OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.04.2005 - 13 A 654/05.A - asyl.net: M6630
https://www.asyl.net/rsdb/M6630
Leitsatz:

§ 73 Abs. 2 a AsylVfG nicht auf Altfälle anwendbar.

 

Schlagwörter: Widerruf, Serbien und Montenegro, Kosovo, Albaner, Flüchtlingsanerkennung, Zuwanderungsgesetz, Gesetzesänderung, Ermessen
Normen: AsylVfG § 73 Abs 1; AsylVfG § 73 Abs. 2a; AsylVfG § 77 Abs. 1
Auszüge:

§ 73 Abs. 2 a AsylVfG nicht auf Altfälle anwendbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Widerruf der dem Kläger durch Bundesamtsbescheid vom 7. Juli 1999 in Verbindung mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 29. April 1999 - 6 K 696/98.TR - zuerkannten Rechtsposition aus § 51 Abs. 1 des am 1. Januar 2005 außer Kraft getretenen Ausländergesetzes beurteilt sich nach § 73 Abs. 1 AsylVfG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts findet § 73 AsylVfG in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Art. 3 Nr. 46 des Zuwanderungsgesetzes auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Das folgt aus dem Zweck der neuen Regelung, ihrem Wortlaut und der Gesetzessystematik. Dem steht § 77 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen. Denn die Anwendung des zur Zeit der mündlichen Verhandlung geltenden Rechts setzt voraus, dass die zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften den Sachverhalt des anstehenden Streitfalls überhaupt erfassen. Letzteres ist hier mit Blick auf § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 nicht der Fall (vgl. auch VG Braunschweig, Urteil vom 17. Februar 2005 - 6 A 524/04 -).

Mit Einführung einer obligatorischen Überprüfungspflicht spätestens nach Ablauf von drei Jahren im Hinblick auf Widerruf oder Rücknahme einer anerkennenden Entscheidung sollte § 73 Absätze 1 u. 2 AsylVfG, die in der Praxis weitgehend leer gelaufen waren, mehr Bedeutung verleihen werden; nach künftiger genereller Überprüfung eines Herkunftslandes sollte das Ergebnis dessen bei der Entscheidung der Ausländerbehörde über eine Niederlassungserlaubnis Beachtung finden (Vgl hierzu die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 15/420, S. 107 u. 112).

Dieser Gesetzeszweck kann bei Anwendung der neuen Regelung auf bis Ende 2004 ergangene Widerrufs-/Rücknahmeentscheidungen mit der Folge ihrer Aufhebung wie im vorliegenden Fall nicht erreicht werden. Im Gegenteil droht sogar eine künftige Nichtkorrigierbarkeit von Anerkennungen, selbst wenn die generelle Überprüfung des Herkunftslandes ergibt, dass deren Voraussetzungen weggefallen sind.

Bereits der Umstand, dass § 73 Absätze 1 u. 2 AsylVfG 2005, an die § 73 Abs. 2a anknüpft, u. a. den Fall der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG anspricht, der erst ab 1. Januar 2005 in Kraft ist, deutet darauf hin, dass die neue Widerrufs-/Rücknahmeregelung nur Entscheidungen auf der Grundlage des ab 1. Januar 2005 geltenden neuen Rechts erfassen kann. Das wird bestätigt durch § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG 2005, der erstmals ab 1. Januar 2005 eine Einbürgerungsregelung für Widerrufs-/Rücknahmefälle trifft und im inneren Zusammenhang mit den zuvor in den Sätzen 1 bis 3 getroffenen Regelungen steht. Die Regelungswirkung des § 73 Abs. 2a Satz 4 für Behörden und Gerichte bezieht sich daher auf die erst ab 1. Januar 2005 denkbaren fristunterworfenen Widerrufs-/Rücknahmefälle, woraus eine Anwendbarkeit des Satzes 4 eben nur bei Behördenentscheidungen auf der ab 1. Januar 2005 geltenden Rechtsgrundlage folgt. Es spricht alles dafür, dass der Gesetzgeber die Anwendbarkeit mehrerer Regelungen (Sätze) ein und derselben Vorschrift in gleicher Weise gestalten wollte, das heißt hier, dass auch die Regelungen des § 73 Abs. 2a Sätze 1 bis 3 AsylVfG 2005 nur auf nach dem ab 1. Januar 2005 geltenden Recht getroffenen Entscheidungen des Bundesamts Anwendung finden. Schließlich beinhaltet die Formulierung in § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG 2005 "die Prüfung ... hat ... zu erfolgen" einen bindenden Auftrag an die Behörde. Dieser kann erst mit Inkrafttreten der einen solchen Auftrag konkretisierenden Bestimmung eintreten und daher nur für Fälle gelten, die ab diesem Zeitpunkt zum Widerspruch oder zur Rücknahme anstehen. Diesem zukunftsgerichteten Auftrag kann nicht, wie es das Verwaltungsgericht im Ergebnis tut, auch eine Verpflichtung mit Rückwirkung zugesprochen werden. Die gesamte Gesetzesautomatik des § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 das Bundesamt "hat" spätestens nach drei Jahren nach unanfechtbarer Entscheidung der Behörde die Widerrufs-/Rücknahmevoraussetzungen zu prüfen; bei vorliegenden Voraussetzungen "ist" gemäß Abs. 1 bzw. 2 zu widerrufen bzw. zurückzunehmen; der Ausländerbehörde "ist" Mitteilung zu machen; erfolgt der Widerruf bzw. die Rücknahme nach spätestens drei Jahren nicht, kann nur noch eine diesbezügliche Ermessensentscheidung getroffen werden ist ersichtlich erst vorgesehen ab 1. Januar 2005, nicht für sog. Widerrufs bzw. Rücknahme-"Altfälle" vor diesem Zeitpunkt. Hieraus folgt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Neufassung des Gesetzes nicht auf Entscheidungen des Bundesamts anwendbar sein sollte, so lange sie noch nicht rechtswirksam zur Verfügung stand. Es wäre geradezu treuwidrig, einer Behörde die Nichtbeachtung einer Vorschrift vorzuhalten, die im Zeitpunkt ihrer (früheren) Entscheidung noch nicht galt und die sie nicht beachten konnte und ihr eine Rechtswidrigkeit anzulasten, die sie nicht einmal heilen könnte. Ein solches Ergebnis kann nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers entsprochen haben. Schließlich steht die Neuregelung in § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 in erkennbarem Zusammenhang mit der Regelung des § 26 Abs. 1 und 3 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis längstens für drei Jahre zu erteilen und hernach eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen ist, wenn eine Positivmeldung nach § 73 Abs. 2a Satz 2 AsylVfG 2005 vorliegt. Diese Regelung des § 26 AufenthG kann nur für ab dem 1. Januar 2005 zu erteilende Aufenthaltstitel gelten, woraus folgt, dass auch § 73 Abs. 2a AsylVfG 2005 nur auf Widerrufs- bzw. Rücknahmeentscheidungen Anwendung findet, die nach dem ab 1. Januar 2005 geltenden Recht zu treffen sind.