VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 19.04.2005 - 2 K 3694/03.A - asyl.net: M6722
https://www.asyl.net/rsdb/M6722
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Christen (evangelische), Baptisten, Apostasie, Konversion, Missionierung, Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde, Missionierungsbeaufragte, Religiös motivierte Verfolgung, Religiöses Existenzminimum, Exilpolitische Betätigung, CPI, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland, Situation bei Rückkehr, menschenrechtswidrige Behandlung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; AsylVfG § 71 Abs. 1 S. 1; VwVfG § 51
Auszüge:

Die Kläger haben einen Anspruch auf die Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK vorliegt, da ihnen bei einer Rückkehr in den Iran mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine menschenunwürdige Behandlung droht.

Bei dem von ihnen unter dem 12. Mai 2003 gestellten Asylantrag handelt es sich um einen Folgeantrag.

Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist für den Fall, dass der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.

Das ist hier der Fall, weil beide Kläger nach Abschluss ihres ersten Asylverfahrens mit Beschluss der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde E1 vom 16. Februar 2003 offiziell zur missionarischen Arbeit unter persisch sprechenden Menschen berufen wurden. Damit hat sich die dem Bescheid vom 27. Mai 2003 zu Grunde liegende Sachlage nachträglich zu Gunsten der Kläger im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geändert. Die offizielle Berufung zu "Missionsbeauftragten" geht nämlich über die schon im ersten Asylverfahren geschilderten missionarischen Tätigkeiten hinaus. Hierin liegt nicht eine lediglich quantitative Steigerung ihrer Aktivitäten, die durch den bloßen Zeitablauf erklärt werden könnte. Vielmehr wurde den Klägern innerhalb der Gemeinde offiziell eine

herausgehobene Funktion verliehen, was ihr Vorbringen auch qualitativ auf eine höhere Stufe hebt, sodass die nachträgliche Änderung sich zu ihren Gunsten auswirkt.

Hierüber haben sie das Bundesamt auch rechtzeitig in Kenntnis gesetzt.

Den Klägern ist eine Rückkehr in den Iran nicht zumutbar, da ihnen dort mit überwiegender Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrige Behandlung droht. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer - vgl. etwa Urteile vom 22. Juli 2003 - 2 K 1409/01.A -, vom 20. Januar 2004 - 2 K 3885/01.A - und vom 18. Januar 2005 - 2 K 483/04.A - sowie Beschluss vom 10. Dezember 2003 - 2 L 4281/03.A - hat ein Iraner wegen des Übertritts vom Islam zum christlichen Glauben (Konversion) dann menschenrechtswidrige Behandlung zu befürchten, wenn er über den verfassungsrechtlich geschützten Bereich des religiösen Existenzminimums hinaus missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position entfaltet hat, die nach außen erkennbar und nachhaltig mit Erfolg ausgeübt worden ist.

So auch die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW (vgl. Beschlüsse vom 6. Dezember 2004 - 5 A 4798/04.A -; vom 30. Oktober 2003 - 5 A 4072/03.A -; vom 5. September 2001 - 6 A 3293/01.A - (NVwZ 2002, Beilage Nr. I 1, 10 - 11), vom 3. August 1998 - 9 A 1496/98.A -, vom 29. Mai 1996 - 9 A 4428/95.A - und vom 22. August 1997 - 9 A 3289/97.A -; ferner Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 29. August 2003 - 1 Bf 11/98.A -; Bayerischer VHG, Beschluss vom 5. März 1999 - 19 ZB 99.30678 -; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. Juni 2003, S. 17).

Zwar begründet die christliche Taufe allein noch keine Verfolgungsgefahr. Das religiöse Existenzminimum im Iran umfasst die religiöse Überzeugung und die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf, nicht aber Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit einschließlich der Missionierung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 - 1 C 9/03 -, BVerwG 120, 16 ff.). Dieses religiöse Existenzminimum ist im Iran gewährleistet. Nach jüngsten Auskünften (vgl. Deutsches Orient-Institut vom 6. Dezember 2004 - 585 i/br - und Auswärtiges Amt vom 15. Dezember 2004 - 508-516.80/40463 - jeweils an das Sächsische Oberverwaltungsgericht), ist die christliche Religionsausübung im Iran, soweit sie abseits der Öffentlichkeit in gleichsam privatem Rahmen stattfindet, möglich.

Anders ist die Sachlage nach der oben zitierten Rechtsprechung unter anderem des OVG NRW, der sich die Kammer angeschlossen hat, allerdings dann zu bewerten, wenn eine missionierende Tätigkeit in herausgehobener Position hinzu kommt, die nach außen erkennbar, nachhaltig und mit Erfolg ausgeübt wird und iranische Stellen hiervon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erfahren. Grund hierfür ist, dass der iranische Staat nicht allein die Existenz von Christen und christlichen Kirchen als gegen ihn gerichtete politische Tätigkeit einstuft, sondern nur solche Verhaltensweisen von Christen, die er als Angriff auf sich und die islamische Grundordnung interpretiert. Das ist beim Missionieren unter den oben genannten Voraussetzungen der Fall (vgl. insoweit die Ausführungen des VG Düsseldorf im ersten Urteil vom 28. Oktober 2002 - 22 K 6360/01.A -). Vor allem dann, wenn - wie hier - die Missionierung von Mitgliedern einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) ausgeht, die nach eigenem Anspruch eine nach außen gerichte!e, aktive Missionierungstätigkeit entfaltet, besteht eine erhöhte Verfolgungsgefahr.

Die Kläger erfüllen die Voraussetzungen für eine Verfolgung durch den iranischen Staat. Sie gehen einer missionierenden Tätigkeit in herausgehobener Position nach, die nach außen erkennbar, nachhaltig und mit Erfolg ausgeübt wird. Zudem sprechen überwiegende Umstände dafür, dass iranische Stellen hiervon erfahren haben.

Beide Kläger bekleiden mittlerweile - anders als noch während des ersten Asylverfahrens - eine herausgehobene Position. Sie wurden von ihrer Gemeinde offiziell im Rahmen einer Abstimmung während einer sogenannten Jahresgemeindestunde am 16. Februar 2003 mit der Missionstätigkeit unter ihren Landsleuten betraut. Auch verfügen sie über entsprechende Mitarbeiterausweise der Gemeinde. Damit nehmen sie eine Position ein, die über die eines einfachen Gemeindemitglieds hinausgeht. Hinzu kommt, dass beide für interessierte - zum Teil (noch) nicht getaufte - Landsleute Bibelstunden in persischer Sprache gestalten und hierbei eine leitende bzw. lenkende Funktion wahrnehmen. Beide Kläger sprechen nach ihren überzeugenden Ausführungen in der mündlichen Verhandlung in Asylbewerberheimen lebende Landsleute an, stellen sich vor, gehen auf das gemeinsame Flüchtlingsschicksal und die gemeinsame Herkunft ein, kommen sodann auf ihren Religionswechsel zu sprechen und erzählen von der Lehre Jesu Christi. Dabei wenden sie sich nicht (nur) an ihnen bereits bekannte Iraner, sondern vor allem an Neuankömmlinge und verteilen an die Interessierten Bibeln in persischer Sprache. Es liegt in der Natur der Sache, dass es unter den Angesprochenen auch Personen gibt, die nicht über Religion sprechen wollen, aber auf diese Art und Weise erfahren, dass die Kläger missionieren.

Das Missionieren wird von ihnen auch nachhaltig und mit Erfolg betrieben. Die Besuche der Asylbewerberunterkünfte finden nach ihren überzeugenden Angaben bereits seit Februar 2002 - seit Februar 2003 offiziell im Auftrag ihrer Gemeinde - statt und haben seither nicht erkennbar nachgelassen. Diese intensive Missionstätigkeit war erfolgreich. Sechs erwachsene, in der Verhandlung namentliche benannte Muslime sind seither bereits auf Grund der Aktivitäten der Kläger getauft worden. Fünf weitere Personen bereiten sich auf die Taufe vor und zwei Kinder getaufter Personen konnten nur deshalb in der Baptistengemeinde nicht getauft werden, weil sie das hierfür erforderliche Mindestalter von 14 Jahren noch nicht erreicht haben. Zumindest in den hier interessierenden Kreisen iranischer Asylbewerber hat daher die Tätigkeit der Kläger ein Ausmaß erreicht, dass als öffentlichkeitswirksam bezeichnet werden kann. Insgesamt überschreiten die missionierenden Aktivitäten damit eindeutig ein "geringes, nicht nennenswertes Maß" (hierzu vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. September 2001 - 6 A 3293/01.A -, vom 18. Mai 2001 - 6 A 1841/01.A -, vom 6. August 2001 - 6 A 3082/01.A - und vom 20. August 2001 - 6 A 3272/01.A-), und können als nachhaltig und erfolgreich bezeichnet werden.

Es ist ferner hinreichend wahrscheinlich, dass die Missionstätigkeit der Kläger den iranischen Behörden bekannt wird. Es ist allgemein anerkannt, dass iranische Stellen die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen genau beobachten (vgl. nur Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. Dezember 2004, S. 23). Dies erstreckt sich nach Einschätzung des Gerichts auch auf die Gruppe missionierender iranischer Konvertiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass den iranischen Behörden eine missionarische Tätigkeit unter iranischen Staatsangehörigen im Ausland bekannt wird, ist nämlich wegen der noch geringen Zahl christlicher Iraner als verhältnismäßig hoch einzuschätzen (vgl. amnesty international, Gutachten vom 3. Juli 2003 - MDE 13-02.044).