VG Frankfurt a.M.

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.04.2005 - 9 E 3505/03.A(2) - asyl.net: M6683
https://www.asyl.net/rsdb/M6683
Leitsatz:

Posttraumatische Belastungsstörung ist in Sri Lanka nicht behandelbar.

 

Schlagwörter: Sri Lanka, Tamilen, Soziale Gruppe, Haft, Vergewaltigung, Glaubwürdigkeit, Psychische Erkrankung, Abschiebungshindernis, Krankheit, Posttraumatische Belastungsstörung, Medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; EMRK Art. 3
Auszüge:

Posttraumatische Belastungsstörung ist in Sri Lanka nicht behandelbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen in ihrer Person im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1, 5, 7 AufenthG (§ 51 Abs. 1, § 53 Abs. 4, 6 AuslG a. F., wie ursprünglich beantragt).

Nach Auffassung des Berichterstatters ist das Leben oder die Freiheit der Klägerin wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich derjenigen der Tamilen, im Falle der unfreiwilligen Rückkehr nach Sri Lanka bedroht, sodass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegeben sind. Denn zur Überzeugung des Berichterstatters steht fest, dass die Klägerin in Colombo durch Militärangehörige festgenommen, längere Zeit inhaftiert und in der Haft misshandelt und vergewaltigt worden ist. Hat ein Asylantragsteller indessen einmal in dieser Weise Verfolgungsmaßnahmen im Heimatland erlitten, reicht bereits eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholung dieser Maßnahmen im Falle einer Rückkehr aus, um die Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu bejahen. Dies ist hier der Fall. Nur zur Verdeutlichung sei ausdrücklich hervorgehoben, dass die Zuerkennung dieses Abschiebungsverbotes bei der Klägerin damit ausdrücklich nicht an Maßnahmen im Rahmen einer Gruppenverfolgung anknüpft, der die Tamilen in Sri Lanka womöglich unterliegen, sondern an Verfolgungsmaßnahmen, denen die Klägerin individuell ausgesetzt war.

Die von der Klägerin in ihrem Heimatland erlittenen Verfolgungsmaßnahmen einschließlich der Vergewaltigung knüpften aber samt und sonders an ihre ethnische Zugehörigkeit zum Volksstamm der Tamilen an, wurde sie doch nur deswegen verhaftet, weil sie anlässlich einer Personenkontrolle wegrennen wollte, da sie nicht über Identitätspapiere verfügte. Dies allein - der Umstand, dass die Klägerin sich nicht ausweisen konnte - vermag zwar auch nach Auffassung des Berichterstatters für sich genommen noch nicht die Annahme eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu begründen. Indessen kam hier hinzu, dass die Klägerin für einen Zeitraum von mehreren Monaten im Anschluss an die Verhaftung - außerhalb jeder rechtlichen Grundlage - inhaftiert blieb, ohne dass dafür ein Anlass gegeben war, insoweit weicht die Behandlung der Klägerin gravierend von bekannten vergleichbaren Fällen ab, in denen die Betroffenen sich ebenfalls nicht ausweisen konnten und deswegen kurzfristig inhaftiert wurden.

Schließlich liegen in der Person der Klägerin auch die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG a.F.) vor. Die nach dieser Vorschrift geforderte erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, der die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Sri Lanka ausgesetzt ist, ist hier darin zu sehen, dass die Klägerin an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die in Sri Lanka nicht adäquat behandelt werden kann.

Zum einen ergibt sich aus dem vom Gericht eingeholten Gutachten des Gesundheitsamts des Main-Kinzig-Kreises vom 15.12.2004 zur Überzeugung des Gerichts ohne weiteres, dass die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1) leidet.

Im Hinblick auf diese Erkrankung besteht zum Anderen für die Klägerin im Fall ihrer - nicht freiwilligen - Rückführung nach Sri Lanka eine konkrete Gefahr für Leib und Leben. Denn aufgrund der derzeitigen Erkenntnisse muss angenommen werden, dass sich die Krankheit der Klägerin im Fall ihrer Rückführung nach Sri Lanka verschlimmern, eine angemessene Behandlung dieser Krankheit dort indes keinesfalls gewährleistet sein wird, ein Umstand, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das erkennende Gericht sich insoweit anschließt, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG a.F. (§ 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG) darstellen kann (BVerwG NVwZ 1998, 526; BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Beschluss vom 29.07.1999 - 9 C 2/99).

In Bezug auf die Situation in Sri Lanka ist insoweit festzustellen, dass schon im allgemeinen ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen grundsätzlich nicht gegeben sind. Der Sachverständige Keller-Kirchhoff hat bereits in seiner Stellungnahme für das VG Dresden vom 08.08.2000 insoweit ausgeführt, dass es bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 19 Mio. Menschen in Sri Lanka nur drei klinische Psychologen und dreißig Psychiater gebe. An akuten und leichteren Geisteskrankheiten litten hingegen etwa insgesamt 15 % der Bevölkerung. Schon aus diesen Zahlen ergibt sich, dass im Jahr 2000 eine adäquate psychotherapeutische Behandlung in Sri Lanka ausgeschlossen erscheinen musste. Die Ausführungen des Gutachtens der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. Januar 2004, auf das die Klägerin sich berufen hat, bestätigen, dass sich diese Situation keineswegs verbessert hat. Vielmehr standen zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung ebenfalls nur 32 Psychiater etwa 20 Mio. Menschen zur Verfügung, während die Standards der WHO bei einer Bevölkerung dieser Größenordnung für den gebotenen Minimalzustand eine Zahl von 480 Psychiatern fordern. Auch im übrigen ergibt sich aus diesem Gutachten, dass der Gesundheitsbereich in Sri Lanka in primären, sekundären und tertiären Sektor keineswegs über ein dem Bedarf und der Nachfrage angemessenes stationäres und ambulantes therapeutisches Angebot verfüge und dass Psychiater, Psychologen usw. den Bedarf an stationärer und therapeutischer Begleitung/Behandlung nicht abdecken können. Schließlich hat der Sachverständige Keller-Kirchhof in seiner vom Gericht erbetenen Stellungnahme vom 09. Oktober 2004 ausgeführt, dass sich auch nach dem Waffenstillstand und der Unterzeichnung eines Memorandums of Unterstanding zwischen der Regierung und der LTTE Anfang des Jahres 2002 die Lage in Bezug auf die Betreuungs- und Behandlungsmöglichkeiten für Traumatisierte in Sri Lanka nicht entscheidend verändert habe; nach wie vor bestehe ein enormer Bedarf, der bisher auch nicht annähernd gedeckt werden könne. Außer dem Angebot einiger weniger Nicht-Regierungsorganisationen, die sich auf in Sri Lanka lebende Bedürftige konzentriert hätten, bestünden keine anderweitigen Behandlungsmöglichkeiten. Dies gelte insbesondere für das Family Rehabilation Centre, auf das die Beklagte verwiesen hat. Die finanziellen Mittel für dieses Zentrum seien in der jüngsten Vergangenheit eingeschränkt worden und würden im Jahre 2005 ganz auslaufen; neue finanzielle Unterstützer habe das Zentrum bislang nicht finden können. Folglich habe das Zentrum bereits viele Mitarbeiter wegen der angespannten Finanzlage entlassen müssen und den Schwerpunkt der Arbeit von Colombo auf die Gebiete im Norden und Osten des Landes verlagert. Den Behandlungsnotwendigkeiten könne dieses Zentrum mithin ebenfalls nicht gerecht werden.

Der Sachverständige hat damit seine früheren Ausführungen bestätigt, dass Menschen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, mit einer adäquaten Behandlung ihrer Erkrankung in Sri Lanka nicht rechnen können. Im Fall von Tamilen ist die Situation nach einer Rückführung zusätzlich noch dadurch erschwert, dass die wenigen Fachkräfte, die solche, also traumatisierte Patienten behandeln können, fast ausnahmslos Singhalesen sind, sodass für die Behandlung jedenfalls auch ein Übersetzer erforderlich ist. Schließlich hat der Gutachter bereits früher darauf hingewiesen, dass auch aus praktischen Gründen entsprechende Behandlungen von Rückkehrern aus dem Ausland aufgrund des großen lokalen Bedarfs mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zustande kommen; dies hat sich ausweislich der Stellungnahme vom 09. Oktober 2004 bislang nicht geändert.