OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.06.2005 - 18 B 677/05 - asyl.net: M6703
https://www.asyl.net/rsdb/M6703
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Antrag, Fiktionswirkung, Abgelehnte Asylbewerber, Gesetzesänderung, Zuwanderungsgesetz, Auslegung, Abschiebungshindernis, Tatsächliche Unmöglichkeit, Rechtliche Unmöglichkeit, Freiwillige Ausreise, Zumutbarkeit
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; AufenthG § 81; AufenthG § 50 Abs. 1; AufenthG § 25 Abs. 5; AuslG § 30 Abs.4; AuslG § 30 Abs. 3
Auszüge:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Dies gilt zunächst, soweit der vorläufige Rechtsschutzantrag die Gewährung von

Abschiebungsschutz zum Gegenstand hat. Die Antragsteller haben auch im Beschwerdeverfahren einen Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nicht glaubhaft gemacht.

Dem mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 1. Dezember 2004 im Hinblick auf das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG kommt mit Blick darauf, dass es sich bei den Antragstellern um abgelehnte Asylbewerber handelt, schon gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG keine Fiktionswirkung gemäß § 69 AuslG oder § 81 AufenthG zu. Hat ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie hier - ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst und wäre demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Aussetzungsantrag unzulässig, scheidet aus gesetzessystematischen Griinden darüber hinaus auch die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus (vgl. zu der entsprechenden Rechtslage zum Ausländergesetz 1990 Beschlüsse des Senats vom 15. April 2004 - 18 B 471/04 -, NWVBI2004, 391; und vom 7. Juni 2004 - 18 B 596/04 -).

An dieser Rechtsprechung ist auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes festzuhalten. Denn die Erteilung einer Duldung widerspräche der durch §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 81 Abs. 3 und 4 AufenthG vorgegebenen Konzeption des Aufenthaltsgesetzes und der darin zum Ausdruck kommenden Wertung, für die Dauer eines Genehmigungsverfahrens nur unter bestimmten Voraussetzungen - nämlich in Fällen des Eintritts der Fiktionswirkungen nach § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG - ein vorläufiges Bleiberecht zu gewähren (vgl. Beschluss des Senats vom 15. April 2005 - 18 B 492/05 -).

Zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes ist eine Ausnahme hier ebenso wenig geboten wie das bei der vergleichbaren Regelung in § 30 AuslG der Fall war, der ein Bleiberecht des Ausländers voraussetzte (vgl. Beschluss des Senats vom 15. Apri12004 - 18 B 471/04 -, a.a.O).

Auch § 25 Abs. 5 AufenthG geht davon aus, dass die Ausreise eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Dem Anspruch des eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrenden Ausländers auf Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes wird in einem auf Gewährung von Abschiebungsschutz gerichteten Verfahren nach § 123 VwGO, wie hier, bereits durch die - unabhängig von sonstigen

Erteilungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG vorzunehmende - Prüfung genüge getan, ob die Antragsteller gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG einen Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) haben, und zwar für die Dauer des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 a Abs. 2 AufenthG unabhängig von der Dauer eines auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verfahrens. Derartige Duldungsgründe sind von den Antragstellern in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt worden. Der von ihnen geltend gemachte langjährige Aufenthalt und das Maß ihrer Integration führen hier nicht zu einer rechtlichen Unmöglichkeit ihrer Abschiebung. Insoweit hat der Senat zu § 30 Abs. 4 AuslG, vgl. Beschluss vom 15. April 2004 - 18 B 471/04 - , a.a.O., dessen Regelung zusammen mit derjenigen des § 30 Abs. 3 AuslG in § 25 Abs. 5 AufenthG aufgenommen worden ist, die Ansicht vertreten, dass mit der Möglichkeit, dem Ausländer eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 4 AuslG zu erteilen, dem Umstand Rechnung getragen werden sollte, dass der Ausländer trotz unanfechtbarer Ausreisepflicht bereits längere Zeit und voraussichtlich auch nicht alsbald abgeschoben werden konnte. Mit der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis wurde zwar der Aufenthalt legalisiert, aber nicht in dem Sinne verfestigt, dass es (vgl. § 34 AuslG) auf den Fortbestand des Abschiebungshindernisses nicht mehr angekommen wäre. Erst unter den in § 35 AuslG genannten Voraussetzungen konnte der Ausländer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erlangen. Mit dieser Regelung wäre es unvereinbar gewesen, dem Ausländer bei der Prüfung der Zumutbarkeit Zeiten "gutzuschreiben", die er entgegen seiner Obliegenheit nicht genutzt hatte, sich um die Beseitigung des Abschiebungshindernisses zu bemühen. Von daher waren nach Zweck und Systematik des Ausländergesetzes die Dauer des Aufenthalts und das Maß der faktischen Integration grundsätzlich ohne Bedeutung, wenn der Ausländer seiner Obliegenheit nicht nachgekommen war, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, dass etwaige Abschiebungshindernisse überwunden werden. Über die Zumutbarkeit der dem Ausländer obliegenden Handlungen war unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden. Dabei war es ohne Bedeutung, ob das Abschiebungshindernis schuldhaft geschaffen worden war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1998 -1 B 105.98 -, InfAuslR 1999, 110).

Daran ist nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes prinzipiell festzuhalten. Denn eine grundlegende konzeptionelle Änderung gegenüber dem bisherigen Recht ist mit dem Aufenthaltsgesetz insoweit nicht verbunden. Das Kriterium der Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen als Voraussetzung für die Erteilung einer Duldung findet sich in § 60 a Abs. 2 AufenthG ebenso wie zuvor in § 55 Abs. 2 AuslG, so dass die Maßstäbe der Prüfung der rechtlichen Unmöglichkeit wegen Unzumutbarkeit einer Ausreise dieselben geblieben sind. Auch die Systematik der Rechtsgrundlagen im Aufenthaltsgesetz für die Erteilung vonAufenthaltstiteln in derartigen Fällen entspricht insoweit der Systematik des Ausländergesetzes 1990. Die bislang in § 30 Abs. 4 AuslG geregelten Fälle einer Aufenthaltsgewährung sind

zusammen mit denjenigen des § 30 Abs. 3 AuslG nunmehr in § 25 Abs. 5 AufenthG geregelt mit dem Unterschied, dass die Ausreisepflicht nicht mehr unanfechtbar, sondern nur vollziehbar sein muss. Zudem kommt es nicht auf die Unmöglichkeit der Abschiebung, sondern die Unmöglichkeit der Ausreise an. Vergleichbar mit der Regelung in § 30 Abs. 4 letzter Halbsatz AuslG bestimmt § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG, dass eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer zumutbare Anforderungen zur Beseitigung etwaiger Ausreisehindernisse erfüllt. § 26 S. 2 AufenthG bestimmt - wie zuvor § 34 Abs. 2 AuslG - dass die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werden darf, wenn das Ausreisehindernis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe entfallen sind. § 26 Abs. 4 AufenthG eröffnet unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eines Daueraufenthaltes und entspricht insoweit grundsätzlich dem bisherigen § 35 Abs. 1 AuslG. Von daher gewährt das Aufenthaltsgesetz wie zuvor das Ausländergesetz 1990 Aufenthaltsrechte wegen tatsächlicher oder rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise grundsätzlich nur auf Zeit und unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen.

Mit der Beschwerdebegründung wird ausdrücklich eingeräumt, dass die Antragsteller gegenwärtig freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren könnten. Eine solche Rückkehr sei ihnen mit Blick auf die Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland und das Maß ihrer Integration subjektiv aber nicht zumutbar. Dieses Vorbringen genügt ausgehend von dem Vorstehenden für die Glaubhaftmachung eines Abschiebungshindernisses wegen Unzumutbarkeit einer Ausreise nicht, weil nicht konkret nachvollziehbar dargelegt wird, dass eine freiwillige Rückkehr der Antragsteller in ihr Heimatland zu einem früheren Zeitpunkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich gewesen ist und die Antragsteller im Hinblick auf die Gründe, die einer freiwilligen Rückkehr entgegengestanden haben, alles ihnen Mögliche und Zumutbare unternommen haben, diese zu beseitigen.