OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 26.05.2005 - A 3 B 16/02 - asyl.net: M6671
https://www.asyl.net/rsdb/M6671
Leitsatz:

Auch die prozessrechtswidrige Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages kann wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs mit Antrag auf Berufungszulassung gerügt werden (Änderung der Rspr. des Senats).

 

Schlagwörter: Türkei, Kurden, TIKKO, Haftbefehl, Berufungszulassungsantrag, Rechtliches Gehör, Beweisantrag, Hilfsbeweisantrag, Ausforschungsbeweisantrag, Sippenhaft
Normen:
Auszüge:

Auch die prozessrechtswidrige Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages kann wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs mit Antrag auf Berufungszulassung gerügt werden (Änderung der Rspr. des Senats).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Mit einem in der mündlichen Verhandlung bloß hilfsweise gestellten Beweisantrag begibt sich der Betroffene nicht des Rechts, wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs zu rügen, dass der Antrag im Urteil aus Gründen abgelehnt wird, die im Prozessrecht keine Stütze finden (Änderung der bisherigen Senatsrechtsprechung). (Leitsatz)

Von der Gehörsrüge sind die Kläger nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie den Beweisantrag nur hilfsweise gestellt haben. An seiner entgegengesetzten Rechtsprechung, die der Senat mit dem Beschluss vom 25.9.2002 - A 3 B 46/02 - begründet hatte, hält er nicht mehr fest.

Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Berufung auf die Gehörsrüge voraussetzt, dass der Betroffene zuvor alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten wahrgenommen hat, um sich Gehör zu verschaffen (BVerfG, Beschl. v. 10.2.1987, BVerfGE 74, 220 [225]; BVerwG, Urt. v. 3.7.1992, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 148, S. 96 [99]), hat der Senat die Auffassung vertreten, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt, wer sich durch die bloß hilfsweise Stellung von Beweisanträgen der durch § 86 Abs. 2 VwGO eröffneten Möglichkeit begibt, die Gründe, die das Gericht zur Ablehnung eines Beweisantrags veranlassen, noch in der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen (vgl. auch Hessischer VGH, Beschl. v. 7.2.2001, ESVGH 51, 138 f und Beschl. v. 17.1.2003, AuAS 2003, 69 [71]; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 3.9.2003, AuAS 2004, 9).

Diese Anforderung ist im Hinblick auf den in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs überspannt und trägt auch den praktischen Gegebenheiten in der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend Rechnung. Mit einem Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO eröffnet sich für den Betroffenen die Möglichkeit, auf die Ablehnung des Antrags zu reagieren und ihn z. B. in nachgebesserter Form neu zu stellen, um so den berechtigten Beanstandungen des Gerichts zu begegnen. Wenn und soweit durch die Stellung eines Hilfsbeweisantrags von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht wird, kann dies aber nicht bedeuten, dass damit zugleich auf das Recht verzichtet wird zu rügen, dass dieser - erst im Urteil zu bescheidende - Antrag aus Gründen abgelehnt wird, die im Prozessrecht keine Stütze finden. Mit der Stellung eines Hilfsbeweisantrags möchte der Betroffene sicherstellen, dass das Gericht, wenn es im Ergebnis der Beratung den Klaganspruch etwa aus dem in erster Linie geltend gemachten und von ihm als erfolgversprechend angesehenen Grunde verneint, bei der Prüfung eines weiteren Grundes, der zum Erfolg der Klage führen könnte, auf die hierfür angebotenen Beweismittel sodann zurückgreifen kann. Unterstellte man, dass der Betroffene bei dieser Vorgehensweise zugleich auf das Rügerecht im Falle prozessrechtswidriger Ablehnung des Antrags verzichtet, bedeutete dies, dass er in jedem Falle sicherheitshalber Beweisanträge im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO stellen müsste, um sich das Rügerecht zu wahren. Dies aber wäre schon aus Gründen der Prozessökonomie schwerlich vertretbar. So wird denn auch in der verwaltungsgerichtlichen Praxis von Seiten des Gerichts den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung nicht selten die Anregung gegeben, Beweisanträge bezogen auf weitere Gründe lediglich hilfsweise zu stellen, da die Frage ihrer Erheblichkeit davon abhängt, dass der in erster Linie herangezogene Grund für den geltend gemachten Anspruch nicht durchgreift, was aber vielfach letztlich erst in der Schlussberatung sicher festgestellt werden kann (vgl. hierzu auch Marx, AsylVfG, Kommentar, 5. Auflage, § 78 RdNr. 559). Verbunden ist für den Betroffenen mit der bloß hilfsweisen Stellung eines Beweisantrags freilich der Nachteil, dass er auf die - nicht anfechtbare - Ablehnung des Antrags in der mündlichen Verhandlung nicht mehr reagieren kann. Er verzichtet hiermit aber allein auf die prozessualen Voteile, die § 86 Abs. 2 VwGO ihm bietet, um einen unzulänglichen Beweisantrag nachzubessern, nicht aber zugleich auf das Recht, die im Urteil erfolgte Ablehnung des Antrags mit der Begründung zu rügen, dass sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Es kommt hinzu, dass der Betroffene im Falle eines unbedingt gestellten Beweisantrags zur Wahrung der Gehörsrüge nicht verpflichtet ist, die Ablehnung des Antrags noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich als prozessrechtswidrig zu beanstanden, geschweige denn wäre er gehalten, den solchermaßen fehlerhaft abgelehnten Antrag nachzubessern, da es ja für ihn nichts nachzubessern gäbe. Auch diese Überlegung zeigt, dass der Betroffene mit der Stellung bloß eines Hilfbeweisantrags sich lediglich der Vorteile des § 86 Abs. 2 VwGO, nicht aber seines Rügerechts bei Verletzung rechtlichen Gehörs begibt. Davon, dass der Betroffene sich mit einem bloß hilfsweise gestellten Beweisantrag nicht des Rechts begibt zu rügen, dass der Antrag im Urteil mit Gründen abgelehnt wird, die im Prozessrecht keine Stütze finden, geht auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27.3.2000 (InfAuslR 2000, 412) aus (vgl. ebenso VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.12.1993, VBlBW 1994, 190 f und Beschl. v. 14.1.1997, NVwZ-Beilage Nr. 9/1997, 67 f; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.1.2005, AuAS 2005, 93; offen gelassen in BVerfG, Beschl. v. 20.2.1992, NVwZ 1992, 569 f).