VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31.05.2005 - 1a L 596/05.A - asyl.net: M6704
https://www.asyl.net/rsdb/M6704
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylverfahren, Verfahrensrecht, Minderjährige, Asylantragstellung, Antragsfiktion, Zuwanderungsgesetz, Gesetzesänderung, Anzeigepflicht, Ausländerbehörde, Anwendungszeitpunkt, Altfälle, Übergangsregelung, Klage, Suspensiveffekt, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AsylVfG § 14a; VwGO § 75; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Der sinngemäße Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (la K 1436/ 05.A) gegen die im Bescheid des Bundeamtes vom 26. April 2005 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen, ist zulässig und begründet.

Eine Anwendung des § 14 a Abs. 1 AsylVfG scheidet aus, weil zum Zeitpunkt der ausländerbehördlichen Meldungen am 14. März 2005 - mit Schreiben der Stadt E. vom 10. März 2005 - ein Asylverfahren der Eltern der Antragsteller nicht mehr anhängig war.

Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin greift auch § 14 a Abs. 2 AsylVfG vorliegend nicht ein. Nach Satz 1 dieser Norm ist der Umstand, dass ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen Asylantragstellung ins Bundesgebiet einreist oder hier geboren wird, dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen, wenn ein Elternteil eine Aufenthaltsgestattung besitzt oder sich nach Abschluss seines Asylverfahrens ohne Aufenthaltstitel oder mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes im Bundesgebiet aufhä1t. Die Anzeigepflicht obliegt nach Satz 2 der Norm neben dem Vertreter des Kindes im Sinne von § 12 Abs. 3 AsylVfG auch der Ausländerbehörde. Nach Satz 3 der Norm gilt ein Asylantrag für das Kind mit Zugang der Anzeige beim Bundesamt als gestellt.

Ob bereits der Wortlaut der mit Wirkung vom 1. Januar 2005 durch Art. 3 Nr. 10 und Art. 15 Abs. 3 Halbs. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in das AsylVfG eingefügten Norm eine Anwendung auf die Antragsteller nicht zulässt, weil der Gesetzestext nicht in der Zeitform der vollendeten Gegenwart formuliert wurde und die Antragsteller weder am 1. Januar 2005 oder danach in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren worden sind, sondern in den Jahren 1998, 2002 und 2004 in der Bundesrepublik Deutschland geboren wurden, kann dahinstehen. Selbst wenn man den Wortlaut des § 14 a Abs. 2 AsylVfG nicht für eindeutig hält, deutet er jedenfalls nicht darauf hin, dass die Neuregelung auch alle bei ihrem In-Kraft-Treten am 1. Januar 2005 vorhandenen "Altfälle" hat erfassen sollen. Die Einführung einer unverzüglichen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, vorgesehenen Anzeigeverpflichtung könnte vielmehr für eine ausschließliche Erfassung der sich ab dem 1. Januar 2005 stellenden Fälle sprechen.

Sollte § 14 a Abs. 2 AsylVfG dennoch auch für alle vor dem 1. Januar 2005 im Bundesgebiet geborenen minderjährigen ledigen Kinder von ehemaligen Asylbewerbern gelten, wäre dies aber - wie bereits das Verwaltungsgericht Göttingen mit Beschluss vom 17. März 2005 - 3 B 272/ 05 - ausgefüihrt hat - eine unzulässige Rückbewirkung von belastenden Rechtsfolgen für Sachverhalte eines Zeitraums, in dem die Gesetzesvorschrift mangels Verkündung noch nicht rechtlich existent war. Eine Rückbewirkung mit belastenden Rechtsfolgen ist bei verfahrensrechtlichen Regelungen zwar nicht ohne Weiteres unzulässig, erfordert aber insbesondere bei verfassungsrechtlicher Relevanz eine rechts staatlich gebotene eindeutige Übergangsregelung (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom Juli 1992 - 2 BvR 1631/90 - und - 2 BvR 1728/90 -). An einer solchen gebotenen Übergangsregelung fehlt es hier. Eine solche Übergangsregelung scheint im Falle des § 14 a Abs. 2 AsylVfG insbesondere geboten, weil mit der "fiktiven" Asylantragstellung nach § 14 a Abs. 2 A sylVfG gravierende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen verbunden sein können. Nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet anzulehnen, wenn fiir einen nach diesem Gesetz - also im verfahrensrechtlichen Sinne - handlungsunfähigen Ausländer (beispielsweise ein Kind vor Vollendung des 16. Lebensjahres, § 12 Abs. 1 AsylVfG) gestellt worden ist, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind. Geht man davon aus, dass als "gestellter Asylantrag" im Sinne des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG auch ein solcher anzusehen ist, der nach § 14 a Abs. 1 oder 2 AsylVfG als gestellt gilt, greift nicht nur § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG, sondern ist nach § 10 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG des Weiteren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 oder 5 AufenthG vor der Ausreise ausgeschlossen.

Dass eine Übergangsregelung zu § 14 a Abs. 2 AsylVfG nicht getroffen wurde, spricht dafür, dass der Gesetzgeber die sogenannten Altfälle bewusst nicht in den Anwendungsbereich der Norm einbeziehen wollte.