlich erfolgloser Therapie dennoch ein Leben in Deutschland fristen zu können glaubt, ist es unerklärlich, weshalb ihr ebenfalls mit Blick auf ihre psychische Erkrankung ein Leben im Kosovo bei jedenfalls dort möglicher, wenn auch nicht mitteleuropäischem Standard entsprechender muttersprachlicher Therapie nicht zumutbar sein soll.